Kein Erlöschen der Asylberechtigung bei Besuch der kranken Mutter im Heimatland, da die Klägerin sich dadurch nicht unter den Schutz des afghanischen Staates gestellt hat.
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Die Feststellungsklage ist begründet. Die Asylberechtigung der Klägerin ist nicht kraft Gesetzes erloschen. Der Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ist nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt.
Die Klägerin hat sich nicht erneut dem Schutz des afghanischen Staates unterstellt. Der Aufenthalt der Klägerin in Afghanistan im April 2009 (sowie - unterstellt - zwei weitere Male in der Vergangenheit) ist keine sonstige Handlung im Sinne dieser Vorschrift. Aus Sinn und Systematik des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ergibt sich, dass von einem dem Schutz des Staates Unterstellen nur dann auszugehen ist, wenn die in Betracht kommenden Handlungen von ähnlichem Gewicht sind, wie die im Gesetz benannten anderen ausdrücklichen Verhaltensweisen (Passerlangung oder -verlängerung) (vgl. in diesem Sinne BVerwG vom 2. Dezember 1991 a.a.O. zu § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG a.F., in dem zwar das Tatbestandsmerkmal der sonstigen Handlungen nicht ausdrücklich enthalten ist, der aber im Übrigen § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG im Wesentlichen entspricht).
An solchen Handlungen fehlt es. Mit Unterschutzschutzstellung ist gerade nicht die Rückkehr in die Heimat gemeint. Hierfür ist vielmehr der Sondertatbestand des Nr. 4 des Artikel 1 Abschnitt C GK geschaffen worden, wonach der Sonderstatus entfällt, wenn der Betreffende in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist und sich - was die Klägerin gerade nicht getan hat - dort niedergelassen hat. Die Asylberechtigung erlischt nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG vielmehr erst dann, wenn der Ausländer die rechtlichen Beziehungen zu seinem Heimatstaat dauerhaft wiederherstellt. Die Vorschrift entzieht das Asylrecht demjenigen, der sich den diplomatischen Schutz seines Heimatstaates gleichsam auf "Vorrat" sichert oder sonst "ohne" Not wieder in dessen schützende Hand begibt. Entscheidend ist, ob aus dem Verhalten des Asylberechtigten auf eine veränderte Haltung zu seinem Heimatstaat geschlossen werden kann (vgl. BVerwG vom 2. Dezember 1991 a.a.O.).
Die Klägerin hat durch ihre Reise(n) nach Afghanistan rechtliche Beziehungen zu ihrem Heimatstaat nicht wiederhergestellt. Sie hat sich weder diplomatischen Schutz auf "Vorrat" gesichert, indem sie etwa um die Erledigung irgendwelcher administrativer Maßnahmen durch afghanische Behörde gebeten hätte, noch hat sie sich ansonsten unter den Schutz des afghanischen Staates gestellt.
Aus ihrem Verhalten kann schon nicht auf eine veränderte Haltung oder gar freiwillige Hinwendung zu ihrem Heimatstaat und damit eine erneute Unterschutzstellung geschlossen werden. Denn sie ist - ihr Vorbringen als wahr unterstellt - nicht freiwillig, sondern vielmehr wegen einer vermuteten lebensbedrohlichen Erkrankung der Mutter in ihr Heimatland gereist. Wenn der Asylberechtigte zur Erfüllung sittlicher Pflichten in sein Heimatland zurückkehrt, kann von einer freiwilligen Rückkehr und damit einer Veränderung der Einstellung des Asylberechtigten zu seinem Heimatland nicht die Rede sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1991 a.a.O.).
Selbst wenn ihre Behauptung, sie sei ausschließlich wegen einer Erkrankung ihrer Mutter nach Afghanistan gereist, unwahr sein sollte, kann ein Unterschutzstellen nicht festgestellt werden. Die Klägerin ist nicht mit ihrem afghanischen Reiseausweis nach Afghanistan eingereist. Nur im Falle der Einreise mit ihrem nationalen Pass könnte ein Unterschutzstellen im Sinne des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG in Betracht kommen. Der Erlöschenstatbestand setzt nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Annahme eines "Vorteils" voraus. Den "Vorteil", den der Besitz der Staatsangehörigkeit des Heimatstaates dem Ausländer gewährt, nutzt er aber erst, wenn er unter Benutzung seines nationalen Passes in den Heimatstaat einreist. In jenem Fall nimmt er den Schutz in Anspruch, der ihm durch seinen Heimatstaat gewährt wird. Diesen "Vorteil" hat die Klägerin gerade nicht genutzt. Sie ist unter Benutzung ihres Reiseausweises für Flüchtlinge nach Afghanistan eingereist und hat sich damit während ihres Aufenthaltes in Afghanistan der dortigen Staatsgewalt nur in gleichem Maße wie ein nicht afghanischer Staatsangehöriger, der dieses Land zu Besuchszwecken aufsucht und hierfür gegebenenfalls ein Visum erhalten hat, faktisch unterworfen, sich aber nicht dem Schutz dieses Landes unterstellt. [...]