VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 10.02.2010 - 7 L 30/10.A - asyl.net: M16614
https://www.asyl.net/rsdb/M16614
Leitsatz:

Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist auch zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass gemäß § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes (§ 80 oder § 123 VwGO) ausgesetzt werden darf. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 a Abs. 2 AsylVfG liegen allerdings vor. Die Antragsgegnerin sieht den im Bundesgebiet gestellten Asylantrag des Antragstellers offensichtlich nach § 27 a AsylVfG als unzulässig an, weil aufgrund der vorgenannten Rechtsvorschrift der Europäischen Gemeinschaft ein anderer Staat, nämlich Griechenland, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies zeigt auch das Übemahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juli 2009 an Griechenland, das von dort nicht innerhalb der Frist des Art. 18 Abs. 7 der Dublin II-VO beantwortet worden ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits in seinem Grundsatzurteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49, 113, ausdrücklich festgestellt, dass § 34 a Abs. 2 AsylVfG mit seinem dort zum Ausdruck gekommenen generellen Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes nur bei sinnentsprechender restriktiver Auslegung mit Art. 16 a Abs. 2 Satz 3 GG im Einklang steht. Nach dieser Entscheidung kann die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz dieser Ausschlussregelung in gewissen Sonderfällen gleichwohl statthaft und geboten sein, etwa wenn sich die für die Qualifizierung als "sicher" maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht, wenn der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird oder wenn sich der Drittstaat - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat- von seinen rechtlichen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.

Darüber hinaus sieht das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf mit Blick auf den Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG auch in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27 a AsylVfG. Danach besteht Anlass zur Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16 a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ist. Mehreren diesbezüglich erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Beschlüssen Erfolgsaussichten nicht abgesprochen und daraufhin mit Blick auf die im Falle einer Abschiebung nach Griechenland unter Berufung auf "ernst zu nehmende Quellen" zu befürchtenden Rechtsbeeinträchtigungen die Abschiebung eines Asylbewerbers untersagt (vgl. zuletzt Beschlüsse der 1. Kammer des 2. Senats vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 - und vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2879/09 -, zitiert nach juris). [...]