VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.07.2009 - 8 A 58/09 - asyl.net: M16375
https://www.asyl.net/rsdb/M16375
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, da es noch zu keiner hinreichend deutlichen Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei gekommen ist, so dass noch nicht von einer grundlegenden wesentlichen Änderung im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 und 2 AsylVfG ausgegangen werden kann.

Schlagwörter: Widerruf, Türkei, PKK
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Die nach den Feststellungen der 5. Kammer des erkennenden Gerichts vorverfolgt ausgereiste Klägerin wäre bei einer - unterstellten - Rückkehr in die Türkei vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Dabei reicht es nicht, dass die Klägerin heute möglicherweise keine Sippenhaft oder sippenhaftähnlichen Maßnahmen mehr zu befürchten hat. Die Feststellung des Wegfalls der Verfolgungsgefahren setzt vielmehr einen grundlegenden, stabilen und dauerhaften Charakter der Veränderungen im Herkunftsstaat voraus. Dies ist nicht nur spiegelbildlich auf den Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände beschränkt (vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2005, 18 K 4074/04). Maßgebend ist daher, ob die Klägerin unter Anlegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes vor einer erneuten politischen Verfolgung in der Türkei im Zusammenhang mit dem Verdacht der Unterstützung der PKK oder separatistischer Tendenzen - sei es durch sie selbst, sei es durch Mitglieder ihrer Familie - hinreichend sicher wäre, weil es dem humanitären Charakter der Asyls widerspräche, einem Asylsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist es zwischenzeitlich noch nicht zu einer hinreichend deutlichen Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei gekommen, so dass noch nicht von einer grundlegenden wesentlichen Änderung im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 1 und 2 AsylVfG ausgegangen werden kann. Auch wenn der Klägerin keine konkrete strafrechtliche Verfolgung droht, zählt sie doch wegen der regimekritischen Haltung ihrer Familie zu einem Personenkreis, der bei einer Rückkehr in die Türkei möglicherweise mit menschenrechtswidriger Behandlung zu rechnen hat. Es kann auch heute nicht davon ausgegangen werden, dass die Türkei nur noch mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen regierungskritische Kräfte oder solche, die sie dafür hält, vorgeht. [...]

Angesichts dieser Situation geht das Gericht davon aus, dass die vorverfolgt ausgereiste Klägerin als kurdische Volkszugehörige, die selbst bereits im Visier türkischer Sicherheitskräfte gestanden hat und zudem Mitglied einer den türkischen Behörden als regimekritisch bekannten Familie ist, vor erneuten asylrechtlich relevanten Übergriffen seitens des türkischen Staates nicht hinreichend sicher ist (vgl. die ständige Rechtsprechung des erkennenden Gerichts: Urteile vom 10.10.2007 - 8 A 366/05, 7.11.2007 - 8 A 393/05 und 23.01.2008 - 8 A 257/06; zu Letzterem auch OVG Schleswig, Beschluss vom 22.04.2008, 4 LA 24/08; inzwischen std. Rechtsprechung des OVG Schleswig; vgl. etwa: Beschluss vom 18.03.2009 - 4 LA 15/09). [...]