VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.06.2009 - 1 A 142/05 - asyl.net: M16522
https://www.asyl.net/rsdb/M16522
Leitsatz:

Abschiebungsverbot hinsichtlich Pakistans, da der Kläger die erforderliche medizinische Behandlung aus finanziellen Gründen nicht erhalten könnte (schwerwiegende Erkrankung, Bedarf besonderer medizinischer Sachkunde).

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Pakistan, Asylfolgeantrag, Änderung der Sachlage, Morbus Bechterew, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat zunächst Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Die dem Bescheid vom 25. August 1999 zugrunde liegenden Sachlage hat sich nachträglich zugunsten des Klägers - dies ist nur im rechtlichen Sinne gemeint - geändert, denn es steht nunmehr fest, dass der Kläger an einer schweren, aggressiven Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) mit peripherer Gelenkbeteiligung leidet und es ernsthaft in Betracht kommt, dass diese Krankheit bei fehlender Behandlung zu einer schwerwiegenden Gesundheitsverschlechterung und damit zu einer erheblichen konkreten Gefahr für den Leib des Klägers führen kann; weiterhin kommt ernsthaft in Betracht, dass eine erforderliche Behandlung des Klägers für ihn in Pakistan nicht zugänglich ist. Dies genügt für die Annahme, dass sich die dem Bescheid vom 25. August 1999 zugrunde liegende Sachlage nachträglich zugunsten des Klägers geändert hat. Der Kläger hat den Antrag auch innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt. Der Kläger hat frühestens nach Eingang des ärztlichen Attestes ... vom 04. Juli 2005 Kenntnis davon erlangt, welche Bedeutung die angewandte medikamentöse Therapie für ihn hat und welche Folgen ein Ausbleiben der Therapie für ihn hätte. Davon ist das Gericht aufgrund des Inhalts der Anhörung des Klägers vom 04. September 2008 überzeugt. Der Kläger hatte offenbar zuvor noch nicht die medizinischen Zusammenhänge soweit erfasst, als dass er sich darüber bewusst gewesen wäre, dass es zu einem massiven Fortschreiten der Erkrankung führen könnte mit mittelfristig vitaler Bedrohung aufgrund der organischen Komplikationen einer ständig schwelenden Entzündung auf hohem Niveau, abgesehen von den Funktionsverlusten bei Zerstörung der betroffenen Gelenke des Bewegungsapparats. Der Kläger hatte offenbar nur eine ungefähre Vorstellung von den Folgen, so hat er auch in der Anhörung bei der Beklagten ausgeführt, er verstehe zwar nicht alles, was ihm der Arzt sage, aber er habe es so verstanden, dass seine Schmerzen größer würden, wenn er die Medikamente nicht nehme. Der am 01. August 2005 bei der Beklagten eingegangene Antrag ist damit innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden.

Bei dem Kläger liegt wegen der besonders schwerwiegenden Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) mit peripherer Gelenkbeteiligung sowie der damit im Zusammenhang stehenden Begleiterkrankungen unter Berücksichtigung der bei ihm vorliegenden individuellen Risiken und der für den Kläger aus finanziellen Gründen fehlenden Möglichkeit einer ausreichenden Behandlung in Pakistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. [...]

Dem Kläger würde wegen der bei ihm bestehenden schwerwiegenden Erkrankung (Spondylitis ankylosans) bei einer Abschiebung nach Pakistan dort wegen der für ihn nicht zugänglichen Behandlungsmöglichkeit eine konkrete und erhebliche Gefahr für seine Gesundheit drohen. Der Kläger leidet nach den ärztlichen Bescheinigungen des behandelnden Facharztes für Innere Medizin und Rheumatologie ... vom 04. Juli 2005 und 19. Oktober 2005 an einer schweren, aggressiven Spondylitis ankylosans mit peripherer Gelenkbeteiligung. Nur die durchgeführte umfassende Therapie unter Einschluss moderner Medikamente kann die aggressive Krankheitsaktivität der den gesamten Organismus betreffenden Erkrankung symptomatisch eindämmen. Bei einem Aussetzen der medikamentösen Therapie ist nach der nachvollziehbaren Bescheinigung des Rheumatologen ... vom 19. Oktober 2005 mit einem massiven Fortschreiten der Erkrankung zu rechnen mit mittelfristig vitaler Bedrohung aufgrund der sekundär organischen Komplikationen einer ständig schwelenden systemischen Entzündung auf hohem Niveau, abgesehen von den Funktionsverlusten bei Zerstörung der betroffenen Gelenke des Bewegungsapparates und mit Schmerzen. Das Gericht hat keinen Zweifel an der von dem Rheumatologen ... aufgeführten Prognose, dass bei einem Abbruch der Behandlung schwerwiegende gesundheitliche Folgen der beschriebenen Art drohen. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es zur Abwendung der beschriebenen gesundheitlichen Folgen einer fortgesetzten medikamentösen Behandlung bedarf.

Angesichts der Schwere der bestehenden Erkrankung bedarf es für die sachgerechte Behandlung des Klägers einer besonderen medizinischen Sachkunde, um die Auswirkungen der Erkrankung in Grenzen zu halten und ein Fortschreiten der entzündlichen Prozesse im gesamten Körper mit ihren Auswirkungen, insbesondere auf die Gelenke, zu verhindern. Es kann offen bleiben, ob dem Kläger in Pakistan eine ausreichend sachkundige ärztliche Betreuung zugänglich wäre, die eine sachgerechte Zusammenstellung der Medikamente und die Anpassung der Medikation an die Entwicklung des Krankheitsverlaufs gewährleisten könnte. Dem Kläger ist nämlich die gegenwärtig notwendige medikamentöse Therapie in Pakistan aus finanziellen Gründen nicht zugänglich. Nach dem Bericht der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Islamabad vom 26. November 2008 wären zwar die bislang verordneten Medikamente bzw. wirkungsgleiche Medikamente im Wesentlichen auch in Pakistan erhältlich. Der Kläger müsste jedoch für die jeweils günstigste Alternative der in dem Bericht näher beschriebenen Medikamente - wie in der mündlichen Verhandlung besprochen - insgesamt schon knapp 4.000,-- pakistanische Rupien aufbringen.

Dem Kläger ist es nach Überzeugung des Gerichts in Pakistan nicht möglich, diese Kosten der Behandlung zu tragen, so dass eine erforderliche medikamentöse Behandlung für ihn dort nicht zugänglich ist. Nach dem Botschaftsbericht vom 26. November 2008 würden im Falle des Klägers die Kosten nicht aus dem Zakat-Fonds getragen. Der Kläger verfügt auch nicht über hinreichende finanzielle Mittel, um die Kosten der Behandlung tragen zu können. Er ist aufgrund seiner gesundheitlichen Beschwerden nicht in der Lage, ein ausreichendes Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit zu erzielen. Das jährliche Durchschnittseinkommen in Pakistan beträgt 1.043,00 US-$, was sich aus der in das Verfahren eingeführten Länderinformation Pakistan des Auswärtigen Amtes ergibt. Das Durchschnittseinkommen liegt damit etwa bei etwas mehr als 6.500,-- pakistanischen Rupien im Monat. Neben den sonstigen Lebenshaltungskosten wären von einem solchen Einkommen allein schon die für den Kläger erforderlichen Medikamente, abgesehen von den sonstigen Behandlungskosten, nicht zu tragen. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Kläger die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen Personen, insbesondere Familienangehörigen oder Verwandten seiner Ehefrau erhalten könnte. Die Angabe der Ehefrau des Klägers in ihrem eigenen Asylverfahren, sie komme aus einer reichen Familie und habe es nicht nötig zu arbeiten, sollte offenbar den Vortrag der Ehefrau stützen, dass sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen habe. Diese Angabe bezog sich aber nach Überzeugung des Gerichts allenfalls darauf, dass es die Ehefrau des Klägers in Pakistan nicht nötig gehabt hat, zu arbeiten, weil die Familie durch die in Italien lebenden Verwandten unterstützt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Familie im sonst über größeres Vermögen noch verfügen könnte, liegen nicht vor. Im Übrigen würde auch das von dem Kläger nachvollziehbar geschilderte schlechte Verhältnis zu den Brüdern seiner Ehefrau, die auf eine Scheidung drängen, es wenig wahrscheinlich sein lassen, dass die Verwandten der Ehefrau den Kläger fortlaufend unterstützen würden. [...]