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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 - asyl.net: M1636
https://www.asyl.net/rsdb/M1636
Leitsatz:

Das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ist in der Regel sachdienlich dahin gehend auszulegen, dass eine Feststellung nur hinsichtlich des Staates oder der Staaten begehrt wird, für die eine negative Feststellung nach § 53 AuslG getroffen worden ist oder die in der Abschiebungsandrohung als Zielstaaten bezeichnet sind. Für eine Klage auf vorsorgliche Feststellung von Abschiebungshindernissen bezüglich weiterer Staaten besteht in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Klageantrag, Auslegung, Abschiebungshindernis, Herkunftsstaat, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Aufnahmebereiter Drittstaat, Rechtsschutzbedürfnis, Ghana, Krankheit, Nierenerkrankung, Medizinische Versorgung
Normen: AuslG § 53 Abs. 6; AsylVfG § 31 Abs. 3; AsylVfG § 42; VwGO § 88; VwGO § 129
Auszüge:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Frage, ob die Beklagte zu Recht verpflichtet worden ist, wegen der Erkrankung des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG auch hinsichtlich nicht näher bezeichneter weiterer Staaten festzustellen, in denen eine medizinische Behandlung des Klägers nicht möglich oder ihm nicht zugänglich ist. Dass die Beklagte zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich Ghanas verpflichtet ist, steht dagegen rechtskräftig fest, da die Beklagte das Berufungsurteil insoweit nicht angegriffen hat. Eine derartige Beschränkung der Revision ist zulässig, weil es sich bei der Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG bezüglich verschiedener Staaten jeweils um eigenständige Streitgegenstände oder jedenfalls abtrennbare Streitgegenstandsteile handelt, die prozessual ein unterschiedliches Schicksal erleiden können. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht, soweit es die Beklagte zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich anderer Staaten als Ghana verpflichtet hat. Denn der Kläger kann eine solche Feststellung nicht beanspruchen. Das Berufungsurteil war deshalb teilweise aufzuheben und die Berufung, soweit sie auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich anderer Staaten als Ghana gerichtet war, zurückzuweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass das Berufungsbegehren des Klägers sich auf die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht nur hinsichtlich Ghanas, sondern auch hinsichtlich weiterer, nicht näher bezeichneter Staaten richtete. Dies ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass der Klageantrag in erster Instanz ebenso wie der Berufungsantrag ("die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides zu Nr. 3 zu verpflichten, für den Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen") seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich auf Ghana beschränkt war. Denn nach § 88 VwGO ist für die Ermittlung des Klagebegehrens nicht allein der Wortlaut der Anträge, sondern das wirkliche, in dem gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel maßgeblich; Entsprechendes gilt für die Ermittlung des Berufungsbegehrens (vgl. §§ 128, 129 VwGO; stRspr, etwa Urteil vom 7. Februar 1997 - BVerwG 9 C 11.96 - Buchholz 310 § 129 VwGO Nr. 6 m.w.N.). Das Rechtsschutzbegehren des im Verwaltungsverfahren erfolglos gebliebenen Asylsuchenden auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG ist auch im Falle eines uneingeschränkt formulierten Antrags in der Regel sachdienlich dahin gehend auszulegen, dass Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG nicht weltweit, sondern nur bezüglich des Staates oder der Staaten begehrt wird, für die das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) festgestellt hat, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, oder die es in der Abschiebungsandrohung ausdrücklich als Zielstaaten bezeichnet hat. Dies ist typischerweise - wie auch hier - der Herkunftsstaat des Asylsuchenden, in Bezug auf den er auch Asyl- und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG wegen politischer Verfolgung beantragt hat.

Eine darüber hinausgehende Erstreckung des Rechtsschutzbegehrens auf weitere Staaten entspricht im Normalfall schon deshalb nicht dem Interesse des Asylbewerbers und wäre folglich nicht sachdienlich, weil für ein solches weitergehendes Begehren in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis besteht und es auch an einem entsprechenden materiell-rechtlichen Anspruch fehlt.

Etwas anderes gilt indes dann, wenn der Kläger aufgrund eindeutiger Erklärungen im Laufe des Rechtsstreits zu erkennen gibt, dass sein Antrag ausnahmsweise auch die Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich weiterer Staaten erfassen soll. Denn die Möglichkeit einer sachdienlichen Auslegung des Klagebegehrens findet ihre Grenze in dem ausdrücklich bekundeten Willen des Klägers (vgl. Beschluss vom 29. August 1989 - BVerwG 8 B 9.89 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 17). So liegt der Fall hier. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Revisionsverhandlung hat dieser nach Erörterung der richtigen Antragsformulierung in der Berufungsverhandlung erklärt, dass sein Begehren sich nicht auf Ghana beschränke, sondern sämtliche anderen Staaten, die nach seiner Auffassung wegen des Hinweises nach § 50 Abs. 2 AuslG in der Abschiebungsandrohung infrage standen, erfassen solle. In diesem umfassenden Sinn hat offensichtlich auch das Berufungsgericht den Antrag verstanden und folgerichtig die Berufung, soweit es ihr nicht stattgegeben hat, im Übrigen zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat indes zu Unrecht dem Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG bezüglich anderer Staaten als Ghana teilweise entsprochen. Dieses Begehren ist nämlich unzulässig, weil dem Kläger insoweit schon das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Kläger bedarf keines gerichtlichen Schutzes im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen bezüglich anderer Staaten. Denn weder hat das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid insoweit irgendwelche Entscheidungen zu Lasten des Klägers getroffen, noch bestehen sonst Anhaltspunkte dafür, dass er eine Abschiebung in einen anderen Staat ernsthaft zu befürchten hat. Die Feststellung in dem Bescheid des Bundesamts, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, bezieht sich trotz ihrer allgemein gehaltenen Formulierung nur auf den in der Begründung des Bescheides und in der Abschiebungsandrohung als Zielstaat benannten Staat Ghana, den Herkunftsstaat des Klägers. Dass das Bundesamt mit seiner Feststellung zu § 53 AuslG weitere Staaten erfassen wollte, ist nicht ersichtlich. Etwas anderes kann insbesondere nicht dem nach § 50 Abs. 2 AuslG vorgeschriebenen allgemeinen Hinweis in der Abschiebungsandrohung entnommen werden, dass der Ausländer auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Dieser Hinweis hat keinen Regelungscharakter. Er entbindet die Behörde nicht davon, dem Kläger einen konkret ins Auge gefassten neuen Abschiebezielstaat rechtzeitig vorher mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zu geben, etwaige Abschiebungshindernisse bezüglich dieses Staates geltend zu machen und gegebenenfalls Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 42.99 - BVerwGE 111, 343, 344 ff., 347). Für einen gleichsam vorbeugenden Rechtsschutz gegen eine Abschiebung in Zielstaaten, die von der Behörde noch nicht erkennbar ins Auge gefasst sind, besteht deshalb kein Bedürfnis.