VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 28.10.2009 - 10 L 733/09 - asyl.net: M16331
https://www.asyl.net/rsdb/M16331
Leitsatz:

Keine Auswirkungen der Soysal-Entscheidung des EuGH für türkische Staatsangehörige, die als Touristen eingereist sind und sich bereits drei Monate mit einem Touristenvisum im Bundesgebiet aufgehalten haben.

Schlagwörter: Schengen-Visum, türkische Staatsangehörige, rechtmäßiger Aufenthalt, Fiktionswirkung, EuGH, Soysal, visumsfrei, Besuchsvisum, Tourist, Stillhalteklausel, Diskriminierungsverbot, passive Dienstleistungsfreiheit
Normen: AufenthG § 4 Abs. 5, AufenthG § 81 Abs. 2, AufenthG § 81 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Zwar ist dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zuzubilligen, da er nach Ablauf des ihm erteilten Visums und weiterem Aufenthalt im Bundesgebiet rechtliche und tatsächliche Nachteile insbesondere bei polizeilichen Kontrollen befürchten muss. Hingegen ist der von ihm geltend gemachte Anordnungsanspruch nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegebenen summarischen Prüfung nicht glaubhaft gemacht, weil die von ihm aufgrund der o. a. Entscheidung es Europäischen Gerichtshofes reklamierte "Superfreiheit" (vgl. dazu etwa Hailbronner, Visafreiheit für türkische Staatsangehörige ..., NVwZ 2009, 760, 764; Dienelt, Die Visafreiheit türkischer Touristen und anderer Dienstleistungsempfänger, InfAuslR 2001, 473; ders., Auswirkungen der Soysal-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf das Visumverfahren türkischer Staatsangehöriger, ZAR 2009, 182; Welte, Visumpflicht – türkische Staatsangehörige, InfAuslR 2004, 177; Westphal, Visumbefreiung für türkische Staatsangehörige nach der Rechtslage am 1.1.1973, InfAuslR 2009, 133; AG Erding, Urteil vom 29.04.2009, InfAuslR 2009, 268) sich jedenfalls für diejenigen türkischen Staatsangehörigen nicht herleiten lässt, die als Touristen eingereist sind und sich, wie der Antragsteller bereits drei Monate mit einem Touristenvisum hier aufgehalten haben. Im Einzelnen ergibt sich dies aus folgenden Erwägungen:

Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (vom 19.02.2009, C-228/06 (Soysal), zit. nach juris) auch auf die Einreise von türkischen Staatsangehörigen als Touristen in das Bundesgebiet und die Frage des für diese derzeit geltenden Visazwangs Auswirkungen haben kann. Der Entscheidung ist zu entnehmen (a.a.O. Rdnr. 55 ff.), dass "hinsichtlich türkischer Staatsangehöriger wie der Kläger" des dortigen Ausgangsverfahrens, das heißt Arbeitnehmern i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 DVAuslG vom 12.03.1969, BGBl. S. 207, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates von der Dienstleistungsfreiheit nach dem Assoziierungsabkommen Gebrauch machen wollen, eine nationale Regelung, die diese Tätigkeit von der Erteilung eines Visums abhängig macht, das von Gemeinschaftsangehörigen nicht verlangt werden kann, geeignet ist, die tatsächliche Ausübung dieser Freiheit zu beeinträchtigen. Hieraus ergibt sich, dass eine visumsbewehrte Einreise, die am 01. Januar 1973, dem Inkrafttreten insbesondere der Stillhalteklausel aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll, die den Mitgliedsstaaten verbietet, neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs hinsichtlich der Türkei auszubringen, zumindest zur Folge hat, dass die Ausübung der im Assoziierungsabkommen garantierten wirtschaftlichen Freiheit durch türkische Staatsangehörige strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen, werden als sie in dem betreffenden Mitgliedsstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls galten. Danach ist Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er es ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls verbietet, ein Visum für die Einreise türkischer Staatsangehöriger - was der EuGH in der o.a. Entscheidung immer wieder herausstellt - "wie der Kläger des Ausgangsverfahrens" in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats zu verlangen, die dort Dienstleistungen für ein in der Türkei ansässiges Unternehmen erbringen wollen, wenn ein solches Visum zu jenem Zeitpunkt nicht verlangt wurde.

Hieraus leitet der Antragsteller weiter ab, dass das fragliche Diskriminierungsverbot auch diejenigen türkischen Staatsangehörigen generell privilegiert, die sich auf ein vor dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls geltendes innerstaatliches Recht über die Visumsfreiheit, wie es aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG hervorgeht, berufen können. Folgt man dieser Rechtsauffassung, dann ist für die unter das Assoziierungsabkommen fallenden türkischen Staatsangehörigen das nationale "alte Recht" anzuwenden, und besteht für diese, solange sie im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben, sich nicht länger als drei Monate im Geltungsbereich des Ausländergesetzes aufhalten wollen, die vom Antragsteller reklamierte Visumsfreiheit. Diese Problematik bedarf vorliegend indes keiner Entscheidung.

Folgt man der vom Antragsteller vertretenen Rechtsauffassung, ist festzustellen, dass ihm die von ihm in Anspruch genommene Visumsfreiheit vorliegend zwar nicht zugestanden worden ist; vielmehr konnte er mit einem befristeten Schengen-Visum einreisen. Der somit nach dem angegebenen alten Recht und dem neuen Recht jeweils auf maximal drei Monate beschränkte Aufenthalt ist indes inzwischen abgelaufen, ohne dass es darauf ankommt, dass der konkrete Aufenthalt hier nur visumsbewehrt gewährt worden ist.

Soweit der Antragsteller daran anknüpfend nunmehr einen über den aktuell abgeschlossenen durch ein Visum vermittelten rechtmäßigen Aufenthalt hinausgehenden unbegrenzten Aufenthalt, mit der konkreten Absicht bis zu sieben Monate zu touristischen Zwecken im Bundesgebiet aufenthaltsam zu sein, begehrt, kann er sich nach Auffassung der Kammer auf die hier einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs indes nicht berufen – und zwar auch nicht bezüglich der von ihm geltend gemachten passiven Dienstleistungsfreiheit, wie sie etwa aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 02.02.1989, Rs. 186/87 (Cowan), InfAuslR 1989, 147 f., hervorgeht. Nach dieser Rechtsprechung sind auch Touristen aus anderen EG-Ländern als Dienstleistungsempfänger anzusehen, denen das Gemeinschaftsrecht die Freiheit garantiert, in einem anderen Mitgliedsstaat, insbesondere als Dienstleistungsempfänger, einreisen zu dürfen. Dem korrespondiert im Prinzip die dem von dem Antragsteller herangezogenen alten nationalen Recht zu entnehmende Einreisemöglichkeit für Touristen, wobei diese allerdings auf einen Zeitraum von drei Monaten beschränkt war.

Hieran anknüpfend ist entscheidungserheblich in den Blick zu nehmen, dass es sich bei türkischen Staatsangehörigen nicht um Angehörige der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft handelt, sondern um Angehörige eines assoziierten Staates, dessen Assoziation noch nicht abgeschlossen ist, sondern von den assoziationsrechtlichen Regelungen und dem sich daraus ergebenden Stand der Entwicklung der Assoziation abhängig ist. Von daher ist von Bedeutung, dass der Assoziationsvertrag und das dazu ergangene Zusatzabkommen einschließlich des Assoziationsratsbeschlusses ARB 1/80 türkischen Staatsangehörigen bisher keinen unbeschränkten Anspruch auf Einreise in die Mitgliedsstaaten der EU gewährt. Vielmehr ist von einer schrittweisen Annäherung auszugehen, die insofern verwirklicht ist, als Freiheiten für Arbeitnehmer und ihre Angehörigen gewährt werden, während assoziationsrechtlich reine Touristen und damit passive Dienstleistungsempfänger noch nicht in vollem Umfang privilegiert werden. Für sie gilt indes das Diskriminierungsverbot aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zum Assoziationsvertrag mit der Folge der Geltung des vor dessen Inkfrafttreten geltenden nationalen deutschen Rechts. Hierdurch wird der Antragsteller wiederum nur im Rahmen von § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG privilegiert mit der Folge, dass er sich nicht länger als drei Monate visumsfrei im Bundesgebiet aufhalten darf. Hat er diese Zeit überschritten, kann er sich vor einer Ausreise aus dem Bundesgebiet bzw. dem Schengen-Raum (je nach Visum) nicht auf einen visumsfreien Aufenthalt und erst Recht nicht auf einen über drei Monate hinausgehenden visumsfreien Aufenthalt berufen. [...]