VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 19.01.2010 - 10 K 2174/08 - asyl.net: M16671
https://www.asyl.net/rsdb/M16671
Leitsatz:

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG bei fehlender Sicherung des Lebensunterhalts wegen höheren Alters (hier 62 Jahre), fehlender beruflicher Qualifikation und dauerhaften Erkrankungen, solange nicht von Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist.

Schlagwörter: Sicherung des Lebensunterhalts, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, eigenständiges Aufenthaltsrecht, atypischer Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 31 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

b. Darüber hinaus ist aber auch der Tatbestand des § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG nicht erfüllt.

Nach § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht vorliegen. Die hiernach mögliche Verlängerung des nach der Entstehung des eigenständigen Aufenthaltsrechts erteilten Aufenthaltstitels richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, zu denen auch § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG) zählt. Die gesetzliche Regelung dahingehend, dass die Inanspruchnahme von Sozialleistungen der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht, gilt nur für die erstmalige Verlängerung nach § 31 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Soweit im Beschluss vom 21.12.2007 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren (Az. 10 E 4111/07) zur Anwendbarkeit des § 5 AufenthG im Rahmen des § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG eine andere Rechtsauffassung vertreten wurde, hält die Kammer an dieser nicht fest (vgl. zur jetzigen Rechtsauffassung bereits VG Hamburg, Beschl. v. 01.02.2007, 10 E 4110/06, Juris; ebenso: VGH München, Beschl. v. 18.06.2008, 19 CS 08.322, Juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.02.2007, 4 ME 49/07, Juris; OVG Berlin, Beschl. v. 03.03.2005, 8 S 8/05, Juris; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 34 Abs. 4 AufenthG in BT-Drs. 15/420 S. 83; sh. auch Ziffer 31.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, VV-AufenthG, vom 26.10.2009, veröffentlicht im Gemeinsamen Ministerialblatt vom 26.10.2009, S. 878 ff.).

aa. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist, was nach § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG nur der Fall ist, wenn der betreffende Ausländer diesen einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie bezieht öffentliche Leistungen nach dem SGB II, die nicht zu den nach § 2 Abs. 3 S. 2 AufenthG außer Betracht zu lassenden, auf Beitragsleistungen beruhenden, öffentlichen Mitteln zählen.

bb. Es liegt auch kein atypischer Sonderfall vor, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangte. Ein Ausnahmefall von der regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzung der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt vor, wenn entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen oder wenn die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist. Ausnahmen von der Regel sind grundsätzlich eng auszulegen (BVerwG, Urt. v. 30.04.2009, 1 C 3/08, Juris).

Soweit die Klägerin geltend macht, dass es ihr aufgrund ihres Alters schwer falle, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, handelt es sich um ein vielfach vorkommendes Problem, dass schon keine Atypik begründen kann, da jeder ältere Arbeitnehmer hiermit zu kämpfen hat. Erst Recht kann aus diesem Umstand nicht gefolgert werden, dass das Bestehen auf der Sicherung des Lebensunterhalts grob unverhältnismäßig oder untunlich wäre. Andernfalls wäre jedem älteren Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG eine Aufenthalterlaubnis zu erteilen, soweit die übrigen Voraussetzungen vorlägen.

Gleiches gilt für die mangelnde berufliche Qualifikation der Klägerin. Hierbei handelt es sich um eine insbesondere bei älteren Frauen oft anzutreffende Situation, die auch in Zusammenschau mit dem Alter der Klägerin keinen atypischen Sonderfall zu begründen vermag. Im Übrigen führte die fehlende Ausbildung der Klägerin im konkreten Fall schon deshalb nicht zur Unzumutbarkeit der eigenen Sicherung des Lebensunterhalts, weil sie nicht kausal für deren Fehlen ist. Schließlich fand die Klägerin in der Vergangenheit bereits mehrfach Beschäftigungen als Haushalts- bzw. Küchenhilfe.

Dass die Klägerin aufgrund ihrer dauerhaften Erkrankungen möglicherweise keine ihren Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung finden kann, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme eines Ausnahmefalls (vgl. auch VG Hamburg, Beschl. v. 01.02.2007, a.a.O. und OVG Berlin, Beschl. v. 03.03.2005, a.a.O.). [...] Zum Anderen rechtfertigen die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste über ihre Erkrankungen nicht den Schluss, sie sei tatsächlich erwerbsunfähig. Insbesondere unterließ es die Klägerin, eine diesbezügliche Feststellung durch den Träger der Rentenversicherung durchführen zu lassen bzw. anzuregen, obwohl die Beklagte sie bereits vor über einem Jahr (vgl. Schreiben v. 29.08.2008) auf diese Möglichkeit hinwies. Aus dem Inhalt der vorliegenden Atteste ergibt sich nicht zur Überzeugung des Gerichts, dass der Klägerin die Sicherung ihres Lebensunterhalts aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar oder gar unmöglich wäre. [...]