VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 13.01.2010 - 12 L 4166/09.F.A - asyl.net: M16494
https://www.asyl.net/rsdb/M16494
Leitsatz:

Vorbeugender Rechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Rechtsschutzinteresse, Griechenland,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, EMRK Art. 6
Auszüge:

[...]

Die Antragsgegnerin ist im Wege einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 verpflichtet, von einer Überstellung des Antragstellers nach Griechenland abzusehen, bevor eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gem. §§ 27 a, 34 a AsylVfG bestandskräftig geworden ist.

Es besteht zunächst ein Anordnungsanspruch.

Der Antragsteller kann beanspruchen, vorläufig nicht nach Griechenland zur Durchführung seines Asylverfahrens überstellt zu werden. Nach der Regelung des Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist Griechenland zwar für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Das Gericht hält diese Vorschrift jedoch, soweit sie Griechenland betrifft, für mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Sie findet ihre Grundlage in Art. 63 Nr. 1 a EG-Vertrag. Dieser setzt voraus, dass die zuverlässige Einhaltung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Menschenrechtskommission in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 10. März 2009, Az.: W 4 K 08.30122). Das Gericht hat ernstliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen in Griechenland derzeit erfüllt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet, einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (Art. 33 Abs. 1 GK). Dies gebietet einen effektiven Zugang zum Asylverfahren wie auch eine hinreichende Prüfung des Asylgesuchs. Beides ist in Griechenland gegenwärtig nicht gewährleistet. Insoweit hält das erkennende Gericht an seiner bisher vertretenen Auffassung (s. u.a. 12 L 587/08.F.A (V), Beschluss vom 18. März 2008; Urteil vom 25. Februar 2009, Az.: 12 K 616/08.F.A (1)) derzeit nicht fest. Lediglich einmal in der Woche können in Athen bei dem zuständigen Ausländerpolizeidirektorat Anträge auf Asyl gestellt bzw. hierfür Termine in Empfang genommen werden. Zwischen 2000 und 3000 Menschen stellen sich hier an, die teilweise schon in der Nacht vorher vor Ort warten. Auf Grund der begrenzten Kapazitäten werden jedoch maximal 350 - 400 Personen wöchentlich überhaupt zur Behörde vorgelassen (UNHCR an Verwaltungsgericht Hamburg vom 27.02.2009; Pro Asyl, Bericht vom 19.02.2009 "Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland"; Schweizerisches Bundesamt für Migration, Bericht vom 05.01.2009, Ländermonitor 2009, Nr. 1). Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass dies bei überstellten Dublin-Fällen anders ist (andere Auffassung VG Ansbach, Urteil vom 08.04.2009, Az.: AN 3 K 08.30139 in juris Rechtsprechung). Neben der Schwierigkeit, ein Asylgesuch überhaupt anzubringen, tritt für den Asylsuchenden in Griechenland die Schwierigkeit, seine Asylgründe deutlich zu machen. Nach dem Bericht des UNHCR vom 15.04.2008 werden Asylsuchende auf Grund des Fehlens von Übersetzungsdiensten und Rechtsberatung oft in einer Sprache angehört, die sie nicht verstehen, und nicht über ihre Rechte im Asylverfahren beraten oder belehrt.

Die derzeitige Ausgestaltung des Asylverfahrens in Griechenland dürfte auch gegen die Rechtsschutzgarantie, die sich aus Art. 6 EMRK sowie aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, verstoßen. Griechenland trägt nach Einschätzung des Gerichtes nicht hinreichend Sorge dafür, dass die Entscheidungen über die Asylanträge den Asylsuchenden tatsächlich zur Kenntnis gegeben werden. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die größte Zahl von Asylsuchenden in Griechenland obdachlos ist, so dass ihnen die Entscheidungen nicht zugestellt werden können, sondern öffentlich bekannt gemacht werden. Nach der Auskunft des UNHCR an das VG Frankfurt am Main vom 10.01.2008 hat Griechenland keine Kapazitäten, eine größere Anzahl von Asylsuchenden in Aufnahmezentren aufzunehmen, die vom Staat oder von nichtstaatlichen Akteuren geleitet werden. Es stehen nicht genügend Plätze zur Unterbringung aller Asylsuchenden, die eine solche benötigen, zur Verfügung. Die Chancen für neu ankommende Asylsuchende, eine Unterkunft bereitgestellt zu bekommen, sind daher extrem beschränkt. Die Rechtsschutzgarantie wird darüber hinaus dadurch berührt, dass durch das Präsidialdekret Nr. 81 v. 30.06.2009, welches am 31.07.2009 in Kraft tritt, die zweite Instanz bei der Überprüfung von Asylanträgen abgeschafft wird (UNHCR vom 15.05.2009). [...]