VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 15.01.2010 - 11 K 8136/09.A - asyl.net: M16665
https://www.asyl.net/rsdb/M16665
Leitsatz:

Einstweilige Anordnungen gegen Dublin-Überstellungen führen nicht zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Überstellungsfrist.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Selbsteintritt, Eurodac, Überstellungsfrist, vorläufiger Rechtsschutz, Unterbrechung, Hemmung
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 31 Abs. 2, EG VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, EG VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1 S. 2, EG VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4 S. 1, EG VO 343/2003 Art. 19 Abs. 3, AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Auf die Einlassung des Klägers, er habe sich tatsächlich bereits seit "Anfang 2008" in Griechenland aufgehalten mit der Folge, dass die Zuständigkeit Griechenlands bei Asylantragstellung wohl gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EGV 343/2003 nicht mehr bestanden hätte, kommt es im Interesse einer klaren und effizienten Zuständigkeitsbestimmung (vgl. Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Aufl. 2003, Art. 18 K.S) nicht mehr entscheidend an.

Ungeachtet dessen ergibt sich die ursprüngliche Zuständigkeit Griechenlands aus Art. 18 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 EGV 343/2003, da das Gesuch der deutschen Behörden um Aufnahme des Klägers in Griechenland mit Schreiben vom 29. April 2009 erfolgte, dieses Gesuch nicht als besonders dringlich gekennzeichnet war (vgl. Art. 15 Abs. 6 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 der Verordnung), es am selben Tag elektronisch an die griechischen Behörden weitergeleitet wurde und eine Reaktion von dort mehr als zwei Monate nicht erfolgt ist. Die Fristüberschreitung bewirkt eine Zustimmungsfiktion mit der Folge, dass der ersuchte Mitgliedstaat allein aufgrund seiner Untätigkeit zur Aufnahme des Asylbewerbers verpflichtet ist. Die Zuständigkeit Griechenlands war damit seit dem 30. Juni 2009 jedenfalls aufgrund der Fiktionswirkung gemäß Art. 18 Abs. 7 EGV 343/2003 gegeben.

Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 EGV 343/2003 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.

Nach Art. 19 Abs. 3 hätte die Überstellung des Klägers von Deutschland nach Griechenland erfolgen müssen, sobald dies materiell möglich ist, spätestens jedoch ab einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Die fiktive Annahme des Aufnahmebegehrens trat - wie dargelegt - mit Ablauf des 30. Juni 2009 ein. Damit war mit Ablauf des 30. Dezember 2009 die hier einschlägige Frist des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung von sechs Monaten abgelaufen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 3 EGV 343/2003, soweit dort für den Fristbeginn geregelt ist, dass dieser ausnahmsweise mit der Entscheidung über der Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Denn § 34 a Abs. 2 AsylVfG gibt ausdrücklich vor, dass der gegen eine Abschiebungsanordnung eingelegte Rechtsbehelf nach deutschem Recht keine aufschiebende Wirkung hat und eine solche von den Verwaltungsgerichten auch nicht angeordnet werden kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a.) in verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift für bestimmte Ausnahmefälle die Möglichkeit eröffnet wird, unter den in der zitierten Entscheidung näher bestimmten Voraussetzungen einstweiligen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung im Rahmen des Dublin II-Verfahrens zu gewähren und bei Vorliegen der Voraussetzungen diesen gewähren müssen, wie dies im vorliegenden Fall durch den Beschluss des Einzelrichters geschah. Dies ergibt sich für das Gericht insbesondere aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorn 29. Januar 2009 (- C 19/08 -, Petrosian), die zwar ausdrücklich zu Art. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 erging, aber auf Grund des insoweit wortgleichen Inhalts des Art. 19 auch auf diese Vorschrift angewendet werden kann.

Hierzu hat das Verwaltungsgericht Ansbach Im Urteil vom 16. April 2009 - AN 3 K 09.30012 -, juris, ausgeführt:

"In der zitierten Entscheidung hat der EuGH unter Nr. 36 bis 38 zur Frage, wann die Frist für die Überstellung des Asylbewerbers zu laufen beginne, ausgeführt, dies müsse in Abhängigkeit davon analysiert werden, ob es in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gebe oder nicht, wobei das Ziel zu berücksichtigen sei, weswegen die Verordnung Nr. 343/2003 eine Frist für die Durchführung der Überstellung vorsehe. Dabei laufe in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen sei, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiere, unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliege, den der Asylbewerber gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erhoben habe. Unter Nr. 49 heißt es in dem Urteil weiter, die Mitgliedstaaten, die Rechtsbehelfe schaffen wollten, die zu Entscheidungen mit aufschiebender Wirkung im Rahmen des Überstellungsverfahrens führen können, dürften nicht im Rahmen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden als diejenigen Mitgliedstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet hätten. In Ziffer 51 der Entscheidung heißt es weiter, die Auslegung der Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 der Verordnung (wortgleich Art. 19 Abs. 3), könne folglich nicht zu dem Ergebnis führen, dass sich der ersuchende Mitgliedstaat im Namen der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts über die aufschiebende Wirkung der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung hinwegsetzen müsste, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergangen sei, der eine derartige Wirkung haben könne, die dieser Staat in seinen innerstaatlichen Rechten vorsehen wollte.

Für Deutschland ergibt sich damit, dass der deutsche Gesetzgeber - wie § 34 a AsylVfG ausdrücklich und eindeutig belegt - keine aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen die die Abschiebung in den Aufnahmestaat anordnende Verfügung schaffen wollte. Dass das Bundesverfassungsgericht in seiner oben zitierten Entscheidung für bestimmte außergewöhnliche Sonderfälle dennoch diese Möglichkeit im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift einräumt, gehört nach Auffassung des Gerichts zu den vorm Europäischen Gerichtshof in Nr. 38 des genannten Urteils genannten "Unwägbarkeiten", denen der Rechtsbehelf unterliege, es kann jedenfalls im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten für die rechtliche Situation in Deutschland nicht davon ausgegangen werden, dass der deutsche Gesetzgeber diese aufschiebende Wirkung wollte und bewusst herbeigeführt hat. Dies ergibt sich auch daraus, dass in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, soweit sie gemäß § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz gesetzesgleiche Wirkung besitzt, im Tenor ausdrücklich die Verfassungsgemäßheit des § 34 a AsylVfG festgestellt wird, während erst in den Gründen die ausnahmsweise Möglichkeit, für die hohe Hürden errichtet wurden, geschaffen wurde. Dieses Ergebnis führt auch nicht zu speziellen Nachteilen für Deutschland, da einerseits die Zahl der Fälle, die von dieser Konstellation erfasst sein dürften, äußerst gering sein sollte. Zum anderen steht es dem deutschen Gesetzgeber frei, entsprechend der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs den Beginn der Frist von sechs, zwölf oder 18 Monaten gemäß Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 der Verordnung auf den Zeitpunkt der Entscheidung über dem Rechtsbehelf zu verschieben, indem er, sei es generell oder nur im Umfang der vom Bundesverfassungsgericht im zitierten Urteil genannten Bedingungen, die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Sinne des § 34 a Abs. 2 AsylVfG im Gesetz ausdrücklich regelt."

Dieser auch von anderen Verwaltungsgerichten vertretenen Auffassung (VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 10. Juni 2009 - 5 K 1186/09.NW -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 26. März 2009 - A 2 K 1821/08 -, juris; vgl. auch Hruschka, EuGH-Rechtsprechung zur Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren, Asylmagazin 3/2009, S. 6 ff.; a.A. VG Würzburg, Urteil vom 28. April 2009 - 2 W 08.30170 - und vom 10. März 2009 -, die jeweils von einer Unterbrechung der sechsmonatigen Frist des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 EGV 343/2003 aufgrund der Gewährung vorläufigen Eilrechtsschutzes ausgehen) schließt sich der Einzelrichter an. [...]