OLG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.01.2002 - 20 W 479/01 - asyl.net: M1626
https://www.asyl.net/rsdb/M1626
Leitsatz:

Zulassung der Beschwerde eines Sudanesen gegen die Übermittlung personenbezogener Daten der Meldebehörden des Landes Hessen an das Hessische Landeskriminalamt.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Sudanesen, Übermittlung personenbezogener Daten, Rasterfahndung, Informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz, Beschwerdebefugnis, Rechtsschutzbedürfnis
Normen: HSOG § 26 Abs. 1; HSOG § 26 Abs. 4; FGG § 20 Abs. 1
Auszüge:

Am 24. September 2001 beantragte das Hessische Landeskriminalamt, der Beteiligte zu 1), bei dem Amtsgericht Wiesbaden nach § 26 Abs. 1 und 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) anzuordnen, dass die Meldebehörden des Landes Hessen, die hessischen Universitäten und Hochschulen sowie das Luftfahrtbundesamt verpflichtet sind, ihm von näher bestimmten Personengruppen automatisiert gespeicherte personenbezogene Daten, nämlich Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) zu übermitteln.

Der Beteiligte zu 1) begründete seinen Antrag im wesentlichen mit einer nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anzunehmenden Gefährdungssituation im Falle eines Militärschlages gegen Ziele in Afghanistan und/oder Unterstützerstaaten.

Mit Beschluss vom 25. September 2001 gab das Amtsgericht Wiesbaden dem Antrag in vollem Umfang statt. Über die Entscheidung wurde in der Presse berichtet (vgl. juris - Pressemitteilungen Justiz/dpa, Stichwort: Rasterfahndung).

Am 15. Oktober 2001 legte der Beteiligte zu 2), der nach eigenen Angaben in ... studiert und sudanesischer Staatsangehöriger ist, gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde ein. Er sieht in der Übermittlung von Daten an den Beteiligten zu 1), die seine Person betreffen, einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Landgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 14. November 2001 die nach den §§ 25 Abs. 4 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 HSOG, 19 FGG an sich statthafte Beschwerde mangels Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) als unzulässig angesehen und zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete - am 22. November 2001 eingegangene - weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig, weil das Landgericht die Erstbeschwerde als unzulässig behandelt hat (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 7). Die weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als die Sache an das Landgericht zur neuen Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.

Die Verneinung des Beschwerderechts des Beteiligten zu 2) durch das Landgericht ist nicht frei von Rechtsfehlern. Der Senat geht davon aus, dass der Richtervorbehalt und das gerichtliche Verfahren jedenfalls nicht nur dem Schutz der zur Datenübermittlung verpflichteten Stellen dienen, sondern vor allem dem Schutz der einzelnen Personen vor unrechtmäßiger Weitergabe der Daten. Eine andere rechtliche Beurteilung würde nach Auffassung des Senats den vom HSOG vorgesehenen und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verwirklichenden Grundrechtsschutz weitgehend leer laufen lassen.

Die unmittelbare Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt nach Auffassung des Senats bereits in der richterlichen Anordnung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG, weil durch sie die fehlende vorherige Zustimmung der einzelnen Personen bestimmter Personengruppen zur Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten und zu deren Besitz durch die Polizeibehörde ersetzt wird.

Danach durfte das Landgericht die Erstbeschwerde nicht ohne weiteres als unzulässig behandeln. Das Verfahren ist, weil der Senat als Rechtsbeschwerdegericht selbst keine Feststellungen tatsächlicher Art treffen darf, an das Landgericht zurückzuverweisen.

Bei seiner neuen Entscheidung wird das Landgericht zunächst zu prüfen haben, ob der Beteiligte zu 2) zu einer betroffenen Personengruppen gehört. Wenn dies der Fall ist, wird das Landgericht zu prüfen haben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten zu 2) fortbesteht.

Nach Auffassung des Senats kann ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten zu 2) nicht bereits dann verneint werden, wenn der bloße Vorgang der Übermittlung/ Weitergabe/Herausgabe der Daten als solcher abgeschlossen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis erfasst auch den fortdauernden Besitz der Daten mit der Möglichkeit der (weiteren) Verwertung. Dafür spricht auch die gesetzliche Regelung bei Gefahr im Verzug. In einem solchen Fall kann die Polizei die Anordnung zur Übermittlung der Daten selbst treffen. Sie muss dann aber unverzüglich die richterliche Bestätigung der Anordnung beantragen (§ 26 Abs. 4 Satz 4 HSOG). Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn nicht binnen drei Tagen eine richterliche Bestätigung erfolgt (§ 26 Abs. 4 Satz 5 HSOG). Das Gesetz enthält keine Beschränkung dahin, dass die nachträgliche richterliche Bestätigung der polizeilichen Anordnung nur auf den Fall beschränkt ist, dass die Datenübermittlung als solche noch nicht oder noch nicht vollständig erfolgt ist.

Bei Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses des Beteiligten zu 2) wird das Landgericht den Antrag des Beteiligten zu 1) einer genauen Sachprüfung unterziehen müssen. Es darf sich dabei nicht auf eine Plausibilitätsprüfung beschränken, sondern muss selbst die Tatsachen feststellen, die eine richterliche Anordnung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG rechtfertigen (vgl. zu dem Prüfungsumfang bei einer richterlichen Anordnung polizeilichen Gewahrsams nach dem HSOG: BVerfGE 83, 24 = NJW 1991, 1283).

Das Landgericht muss feststellen, ob eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Übermittlung der verlangten Daten zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Dateibeständen zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.