FG Düsseldorf

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Zitieren als:
FG Düsseldorf, Urteil vom 10.11.2009 - 14 K 3927/08 Kg - asyl.net: M16273
https://www.asyl.net/rsdb/M16273
Leitsatz:

Rückwirkender Anspruch auf Kindergeld für GFK-Flüchtlinge bereits vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.

Schlagwörter: Kindergeld, Vorläufiges Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (BGBl. II 1956, 507)
Normen: EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, EStG § 62 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung in dem vom Kläger beantragten Umfang ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).

1. Zwar kann der Kläger als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nach der vom Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vertretenen Rechtsauffassung kein Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (Bundesgesetzblatt – BGBl I 2006, 2915), die nach § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG auf alle Fälle anzuwenden ist, in denen Kindergeld noch nicht rechtskräftig festgesetzt ist, beanspruchen. Denn das Aufenthaltsrecht des Klägers beruhte im Streitzeitraum September 2006 bis Juli 2008 lediglich auf Duldungen (vgl. Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.03.2007, III R 93/03, Sammlung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs – BFHE – 217, 443; Finanzgericht – FG – Düsseldorf vom 10.06.2008, 14 K 2182/06 Kg, n. v.). Der Kläger besaß damit keinen der in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel. Unmaßgeblich ist, ob auf Grund der im August 2008 anerkannten Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG hätte erteilt werden können. Denn maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, im Hinblick auf die Tatbestandswirkung der ausländerrechtlichen Entscheidung der Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.12.1998, VI B 221/98, BFHE 187, 562, Bundessteuerblatt – BStBl - II 1999, 140; vom 20.02.19998, VI B 205/97, Sammlung aller nichtamtlich und amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1998, 963; vom 01.12.1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696 und vom 14.08.1997, VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169).

2. Der Kläger hat jedoch als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention nach Art. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (Bundesgesetzblatt – BGBl – II 1956, 507) i.V.m. Art. 2 des Zusatzprotokolls einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat dem Vorläufigen Europäischen Abkommen mit Gesetz vom 07.05.1956 zugestimmt (BGBl II 1956, 507) und damit innerstaatliche Geltung verliehen (Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes – GG –). Entgegen seiner ursprünglichen Intention als "vorläufiges" Abkommen (vgl. hierzu seine Präambel) ist das Vorläufige Europäische Abkommen nach wie vor gültig (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 23.09.2004, B 10 EG 3/04 R, Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts – BSGE – 93, 194). Insbesondere ist keine Kündigung des Abkommens nach dessen Art. 16 erfolgt.

Das Abkommen ist auf den Kläger anzuwenden. Nach Art. 2 Satz 1 des Zusatzprotokolls vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 347) findet das Abkommen auch auf Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 des Genfer Abkommens unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung, wie auf die Staatsangehörigen der Vertragschließenden. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) Flüchtling i.S. des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Ein – wie der Kläger anerkannter Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG – hat somit den Status eines Konventionsflüchtlings, also eines Ausländers, der in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention Abschiebeschutz genießt, ohne einen Anspruch auf Asyl nach Art. 6a GG zu haben (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 60 AufenthG Rz.23; Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 2. Aufl., Rz. 702). [...]

Auch nach der Dienstanweisung der Beklagten DAFamEStG 62.4.2 Abs. 1 Satz 2 haben anerkannte Flüchtlinge nach dem Genfer Flüchtlingskonventionen unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel bereits erteilt wurde, einen Anspruch auf Leistungen des Vertragsstaates unter denselben Bedingungen wie dessen Staatsangehörige, sofern sie seit mindestens sechs Monaten im Vertragsstaat wohnen. Nach DAFamEStG 62.4.3 Abs. 1 Satz 3 ist das Vorläufige Europäische Abkommen zudem – entgegen der von der Beklagten im Streitfall vertretenen Auffassung - auch rückwirkend auf Zeiträume anwendbar, die vor dem Zeitpunkt der unanfechtbaren Anerkennung, aber nach Ablauf der 6-Monats-Frist liegen. [...]