VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 22.10.2009 - 33 L 225.09 A - asyl.net: M16145
https://www.asyl.net/rsdb/M16145
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 8.9.09 - 2 BvQ 56/09 - M16028).

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin II-VO, Griechenland, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: VwGO § 123, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 31 Abs. 1, GG Art. 16a Abs. 2 Satz 1, AsylVfG § 26a Abs. 2, Dublin II-VO Art. 10 Abs. 1, Dublin II-VO Art. 18 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Das Begehren des Antragstellers hat in der Form des auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO gerichteten Hilfsantrages Erfolg. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der zugleich zum Aktenzeichen VG 33 K 226.09 A erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO scheidet demgegenüber aus, weil ein auf den 7. Oktober 2009 datierter Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, in dem der Asylantrag für unzulässig erklärt und die Abschiebung nach Griechenland angeordnet werden, mangels Zustellung (vgl. § 31 Abs. 1 Sätze 2, 4 u. 5 AsylVfG) noch keine Wirksamkeit erlangt hat. Dem Antragsteller ist indes nicht zuzumuten, zunächst vor Stellung eines Eilantrages die Zustellung dieses Bescheides abzuwarten, weil die Gewährung effektiven Rechtsschutzes angesichts der in Verfahrenskonstellationen nach §§ 27 a, 34 a AsylVfG gesetzlich möglichen und regelmäßig vorgesehenen kurzfristigen Zustellung nicht möglich wäre. [...]

Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob mit einem Teil der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unter Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisquellen davon auszugehen ist, dass Asylbewerber derzeit in Griechenland generell gravierenden Schwierigkeiten hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren, dessen Durchführung und der Sicherung ihres Lebensunterhalts ausgesetzt sind (so. z.B. VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2008 - 13 L 1993/08.A -; VG Berlin, Beschluss vom 27. Februar 2009 - VG 34 L 57.09 A -; VG Gießen, Beschluss vo22. April 2009 - 1 L 775/09.GI.A -; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 12. August 2009 - 9 B 37/09 -). Ebenso ist unerheblich, inwieweit der Antragsteller sich auf allgemein gehaltene Rügen hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung des Flüchtlingsschutzes in Griechenland beschränkt oder auch konkrete Umstände zur Art seiner Behandlung dort als Flüchtling vorträgt. Weiter muss der Umstand, dass der Antragsteller offenbar von Anfang an beabsichtigte, nach Deutschland zu gelangen, wo Verwandte von ihm leben, nicht bewertet werden. Auch wenn es schließlich - wie die Beigeladene vorträgt - so sein mag, dass ihm nach der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland in Griechenland eher eine größere Aufmerksamkeit zu Teil werden würde als anderen Asylbewerbern, geht das Gericht von einem die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zulassenden Sonderfall im Hinblick darauf aus, dass das Bundesverfassungsgericht nunmehr in mehreren Eilverfahren die Vollziehung von Abschiebungen nach Griechenland vorläufig untersagt hat (Beschlüsse vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, vom 23. September 2009 - 2 BvQ 68/09 - und vom 9. Oktober 2009 - 2 BvQ 72/09 -). Auf zwischen dem verfassungsprozessualen und verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz bestehende Unterschiede kommt es dabei nicht an. Entscheidend für die ausnahmsweise anzunehmende Zulässigkeit verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes ist, dass das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung umfangreichen Beschwerdevorbringens zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland Anlass zur Untersuchung sieht, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist. Der Entscheidung ist eine über den Einzelfall hinausgehende Tragweite beizumessen (VG des Saarlandes, Beschluss vom 15. September 2009 - 2 L 876/09 -). Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerden und Eilanträge von vor den Verwaltungsgerichten unterlegenen Antragstellern Abschiebungen nach Griechenland untersagt, erscheint es nur folgerichtig, wenn bereits zuvor im fachgerichtlichen Verfahren vorläufiger Rechtsschutz nicht von vornherein in Anwendung des § 34 Abs. 2 Asy1VfG ausgeschlossen wird.

Die begehrte einstweilige Anordnung auf vorläufige Untersagung der Abschiebung des Antragstellers ist zu erlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens als offen angesehen. Mithin ist auch offen, inwieweit der Antragsteller in einem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren mit seinem Begehren, seine Abschiebung zu verhindern und im Ergebnis eine Prüfung seines Asylantrages in Deutschland zu erreichen, durchdringen könnte. [...]