OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.09.2009 - 2 S 72.09 - asyl.net: M16182
https://www.asyl.net/rsdb/M16182
Leitsatz:

Zweifelhaft ist, ob eine Verwaltungspraxis ein Absehen von dem gesetzlich geregelten Ausschlussgrund des § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG rechtfertigen kann (hier: Vorläufige Anwendungshinweise der ABH Berlin v. 31.7.09 zur Offenbarung nach Täuschung über Identität).

Schlagwörter: Altfallregelung, Bleiberecht, Täuschung über Identität, Ausschlussgrund, Anwendungshinweise, Verwaltungspraxis
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4, VAB A.104a.1.1.4, GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist darüber hinaus unbegründet. Das Vorbringen der Antragstellerin, dass die bis September 2008 anhaltende Täuschung über ihre Identität deshalb nicht zur Annahme eines Ausschlussgrundes gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG führe, weil sie gemäß Gliederungspunkt A.104a.1.1.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise der Ausländerbehörde Berlin - Fassung vom 31. Juli 2009 - (VAB) ihre wahre Identität von sich aus offenbart habe und deshalb aus Gleichbehandlungsgründen nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ihr eine Täuschung nicht vorgeworfen werden könne, vermag nicht zu überzeugen. Legt man der Prüfung des Ausschlussgrundes die VAB als Ausdruck einer aus Gleichbehandlungsgründen nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz zu beachtenden Verwaltungspraxis zugrunde, so erfüllt die Antragstellerin bereits nicht die darin aufgestellten Anforderungen. Die Antragstellerin wurde bereits vor ihrer Selbstoffenbarung vom Antragsgegner mit dessen Ermittlungsergebnissen hinsichtlich ihrer Identität konfrontiert, so etwa mit an das Verwaltungsgericht Berlin gerichtetem Schriftsatz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Antragstellerin zum Aktenzeichen VG 10 A 460/06 vom 11. Dezember 2006 und vom 25. Januar 2007. In einem solchen Fall muss die Offenbarung nach den Vorläufigen Anwendungshinweisen (Gliederungspunkt A.104a.1.1.4, 2. Abs.) spätestens im unmittelbaren Zusammenhang mit der Konfrontation erfolgt sein. Vorliegend beharrte dagegen die Antragstellerin auch danach noch auf ihrer Alias-Identität "G.". Dass erst mit der Aussage der Antragstellerin im September 2008 ihre vollständige wahre Identität, insbesondere ihr Nachname, der Antragsgegnerin vollständig bekannt wurde, ändert hieran nichts.

Mit Blick darauf, dass es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Privilegierung der Antragstellerin fehlt, kann offen bleiben, ob die VAB als Ausdruck einer Verwaltungspraxis vorliegend überhaupt eine die Antragstellerin begünstigende Entscheidung zu tragen vermögen. Hieran bestehen deshalb Zweifel, weil der eindeutige Wortlaut des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG grundsätzlich für eine einschränkende Auslegung des Begriffs der vorsätzlichen Täuschung keinen Anhalt bietet (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 7 A 377/09 -, juris Rz 45) und der Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit ein Absehen von einem gesetzlichen Ausschlussgrund nicht rechtfertigen dürfte. [...]