OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 05.01.2010 - 1 B 481/09 - asyl.net: M16496
https://www.asyl.net/rsdb/M16496
Leitsatz:

Keine zwingenden Gründe zur Erteilung einer Betretenserlaubnis für familiengerichtlichen Termin zum alleinigen Sorgerecht für die Kinder. Die Versagung bedeutet auch keine unbillige Härte im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da die ernsthafte Gefahr besteht, dass die Neigung des Antragstellers zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen gegen seine Familienangehörigen sich bei einem Betreten des Bundesgebiets aktualisieren könnte.

Schlagwörter: Betretenserlaubnis
Normen: AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Versagung der Betretenserlaubnis bedeutet auch keine unbillige Härte im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Verfahrensbeteiligte ein berechtigtes Interesse daran haben, gerichtliche Anhörungstermine, auch wenn ihr persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden ist, persönlich wahrzunehmen. So eröffnet eine persönliche Anwesenheit etwa die Möglichkeit, gegebenenfalls durch persönlichen Vortrag auf die Meinungsbildung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Ob dies allerdings schon dazu führt, dass zur Vermeidung einer unbilligen Härte bei Gerichtsterminen stets die Erteilung einer Betretenserlaubnis in Erwägung gezogen werden müsste, erscheint fraglich. So kann der Betroffene seine Interessen grundsätzlich auch durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Auch ist für eine vom Gericht gegebenenfalls für erforderlich gehaltene persönliche Anhörung nicht stets eine Einreise in das Bundesgebiet erforderlich; eine Anhörung kann unter Umständen auch von einem Gericht im Heimatstaat des Ausländers durchgeführt werden. Das Familiengericht hat in seinem bereits genannten Vermerk vom 04.11.2009 auf diese Möglichkeit hingewiesen. Ob in diesen Fällen zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Erteilung einer Betretenserlaubnis geboten ist, hängt deshalb von den Verhältnissen des Einzelfalls ab. In die Einzelfallprüfung sind auch die öffentlichen Interessen einzustellen, die gegen die Erteilung einer Betretenserlaubnis sprechen. Dazu gehört etwa die Frage der Rückkehrbereitschaft des Betreffenden sowie sonstiger Sicherheitsinteressen.

Nach diesem Maßstab bedeutet die Versagung der Betretenserlaubnis für den Antragsteller keine unbillige Härte:

Der Antragsteller ist in dem familiengerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten. Er ist damit in der Lage, in diesem Verfahren die erforderlichen Anträge zu stellen und diese auch zu begründen.

Gegen die Erteilung einer Betretenserlaubnis sprechen weiterhin die näheren Umstände der am 14.07.2009 erfolgten Abschiebung des Antragstellers. Diese Umstände lassen erhebliche Zweifel an seiner Bereitschaft aufkommen, nach einem Betreten des Bundesgebiets freiwillig in die Türkei zurückzukehren. So geriet der Antragsteller bei seiner im Mai 2009 zur Durchführung der Abschiebung erfolgten Festnahme in einen starken Erregungs- und Aggressionszustand. Er trat wild und unkontrolliert um sich und schlug mehrfach seinen Kopf auf den Fußboden, so dass er fixiert werden musste. Bei der am 12.06.2009 durchgeführten amtsärztlichen-psychiatrischen Untersuchung (Oberarzt Dr. R. und Prof. Dr. H. vom Krankenhaus Bremen-Ost) wurde festgestellt, dass für den Fall der Umsetzung der Abschiebung eine konkrete, ernsthafte akute Suizidgefahr bestehe; impulshafte, suizidale Handlungen seien nicht auszuschließen. Die Suizidalität sei allerdings als interessengeleitet einzuschätzen. Sie sei nicht Ausdruck einer seelischen Erkrankung, sondern sei als unmittelbare Reaktion auf die drohende Abschiebung zu werten. Es seien zwar Symptome einer Anpassungsstörung beim Antragsteller vorhanden, die aber nicht als krankheitswertige Störungen einzuordnen seien. Es sei eine ärztliche Begleitung der Abschiebung erforderlich. Dementsprechend ist die dann am 14.07.2009 vollzogene Abschiebung ärztlich begleitet worden. Das Verhalten des Antragstellers vor seiner Abschiebung sowie der amtsärztlich-psychiatrische Untersuchungsbefund werden im Einzelnen in dem Beschluss des OVG vom 13.07.2009 (Az. 1 B 211/09) dargestellt (Seite 4-6) und ausgewertet (Seite 10-12).

Durch das jetzt vom Antragsteller unterbreitete Angebot, sich für den Fall der Erteilung einer Betretenserlaubnis in Abschiebehaft unterbringen zu lassen, könnte zwar die Gefahr eines Untertauchens gemindert werden. Die Zweifel, die aufgrund des genannten Verhaltens an seiner Rückkehrbereitschaft bestehen, könnten aber durch eine solche Maßnahme nicht ausgeräumt werden. Um seine Abschiebung zu verhindern, nahm der Antragsteller seinerzeit immerhin Selbstverletzungen in Kauf und drohte in einer Weise, die ernst zu nehmen war, – als Druckmittel – sogar seine Selbsttötung an.

Gegen die Erteilung einer Betretenserlaubnis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sprechen darüber hinaus die Gründe, auf denen die Ausweisungsverfügung sowie deren sofortige Vollziehung beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 04.03.2009 (Az. 1 B 457/08) die sofortige Vollziehung der gegen den Antragsteller ergangenen Ausweisungsverfügung vom 24.10.2007 bestätigt, weil es konkrete Anhaltspunkte dafür gesehen hat, dass der Antragsteller bereits während des Rechtsmittelverfahrens erneut gegen seine Familie gewalttätig wird. Der Antragsteller hat am 31.07.2005 eine Brandstiftung zum Nachteil seiner Kinder und ihrer Mutter begangen, wegen der er vom Landgericht Bremen mit Urteil vom 18.04.2006 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden ist (Az. 14 KLs 115 Js 46084/05). Er ist bereits vor dieser Straftat gegenüber der Kindesmutter gewalttätig geworden und hat sein Verhalten danach fortgesetzt. Die Kinder sind aufgrund des Verhaltens des Antragstellers erheblich traumatisiert; der Sohn A musste stationär kinderpsychiatrisch behandelt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat dies in den Beschlüssen vom 04.03.2009 (Seite 6) sowie vom 13.07.2009 (Seite 12) näher dargelegt. Dort werden auch die Tatsachen, auf die sich die Gefahrenprognose stützt, im Einzelnen benannt.

Anhaltspunkte, die eine dem Antragsteller günstigere Gefahrenprognose rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere wird ihm in dem wegen der Brandstiftung ergangenen Urteil des Landgerichts Bremen vom 18.04.2006 entgegen seiner Behauptung gerade keine günstige Sozialprognose ausgestellt (vgl. Seite 29 des Urteils). Mit Beschluss vom 28.11.2007 lehnte das Oberlandesgericht Bremen überdies die Aussetzung der gegen den Antragsteller verhängten Freiheitsstrafe mit der Begründung ab, es bestehe ein erhebliches Risiko für die Begehung weiterer Straftaten, dem nicht durch Auflagen oder Weisungen entgegengewirkt werden könnte. Nach derzeitigem Sachstand besteht deshalb die ernsthafte Gefahr, dass die Neigung des Antragstellers zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen gegen seine Familienangehörigen sich bei einem Betreten des Bundesgebiets aktualisieren könnte. [...]