VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 20.11.2009 - 3 K 2052/09 - asyl.net: M16421
https://www.asyl.net/rsdb/M16421
Leitsatz:

1. Für Drittstaatsanbehörige besteht ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht, wenn die Familienangehörigeneigenschaft im Zeitpunkt der Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat bestanden hat.

2. Auch ein vorübergehender Aufenthalt in Dänemark zwecks Eheschließung begründet kein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Suspensiveffekt, Ehegattennachzug, Familienzusammenführung, Heirat, Dänemark, Deutschkenntnisse, Schengen-Visum, Unionsbürgerrichtlinie, freizügigkeitsberechtigt, Rückkehrer
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, IntV § 4 Abs. 2 S. 2, GG Art. 6, EMRK Art. 8, GG Art. 3 Abs. 3 S. 1, GG Art. 3 Abs. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthV § 39 Nr. 3, EGV Art. 18 Abs. 1, RL Nr. 2004/38/EG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin geht aller Voraussicht nach auch zu Unrecht davon aus, dass ihr deutscher Ehemann von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückgekehrt ist und deshalb ein - von der Einhaltung einer nationalen Aufenthaltsvisumspflicht unabhängiges und auch Sprachkenntnisse nicht voraussetzendes - Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vorliegt.

Zwar ist der Ehemann der Antragstellerin allem Anschein nach zunächst - zu einem dem Gericht nicht näher bekannten Zeitpunkt - aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist und hat sich in Frankreich niedergelassen. Auch hat er wohl in Begleitung der Antragstellerin, die am 04.08.2009 im Besitz eines Schengen-Visums nach Frankreich eingereist war, seinen Wohnsitz am 31.08.2009 von Frankreich nach Kehl/Deutschland verlegt. Die Antragstellerin hat ihren Ehemann aber erst am 05.09.2009 in Dänemark geheiratet. Mithin hat die Ehe während des Aufenthaltes in Frankreich und bei der am 31.08.2009 erfolgten Ausreise nach Deutschland noch nicht bestanden. Fehlt es aber an der Eigenschaft der Antragstellerin als Familienangehörige i.S. von Art. 3 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG), kann sie schon deshalb kein Recht nach Art. 18 Abs. 1 EGV auf Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aus der Rückkehr ihres Ehemannes in die Bundesrepublik Deutschland herleiten. Ein "Rückkehrerfall" im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urt. v. 25.07.2008 - C 127/08 -, NVwZ 2008, 1097 und v. 11.12.2007 - C 291/08 -, NVwZ 2008, 402, m.w.N.) kann nur dann vorliegen, wenn der Unionsbürger bei der Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen begleitet wird, der bereits Familienangehöriger ist. Dafür sprechen auch die zur Begründung seiner Rechtsprechung angestellten Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urt. v. 25.07.2008, a.a.O.). Für den Drittstaatsangehörigen besteht deswegen ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht, weil andernfalls der Unionsbürger bereits von der Ausnutzung seines primärrechtlichen Freizügigkeitsrechts abgehalten werden könnte. Müsste er befürchten, dass ein Familienangehöriger bei der Rückkehr nicht einreisen dürfte, würde er sich nicht mehr ins Ausland begeben und von seinen gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechten Gebrauch machen. Dies verdeutlicht, dass spätestens zum Zeitpunkt der Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat die Familienangehörigeneigenschaft bestehen muss. Denn der Umstand, dass erst nach der Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat die Ehe mit einem Drittstaatsangehörigen geschlossen wird, diesem aber ein Aufenthaltsrecht durch den Herkunftsmitgliedstaat versagt wird, vermag die Entscheidung des Unionsbürgers, von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen und wieder in sein Herkunftsmitgliedsstaat zurückzukehren, nicht zu beeinflussen. Der Unionsbürger steht lediglich so, wie wenn er von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte und die Ehe nach Einreise des Drittstaatsangehörigen in den Herkunftsmitgliedstaat geschlossen worden wäre. Der Europäische Gerichtshof (vgl. Urt. v. 25.07.2008, a.a.O.) legt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG zwar dahingehend aus, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist. Dies bedeutet aber lediglich, dass die Ehe nicht bereits vor der Einreise des Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat bestanden haben muss. Ausreichend - und erforderlich - ist auch, wenn die Ehe erst nach der Einreise im Aufnahmemitgliedstaat geschlossen wird.

Auch die zum Zwecke der Heirat erfolgte Ausreise der Antragstellerin und ihres Ehemannes nach Dänemark und die unmittelbar danach erfolgte Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland begründet kein Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EGV zugunsten der Antragstellerin (vgl. Bayer. VGH, Beschl. v. 29.09.2009 - 19 CS 09.1405 -, juris; VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.09.2009 - 27 L 2043/08 -, juris; Fehrenbacher, HTK-AuslR/§ 39 AufenthV 10/2009, Nr. 4.4; offen gelassen von VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2008 - 11 S 1041/08 -, InfAuslR 2008, 444 = VBlBW 2009, 109; a.A. wohl VG Freiburg, Beschl. v. 20.01.2009 - 1 K 2359/08 -). Nach der EuGH-Rechtsprechung zu den so genannten Rückkehrerfällen ist zunächst Voraussetzung, dass Drittstaatsangehörigen nicht nur vorübergehende Aufenthaltsrechte in einem Mitgliedstaat zugestanden haben, in dem Familienangehörige und Unionsbürger in Wahrnehmung ihres Freizügigkeitsrechtes nicht nur vorübergehenden Aufenthalt genommen haben. Der EuGH nimmt sodann den Fortbestand der Aufenthaltsrechte der Drittstaatsangehörigen auch für den Fall der gemeinsamen Rückkehr mit dem Unionsbürger in dessen Herkunftsstaat an. Die Antragstellerin hat aber gemeinsam mit ihrem Ehemann in Dänemark nur vorübergehend Aufenthalt genommen. Der Empfang von Dienstleistungen vermittelte kein auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht. Denn die Dauer des Aufenthaltsrechtes orientierte sich an der (vorliegend sehr kurzen) Dauer der Dienstleistung. In der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland liegt infolgedessen keine Verschlechterung der bisherigen aufenthaltsrechtlichen Situation der Antragstellerin, die eine mittelbare Beschränkung der Freizügigkeit des Ehemanns der Antragstellerin mit sich bringen könnte. [...]