VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 19.01.2010 - 3 K 2399/08 - asyl.net: M16649
https://www.asyl.net/rsdb/M16649
Leitsatz:

Ansprüche nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 erlöschen mit dem Erwerb der deutschen und dem Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit. Sie leben auch mit dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht mehr auf.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: türkische Staatsangehörige, Einbürgerung, Wiedereinbürgerung, Niederlassungserlaubnis, ARB 1/80, Erlöschen
Normen: ARB 1/80 Art. 6, ARB 1/80 Art. 7, StAG § 25, AufenthG § 38 Abs. 1, AufenthG § 9 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Ein Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis folgt auch nicht aus § 9 Abs. 2 AufenthG. Denn es fehlt an der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wonach der Ausländer seit 5 Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein muss. Zwar stehen - wie die Kammer bereits im Beschluss vom 18.08.2009 ausgeführt hat - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 08.05.2003 - 1 C 4.02 -, BVerwGE 118, 166, Urt. v. 22.01.2002 - 1 C 6.01 -, BVerwGE 115, 352 und Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 14.97 -, NVwZ 1999, 306 = InfAuslR 1999, 69) dem ununterbrochenen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis diejenigen Zeiten gleich, in denen der Ausländer zwar keinen Aufenthaltstitel besessen, aber nach der vom Gericht inzident vorzunehmenden Prüfung einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gehabt hat. Der Verpflichtung zur nachträglichen Erteilung einer befristeten Erlaubnis für die Vergangenheit bedarf es nicht, weil dies auf eine reine Förmlichkeit hinausliefe. Den Klägern stand aber nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Dezember 1997 bis zum 27.04.2006, als sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragten, kein Aufenthaltsrecht oder Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Zwar lagen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem am 01.01.2005 in Kraft getretenen § 38 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wohl vor. Die Kläger haben aber den nach §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 81 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erst am 27.04.2006 gestellt, so dass für die Zeit davor kein Anspruch auf (nachträgliche) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Ein Aufenthaltsrecht aus § 38 AufenthG kann aber nur unter der Bedingung hergeleitet werden, dass ein entsprechender Aufenthaltstitel erteilt wurde (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Entsprechendes gilt für die Zeit vor dem 01.01.2005. Zwar kam die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AuslG in Betracht. Auch insoweit fehlte es aber am erforderlichen Antrag (vgl. §§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 AuslG).

Den Klägern stand auch weder für die Zeit nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Dezember 1997 noch für die Zeit nach dem durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit eingetretenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit im August 2000 eine - antragsunabhängige - Rechtsposition aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im April 2006 zu. Zunächst sind durch den Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit am 22.12.1997 die sich möglicherweise aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 ergebenden Rechte der Kläger erloschen (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 22.02.2007 - 1 K 1889/06 -, DVBl 2008, 135; VG Aachen, Beschl. v. 28.08.2006 - 6 L 328/06 -, <juris>; VG Würzburg, Urt. v. 15.10.2008 - W 6 K 07.1028 -, <juris>; a.A. Bayerisches Staatsministerium des Innern, vgl. dessen von den Klägern vorgelegtes Schreiben v. 20.04.2005, IA2/2080.10-178; a.A. auch Marx, Folgen des einbürgerungsrechtlichen Rücknahmebescheids für Dritte und für die erworbene assoziationsrechtliche Rechtsstellung - Teil 2 -, InfAuslR 2009, 357, 361 ff.). So wie das Entstehen der Rechte aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 davon abhängig ist, dass der Arbeitnehmer die türkische Staatsangehörigkeit bzw. im Falle des Art. 7 ARB 1/80 der Familienangehörige zumindest eine ausländische, nicht notwendigerweise die türkische Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Armbruster, HTK-AuslR/ ARB 1/80/Allgemeines/2009 Nr. 2), ist auch der Fortbestand dieser Rechte nur unter dieser Voraussetzung denkbar. Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bedarf der Betreffende weder eines Beschäftigungs- noch eines davon abhängigen Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsratsbeschluss. Wegen des Erwerbs des Inländerstatus und des Verlusts der türkischen Staatsangehörigkeit kann er für seinen Aufenthalt in Deutschland keine Rechte mehr aus dem Assoziationsratsabkommen herleiten, denn Art. 6 ARB 1/80 dient der Verbesserung der beschäftigungsrechtlichen Situation türkischer Arbeitsnehmer, Art. 7 ARB 1/80 der Integration deren Familienangehörigen im Mitgliedstaat (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6.08 -, NVwZ 2009, 1162). Beide Zwecke haben sich aber mit dem Erwerb der deutschen und dem gleichzeitigen Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit erledigt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Betreffenden die türkische bzw. die ausländische Staatsangehörigkeit wieder erwerben und dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren könnten und dann wieder auf die Rechtsstellung aus dem Assoziationsratsbeschluss angewiesen sein könnten. Denn die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ist auf Dauer angelegt und hat grundsätzlich - wie auch im vorliegenden Fall - eine Entlassung aus der früheren Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung, mit allen aus dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erwachsenden günstigen sowie aus dem Verlust der türkischen bzw. ausländischen Staatsangehörigkeit sich ergebenden negativen Folgen für die Betroffenen. Dazu zählt auch der Verlust der Rechtsstellung aus dem Assoziationsratsbeschluss.

Für den Verlust der Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 durch Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit spricht auch, dass das Entstehen eines Anspruchs nach Art. 7 ARB 1/80 nur möglich ist, wenn der Arbeitnehmer, zu dem ein Familienangehöriger nachzieht, die türkische Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt des Nachzugs (noch) besitzt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.06.2009 - 7 B 10454/09 -, NVwZ-RR 2009, 978; Hess. VGH, Beschl. v. 23.07.2007 - 11 ZU 601/07 -, InfAuslR 2008, 7; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.11.1999 - Rs. C-179/89 - Mesbah -, InfAuslR 2000, 56 zum Kooperationsabkommen mit Marokko, wonach sich der Familienangehörige eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaates erwirbt, bevor der Familienangehörige beginnt, mit ihm in dem betreffenden Mitgliedsstaat zusammenzuleben, nicht auf das Abkommen berufen kann). Daraus folgt, dass die Rechtsposition aus Art. 6 ARB 1/80 durch die Einbürgerung des Arbeitsnehmers untergegangen ist. Denn wäre dies nicht der Fall, müsste auch ein Erwerb der Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 möglich sein.

Dass die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht erlischt, wenn nach dem Zuzug zu einem türkischen Arbeitnehmer dieser die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.10.2006 - 13 S 192/06 -, InfAuslR 2007, 49 = VBlBW 2007, 272; Gutmann, GK-AufenthG, IX - 1 Art. 7 ARB Nr. 1/80, Rn. 58 ff.; Marx, a.a.O.) führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn es geht im vorliegenden Fall nicht um die Frage, ob ein Ausländer sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Arbeitnehmers verloren hat, sondern darum, ob sein Aufenthaltsrecht erloschen ist, nachdem er selbst die türkische Staatsangehörigkeit verloren hat. Auch die Rechtsprechung zum Erlöschen der Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zwingt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar können nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften die Aufenthaltsrechte nach Art. 7 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden. Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S. von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet des Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen. Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter der beiden genannten Verlustgründe auszugehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009, a.a.O., m.w.N.; EuGH, Urt. v. 25.09.2008 - C-453/07 - Hakan Er -, NVwZ 2008, 1337). Diese Rechtsprechung betrifft aber lediglich Fälle, in denen der Ausländer, der sich auf eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 berief, (noch) die türkische bzw. eine sonstige ausländische Staatsangehörigkeit besaß. Es bestand daher kein Anlass, Fälle der vorliegenden Art in den Blick zu nehmen.

Die Kläger haben auch nach dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit bis zum 28.04.2006, als ihnen nach § 38 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 und Art. 7 ARB 1/80 erworben. Ein Wiederaufleben ehemaliger Rechte nach dem Assoziationsratsbeschluss sieht dieser nicht vor (vgl. VG Karlsruhe, VG Aachen und VG Würzburg, a.a.O.). Der (Wieder-)Erwerb von Rechten nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 setzt vielmehr voraus, dass der türkische Arbeitnehmer ordnungsgemäß beschäftigt gewesen ist. Daran fehlte es beim Kläger Ziff. 1 jedoch schon deshalb, weil die bis zur Einbürgerung in den deutschen Staatsverband bestehende Aufenthaltsgenehmigung durch die Einbürgerung erloschen war (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31.01.2008 - 18 A 4547/06 -, InfAuslR 2008, 208 = AuAS 2008, 62; Hamburg. OVG, Beschl. v. 28.08.2001 - 3 Bs 102/01 -, InfAuslR 2002, 81). Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob der Kläger im Besitz der erforderlichen Arbeitserlaubnis gewesen ist. Ein Erwerb der Rechtsstellung nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 seitens der Klägerin Ziff. 2 scheidet aus, da sie jedenfalls in der Zeit nach Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht die Genehmigung erhalten hat, zum Kläger Ziff. 1 zu ziehen. [...]