OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 18.11.2009 - 22 W 44/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 45 f.] - asyl.net: M16245
https://www.asyl.net/rsdb/M16245
Leitsatz:

Eine ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Haftbeschlusses setzt voraus, dass die Entscheidung vollständig, also einschließlich der gesamten Gründe durch den zuständigen Richter bekannt gegeben wurde, was aus dem maßgeblichen Protokoll hervorgehen muss. Das OLG weist ferner darauf hin, dass die angeordnete Dauer der Sicherungshaft im Falle der Anordnung sofortiger Wirksamkeit bereits mit Erlass der Entscheidung anläuft; vorliegend war die angeordnete Dauer von 3 Monaten zum Zeitpunkt der Festnahme bereits verstrichen.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftbeschluss, Bekanntgabe, Anhörung
Normen: GG Art. 104 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, FGG § 27, FGG § 22 Abs. 1, FreihEntzG § 5, FreihEntzG § 11 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...]

Maßgeblich für die Frage, ob das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde innerhalb der Frist des § 22 Abs. 1 FGG eingelegt wurde, ist zunächst der Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung bekannt gemacht worden ist (BayObLGZ 1995, 391; OLGR Frankfurt 1995, 249; Baronin von König in Janssen, FGG, 3. Aufl., § 22 Rn. 7). Eine ordnungsgemäße Bekanntgabe in diesem Sinne setzt voraus, dass die Entscheidung vollständig, also einschließlich der gesamten Gründe bekannt gegeben wurde, was aus dem maßgeblichen Protokoll hervorgehen muss (Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 22 Rn. 22). Gegebenenfalls ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen und auf Wunsch eine Abschrift der Entscheidung auszuhändigen (Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler, § 16 Rn. 23), unter Umständen unter Beifügen einer Rechtsmittelbelehrung (Marschner/ Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 6 FreihEntzG Rn. 2). Die Bekanntgabe muss insbesondere durch einen Richter erfolgen.

Zu alledem verhält sich die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht. Zwar führt das Landgericht aus, der Beschluss vom 17. September 2007 sei dem Betroffenen unmittelbar im Zusammenhang mit der Verhaftung am 25. April 2008 bekannt gemacht worden. Dies aber reicht für eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht nicht aus. Auch ist der Senat als Gericht der weiteren sofortigen Beschwerde, der die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde überdies von Amts wegen zu prüfen hat (Meyer-Holz in Keidel/ Kuntze/Winkler, § 27 Rn. 15 m.w.N.) hieran nicht gebunden. Denn der Begriff des Bekanntmachens umschreibt keine Feststellung im tatsächlichen Sinne, sondern ist als Rechtsbegriff vielmehr mit tatsächlichen Feststellungen zu unterlegen, die eine Subsumtion und nachfolgend eine Rechtskontrolle ermöglichen. Derartige Feststellungen aber hat das Landgericht nicht getroffen. Aus der angefochtenen Entscheidung geht nicht hinreichend hervor, ob die Bekanntgabe der Entscheidung den an sie zu stellenden Erfordernissen genügt.

Die angefochtene Entscheidung weckt vielmehr Zweifel an einer im Sinne von § 22 Abs. 1 FGG ordnungsgemäßen Bekanntgabe. Das Landgericht hat nämlich ausgeführt, der Beschluss sei dem Betroffenen unmittelbar im Zusammenhang mit seiner Verhaftung bekannt gemacht worden, was sich aus dem "polizeilichen" Protokoll der Beschuldigtenvernehmung ergebe. Zuvor sei ihm "durch die Polizei" in Bremen eröffnet worden, dass die Verhaftung aufgrund des Sicherungshaftbefehls des Amtsgerichts Hildesheim erfolgte. Eine durch einen Richter erfolgte Bekanntgabe hat das Landgericht nicht festgestellt. Soweit die Beteiligte im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 19. August 2009 ausführt, der Abschiebehaftbeschluss sei dem Betroffenen durch das Amtsgericht Bremen am 25. April 2008 "eröffnet und bestätigt" worden, handelt es sich hierbei um neues, weil beschlussfremdes und vom Senat im Rahmen der Rechtskontrolle nicht berücksichtigungsfähiges tatsächliches Vorbringen.

Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bekanntgabe auch in örtlicher Hinsicht Zweifel weckt. Denn eine Bekanntgabe hat grundsätzlich durch das Gericht zu erfolgen, das die maßgebliche Entscheidung erlassen hat. Ein anderes Gericht im Wege der Rechtshilfe hierum zu ersuchen, ist grundsätzlich unzulässig (Schmidt a.a.O., Rn. 29). Dass andererseits das nach dort erfolgter Festnahme nach Maßgabe von § 4 Abs. 2 FreihEnztG ebenfalls örtlich zuständige Amtsgericht Bremen nach entsprechender Anhörung eine eigene Haftentscheidung erlassen hatte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit indessen das Amtsgericht Bremen selbst eine Haftentscheidung getroffen haben sollte [die Formulierung der Beteiligten, das Amtsgericht Bremen habe den "Beschluss ... bestätigt", legt eine solche Möglichkeit nahe], könnte für eine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde nicht das Landgericht Hildesheim, sondern das Landgericht Bremen zuständig gewesen sein. All dies ist nicht aufgeklärt, und auch aus den Akten nicht ersichtlich.

Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die Entscheidung des Landgerichts in jeder Hinsicht auf einer genügenden Tatsachengrundlage erfolgte.

3. Ob das Rechtsmittel in der Sache Erfolg hätte, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen hierzu nicht abschließend beurteilen. Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kam hiernach nicht in Betracht.

Der Senat weist vorsorglich aber darauf hin, dass die vom Betroffenen angefochtene Freiheitsentziehung auf der Grundlage des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 17. September 2007 auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht bedenkenfrei erscheint. So hat der Betroffene zu Recht darauf hingewiesen, dass zumindest aus der angefochtenen Entscheidung nicht hervor geht, ob, in weicher Form und mit welchem Ergebnis eine nach § 5 FreihEntzG grundsätzlich erforderliche persönliche Anhörung stattgefunden hat, gegebenenfalls auch im Wege unverzüglicher Nachholung nach Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG. Die Anhörung nach § 5 FreihEntzG dient nicht nur dem rechtlichen Gehör, sondern der gebotenen Sachaufklärung, und ist damit wesentlicher Verfahrensbestandteil, der auf die Rechtsmäßigkeit der Inhaftnahme regelmäßig durchschlägt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 20.11.06 [22 W 78/06] m.w.N.).

Vor allem aber hat der Betroffene zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 17. September 2007 zum Zeitpunkt der Festnahme am 24. April 2008 keinen vollstreckungsfähigen Inhalt mehr gehabt haben könnte. Denn die vom Amtsgericht angeordnete Dauer der Sicherungshaft von 3 Monaten war zum Zeitpunkt der Festnahme am 24. April 2008 bereits verstrichen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Haft bereits vollzogen worden war, denn die Frist begann bereits zum Zeitpunkt des Erlasses zu laufen (vgl. OLG Schleswig, FGPrax 2008, 229 m.w.N.). Dies gilt auch nach der Rechtsprechung des Senats vor allem deshalb, weil mit der Entscheidung deren sofortige Wirksamkeit angeordnet worden war. Ob möglicherweise die Haft letztlich aufgrund einer vom Amtsgericht Bremen - evtl. rechtsfehlerhaft - getroffenen Entscheidung vollzogen wurde, kann der Senat nicht überprüfen. [...]