LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.11.2009 - L 20 B 26/09 AY - asyl.net: M16271
https://www.asyl.net/rsdb/M16271
Leitsatz:

Nicht die Sozialgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte sind für Rechtsstreitigkeiten über behördliche Erstattungsforderungen auf der Grundlage von Verpflichtungserklärungen zuständig (§ 68 AufenthG). Wegen grundsätzlicher Bedeutung wird die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht zugelassen.

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Erstattung, sachliche Zuständigkeit, Sozialgerichtsbarkeit, Verwaltungsgerichtsbarkeit, AsylbLG
Normen: VwGO § 52 Nr. 3 Satz 1, SGG § 51 Abs. 1 Nr. 6a, AufenthG § 68 Abs. 1 Satz 1
Auszüge:

[...]

Das Sozialgericht hat sich zu Recht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht Münster verwiesen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts folgt aus der allgemeinen Zuweisungsnorm für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine bundesgesetzliche, ausdrückliche Zuweisung an ein anderes Gericht i.S.d. 2. Halbsatzes der Vorschrift ist nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG keine Zuweisung seiner Streitigkeit zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des AsylbLG. Entscheidend ist dabei, ob es sich um einen Rechtsstreit handelt, bei dem die Möglichkeit besteht, dass die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder - in der im Falle des Klägers einzig denkbaren Alternative - im AsylbLG findet (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rn. 33a). Die von der Beklagten gegen den Kläger geltend gemachte Forderung hat jedoch ihre Grundlage nicht im AsylbLG, auch wenn von ihm die Erstattung von Mitteln für den Lebensunterhalt einer Ausländerin verlangt wird, welche dieser in Anwendung des AsylbLG gewährt worden sind.

Die Rechtsgrundlage für diese - zwischen den Beteiligten umstrittene - Forderung bildet vielmehr allein § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Der Erstattungsanspruch steht dabei nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Für Streitigkeit ausländerrechtlicher oder aufenthaltsrechtlicher Art aber sind mangels Sonderzuweisung an ein anderes Gericht die (allgemeinen) Verwaltungsgerichte einzig zuständig.

Daran würde es nichts ändern, wenn im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der von der Beklagten vorgenommenen Anwendung des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG etwa wegen einer denkbaren Begrenzung des geltend gemachten Anspruchs auf allein rechtmäßige Leistungsgewährungen nach dem AsylbLG inzident zu prüfen sein sollte, ob die Leistungsgewährung an Frau J. in allen Einzelheiten den Vorgaben des AsylLG entsprochen hat oder nicht. Bereits die vorrangige Frage, ob überhaupt eine solche Begrenzung der Rückforderung auf allein asylbewerberleistungsrechtlich rechtmäßig erbrachte Leistungen stattzufinden hat, ist eine solche, deren sedes materiae nicht im AsylbLG, sondern allein im AufenthG zu verorten ist. Über sie ist dementsprechend allein von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit als der für Fragen des AufenthG zuständigen Fachgerichtsbarkeit zu befinden.

Allein im Falle ihrer bejahenden Beantwortung wäre sodann als im Rahmen von § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (nur) inzident zu klärende weitere Frage die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung nach dem AsylbLG zu untersuchen. Dies allerdings könnte die gerichtliche Zuständigkeit nicht zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verschieben. Wenn der Kläger insoweit darauf verweist, das BSG (Beschluss vom 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R, betreffend einen Rechtsstreit über ein vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem dortigen Leistungsempfänger ausgesprochenes Hausverbot) fordere eine sach- und interessengerechte Abgrenzung der Zuständigkeiten von Sozial- und Verwaltungsgerichten und orientiere sich insoweit an Sachzusammenhang und Sachnähe der betreffenden Maßnahme, so verkennt er, dass auch nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) eine Bestimmung der Rechtswegzuständigkeit anhand solcher Kriterien nur dann vorzunehmen ist, wenn zwischen den Beteiligten um Rechtsfolgen gestritten wird, die (wie das Hausverbot im vom BSG entschiedenen Fall) ihre normative Grundlage nicht unmittelbar in einer gesetzlichen Regelung haben, bei der eine Zuordnung der Rechtswegzuständigkeit in § 40 Abs. 1 VwGO oder aber in § 51 SGG bereits eindeutig erfolgt ist. Normativ zuzuordnen ist der von der Beklagten geltend gemachte, vom Kläger in Frage gezogene Anspruch jedoch allein § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als der einzig denkbaren gesetzlichen Anspruchsgrundlage.

Allein für die Berechnung des Anspruchs mag ggf. auf Vorschriften des AsylbLG zurückzugreifen sein. Letzteres macht den Anspruch selbst jedoch nicht zu einer asylbewerberleistungsrechtlichen Forderung und damit zu einer Angelegenheit des AsylbLG i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, wie es etwa der Fall wäre, wenn eine Rückforderung von nach dem AsylbLG erbrachten Leistungen nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber dem Leistungsempfänger selbst im Streit stünde. Denn der Anspruch aus § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist kein Erstattungsanspruch, welcher aus einer spiegelbildlichen Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung nach dem AsylbLG folgt. Er ist vielmehr ein eigenständiger Anspruch gegen denjenigen, der eine Verpflichtung zur Erstattung öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt eines Ausländers aufgewendet werden, eingegangen ist, selbst wenn der Ausländer einen entsprechenden gesetzlichen Leistungsanspruch haben sollte. Seine Begründung findet dieser Anspruch nicht etwa - wie eine Erstattungsforderung nach § 50 SGB X - in einer rechtswidrigen Leistungserbringung an einen Ausländer, sondern in der vom Herangezogenen freiwillig eingegangenen eigenen Verpflichtung zur Erstattung von (selbst gesetzlich vorgesehenen) Leistungen an den Ausländer. Der Anspruch ist damit kein z.B. asylbewerberleistungsrechtlicher, sondern ein als originär zu qualifizierender Anspruch gegen denjenigen, der sich entsprechend verpflichtet hat.

Dass bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden im Einzelfall die Hauptlast der gerichtlichen Überprüfungstätigkeit nicht auf der eigentlichen ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Seite, sondern auf der inzidenten Überprüfung der Anwendung des AsylbLG liegen kann, kann nach allem auch unter den Gesichtspunkten von Sachnähe oder Sachzusammenhang bzw. Sach- und Interessengerechtigkeit keine andere als die gesetzlich eindeutige Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit begründen und liegt im Übrigen in der Natur der Sache. Für den vorliegenden Fall ist ohnehin nicht einmal offensichtlich, dass sich eine solche Verschiebung des gerichtlichen Prüfungsschwerpunkts überhaupt ergeben wird. Denn das hierfür allein zuständige (und im Übrigen auch sachnähere) Verwaltungsgericht wird etwa auch - ganz im Sinne der Zuständigkeitszuweisung für ausländer- bzw. aufenthaltsrechtliche Rechtsstreite - prüfen, ob die Verpflichtungserklärung des Klägers den Schriftformvorgaben des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genügt, und ob trotz der in Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift vorgesehenen Vollstreckbarkeit einer Verpflichtung nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes überhaupt eine sog. Verwaltungsaktskompetenz für die Geltendmachung der Forderung bestand. [...]

Der Senat hat die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht nach § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. [...]