VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 20.01.2010 - 10 L 2059/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 137 f.] - asyl.net: M16631
https://www.asyl.net/rsdb/M16631
Leitsatz:

Nach der Heirat eines deutschen Staatsangehörigen in Dänemark hat die Klägerin das Visumsverfahren vor der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nachzuholen, da die Eheschließung vor der sodann maßgeblichen "Einreise" in das Bundesgebiet im Sinne von § 39 AufenthV erfolgt ist. Es besteht auch kein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 18 Abs. 1 EGV, da die Heirat nicht als Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Sinne der Dienstleistungsfreiheit oder passiven Dienstleistungsfreiheit durch den deutschen Ehemann als Unionsbürger anzusehen ist.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Deutschkenntnisse, Schengen-Visum, Visumsverfahren, Einreise, Dänemark, Heirat, Unionsbürger, freizügigkeitsberechtigt, Dienstleistungsfreiheit
Normen: AufenthG § 27 Abs. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 5, AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 6 Abs. 4, AufenthG § 99 Abs. 1 Nr. 2, AufenthV § 39 Nr. 3, EGV Art. 18 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin war entgegen der von ihr vertretenen Auffassung auch nicht gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 39 AufenthV berechtigt, den von ihr begehrten Aufenthaltstitel nach der Einreise ins Bundesgebiet einzuholen. Die in § 39 AufenthVO normierten Voraussetzungen, nach denen über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen kann, liegen nicht vor. Insbesondere ist hier § 39 Nr. 3 AufenthVO, der neben einem gültigen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verlangt, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, nicht einschlägig. Zwar ist die Antragstellerin mit einem entsprechenden Schengen-Visum eingereist. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind unabhängig von den fehlenden Sprachkenntnissen im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG indes nicht nach der Einreise entstanden. Unter Einreise im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV ist dabei nicht lediglich die letzte vor der Anspruchsentstehung erfolgte Einreise in den Schengenraum mit einem gültigen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte zu verstehen. Vielmehr fällt darunter jede Einreise ins Bundesgebiet, also auch die Wiedereinreise aus einem Schengenstaat, wie hier aus Dänemark nach der dort von der Antragstellerin am 17.09.2009 geschlossenen Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen (Vgl. BayVGH, Beschluss vom 23.12.2008, 19 CS 08.577, 19 C 08.3068, unter Verweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5065, S. 240, in der ausdrücklich auf eine Umgehungspraxis bei Heirat mit Deutschen in Dänemark Bezug genommen wird; ebenso HessVGH, Beschluss vom 22.09.2008, 1 B 1628/08; NiedersOVG, Beschluss vom 28.08.2008, 13 ME 131/08 - jeweils zitiert nach juris; VG Saarlouis, Beschlüsse vom 18.12.2008, 5 L 1852/08 und vom 18.03.2009, 2 L 62/09; offengelassen: OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.02.2009, 2 B 469/08; a.A.: Benassi, Unzureichende Änderung des § 39 Nr. 3 AufenthV im Falle dänischer Eheschließung, InfAuslR 2008, 127).

Da die den Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzuges nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG begründende Eheschließung bereits vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorlag, kommt die Ausnahmeregelung des § 39 Nr. 3 AufenthV mithin nicht zum Tragen (so ausdrücklich HessVGH, Beschluss vom 22.09.2008, a.a.O.; BayVGH, Beschuss vom 23.12.2008, a.a.O.; a.A.: VGH Baden-Württemberg, Beschuss vom 08.07.2008, 11 S 1041/08, wonach für den erforderlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auf die erst nach der Einreise erfolgte Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet abzustellen sei). [...]

Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht aufgrund des Auslandsbezuges durch die Eheschließung in Dänemark als Ehefrau eines Unionsbürgers auf ein ihr für die Bundesrepublik Deutschland zustehendes Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EGV berufen. Allein daraus, dass sie Familienangehörige eines Unionsbürgers ist, der anlässlich der Eheschließung in Dänemark von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt, kann die Antragstellerin ein von der Einhaltung einer nationalen Visumspflicht unabhängiges und auch Sprachkenntnisse nicht voraussetzendes Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EGV nicht ableiten (so aber VG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2009, 1 K 2359/08; offengelassen: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.07.2008, a.a.O.).

Fallbezogen spricht alles dafür, dass bereits nicht von einer nach Art. 18 EGV relevanten Ausübung des Freizügigkeitsrechtes im Sinne der Dienstleistungsempfangsfreiheit oder passiven Dienstleistungsfreiheit auszugehen ist, da der Aufenthalt des Ehegatten der Antragstellerin in Dänemark alleine dazu gedient hat, unter dort gegenüber den entsprechenden Voraussetzungen im Bundesgebiet vereinfachten Bedingungen die Ehe eingehen zu können, die passive Dienstleistung also in der Beurkundung der Ehe vor dem dänischen Standesbeamten bestand. Der gemeinschaftsrechtliche Begriff der Dienstleistung im Sinne von Art. 49 ff. EGV beruht auf der Gewährleistung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten; ihm ist eine weit verstandene Gewinnerzielungsabsicht immanent. Dazu zählen staatliche Dienstleistungen nur dann, wenn der Staat bei der Leistungserbringung unternehmerähnlich am Wirtschaftsleben teilnimmt (vgl. dazu Callies/Ruffert, EUV-EGV, 3. Auflage 2007, Art. 49, 50 EGV, Rdnr. 5 ff., 12, 27 f., m.w.N.; Huber/Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2008, Rdnr. 1402, m.w.N.).

Das kann für die Tätigkeit des Standesbeamten bei einer Eheschließung nicht angenommen werden, auch wenn für die Beurkundung Gebühren angefallen sein dürften, da die Verfolgung eines unternehmerischen Erwerbszwecks nicht ersichtlich ist. Hinzu kommt, dass die passive Dienstleistungsfreiheit hier durch die einmalige Inanspruchnahme einer öffentlichen Dienstleistung bestand und zudem der Umgehung der im Bundesgebiet hierzu erforderlichen Voraussetzungen diente. Von daher unterscheidet sich der Sachverhalt eindeutig von dem der Entscheidung des EuGH vom 11.07.2002 (C-60/00 (Carpenter), Slg. 2002, Seite I-06279, bzw. juris) entschiedenen Fall, in dem ein erheblicher Umfang der Dienstleistungserbringung im Wege geschäftlicher Betätigung in dem anderen EU-Staat erfolgte und deshalb dem Ehegatten unter Berücksichtigung auch von Art. 8 EMRK das Recht der Freizügigkeit, insbesondere um den Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates in den anderen Mitgliedsstaat begleiten und Trennungen der Eheleute vermeiden zu können, zugesprochen worden ist (vgl. a.a.O., insbesondere Rdnr. 34 ff., 39, 42).

Im Weiteren muss gesehen werden, dass das nach Art. 18 Abs. 1 EGV jedem Unionsbürger zustehende Recht, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufzuhalten, auf das sich die Antragstellerin beruft, nicht vorbehaltslos besteht, sondern den im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterliegt (so auch ausdrücklich EuGH, Urteil vom 11.12.2007, C 291/08, m.w.N., NVwZ 2008, 402).

Nach der Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass Art. 7 Abs. 2 Satz 1 Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003 (Amtsbl. L 251 vom 03.10.2003, S. 12) den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eröffnet, nach ihrem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen zu verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Entsprechende Integrationsmaßnahmen können dabei, wie sich aus dem Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Richtlinie 2003/86/EG ergibt, sofern es um den Familiennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen geht, auch vor der Einreise verlangt werden. Lässt Art. 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 Richtlinie 2003/86/EG mithin eine nationale Regelung zu, wonach ein Aufenthaltsrecht von dem Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse zwecks Erleichterung der Integration im Bundesgebiet abhängig gemacht werden kann, so kommt aber auch ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ohne die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderten Sprachkenntnisse aus Art. 18 Abs. 1 EGV ersichtlich nicht in Betracht (vgl. den Beschluss des VG Saarlouis vom 18.03.2009, a.a.O.; im Ergebnis ebenso VG Berlin, Urteil vom 19.12.2007, VG 5 V 22.07, InfAuslR 2008, 165, sowie VG Koblenz, Beschluss vom 22.08.2008, 3 L 849/08.KO, zitiert nach juris). [...]