VG Freiburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 08.09.2009 - 4 K 1284/09 - asyl.net: M16100
https://www.asyl.net/rsdb/M16100
Leitsatz:

Stellt ein (durch einen Rechtsanwalt vertretener) Ausländer einen Antrag nur nach § 25 Abs. 5 AufenthG und schließt dabei ausdrücklich einen Aufenthaltstitel aus anderen Gründen, insbesondere aus Gründen des Familiennachzugs (nach dem 6. Abschnitt, §§ 27 ff. AufenthG) aus, weil er die nach diesem Abschnitt erforderlichen Voraussetzungen nicht für gegeben erachtet, ist die Prüfung des Gerichts (im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO) auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift beschränkt.

§ 25 Abs. 5 AufenthG ist keine allgemeine Auffangnorm für die Fälle, in denen die in den §§ 27 ff.

AufenthG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt werden.

Ist die Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen nach den §§ 27 ff. AufenthG auch unter Beachtung der Schutzpflichten aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtmäßig, verstoßen grundsätzlich weder die damit einhergehende Ausreisepflicht noch deren zwangsweise Durchsetzung gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK.

Nicht alle Ausländer, die aufgrund von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG haben, erfüllen gleichzeitig die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen sich die schutzwürdigen familiären Beziehungen erst in der Entstehung befinden (wie hier).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Auffangnorm, allgemeine Auffangnorm, Schutzpflichten, Schutz von Ehe und Familie, Duldung, Anspruch auf Duldung, schutzwürdige familiäre Beziehungen,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 60a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Versagung der von den Antragstellerinnen beantragten Aufenthaltserlaubnisse durch die Antragsgegnerin erweist sich hiernach höchstwahrscheinlich als rechtmäßig.

Da die Antragstellerinnen durch ihre Prozessbevollmächtigte (mit Schreiben vom 08.05.2009) bei der Antragsgegnerin ausdrücklich allein einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gestellt haben, ist die Prüfung der Kammer auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dieser Vorschrift beschränkt. Insbesondere ist der Kammer hiernach eine Entscheidung darüber, ob den Antragstellerinnen (auch) eine Aufenthaltserlaubnis nach den Vorschriften über den Familiennachzug (§§ 27 ff. AufenthG) erteilt werden kann, verwehrt; das gilt vor allem im vorliegenden Fall, in welchem die Antragstellerinnen eine Aufenthaltserlaubnis nach den Vorschriften über den Familiennachzug ausdrücklich ausgeschlossen haben, weil sie - wohl zu Recht (siehe unten 1.1 - 1.3) - die Voraussetzung dafür nicht als gegeben erachten. Denn eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes (§§ 27 ff. AufenthG) dient grundsätzlich anderen Zwecken (der Herstellung oder Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft) als eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (zu humanitären Zwecken); bei beiden Aufenthaltserlaubnissen handelt es somit jeweils um eine andere Art (aliud) von Aufenthaltserlaubnissen (vgl. hierzu u. a. BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 , NVwZ 2008, 333; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 28.04.2008, VBlBW 2008, 490). Da eine Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 1 AufenthG aber nur auf Antrag, keineswegs jedoch von Amts wegen erteilt wird (werden darf), beschränkt sich die rechtliche Prüfung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allein auf den gestellten Antrag. Dass die Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid vom 06.07.2009 anders verfahren ist und (von Amts wegen) auch geprüft hat, ob die Antragstellerinnen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG besitzen, vermag daran grundsätzlich nichts zu ändern und den Umfang der gerichtlichen Prüfung nicht zu erweitern.

Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerinnen nach dieser Vorschrift zu versagen, kann rechtlich nicht beanstandet werden.

Tatsächliche Gründe, die einer Ausreise der Antragstellerinnen entgegenstehen könnten, haben die Antragstellerin nicht geltend gemacht, sie sind auch nicht ersichtlich. Aus rechtlichen Gründen ist die Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (vor allem aus Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG (siehe hierzu vor allem VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.2009, InfAuslR 2009, 236). Die Antragstellerinnen berufen sich insoweit ausschließlich auf ein aus dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 3 GG bzw. Art. 8 EMRK folgendes Abschiebungsverbot.

Dabei ist im vorliegenden Fall klar und zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Antragstellerin Ziff. 1, da zwischen ihr und Herrn T., dem leiblichen Vater der Antragstellerin Ziff. 2 keine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, selbst keinen Schutz nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK beanspruchen kann. Vielmehr hängt ihr Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG bzw. Art. 8 EMRK und damit die Annahme eines rechtlichen Hindernisses für ihre Ausreise aus Deutschland ab von einem aus den genannten Vorschriften folgenden Recht ihrer Tochter, der Antragstellerin Ziff. 2, auf ein Zusammenleben in Deutschland mit ihrem Vater, einem vietnamesischen Staatsangehörigen, der in Deutschland eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Eine Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin Ziff. 1 setzt demnach voraus, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin Ziff. 2 rechtswidrig ist. Das ist jedoch aus mehreren Gründen nicht der Fall.

1.1 Art. 6 GG, aus dem die Antragstellerin Ziff. 2 ihr Ausreisehindernis ableitet, gewährt Ausländern keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, dazu, bestehende eheliche und familiäre Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Für das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch die Menschenrechtskonvention garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Vertragsstaaten haben vielmehr das Recht, über Einreise und Aufenthalt fremder Staatsangehöriger unter Beachtung der in der Konvention geschützten Rechte zu entscheiden, wobei Art. 8 EMRK sie verpflichtet, einen angemessenen Ausgleich der berührten Rechte und der öffentlichen Interessen herzustellen. Diesen verfassungs- und menschenrechtlichen Schutzpflichten tragen die abgestuften gesetzlichen Regelungen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach dem sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes nach Maßgabe der nach Fallgruppen gewichteten besonderen Schutzbedürftigkeit der Betroffenen grundsätzlich abschließend Rechnung. Auch die allgemeinen Vorschriften (§§ 3 ff. AufenthG), soweit von diesen nicht nach den §§ 27 ff. AufenthG abgesehen werden muss, soll oder kann, sind gegebenenfalls unter Beachtung der wertsetzenden Bedeutung des Art. 6 GG - verfassungskonform - auszulegen und anzuwenden. Für aufenthaltsrechtliche Schutzpflichten aus Art. 8 EMRK gilt nichts Anderes. Ist die Versagung eines Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen nach den §§ 27 ff. AufenthG danach auch unter Beachtung der Schutzpflichten aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtmäßig, verstoßen grundsätzlich weder die damit einhergehende Ausreisepflicht noch deren zwangsweise Durchsetzung gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. In solchen Fällen scheidet eine Legalisierung des Aufenthalts aus familiären Gründen unter Rückgriff auf die - dafür nicht bestimmten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - Vorschriften über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen im fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, schon aus systematischen Gründen aus (so - weitgehend wörtlich - VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.2009, a.a.O., m.w.N.).

Zwar ist in der genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.03.2009, a.a.O.) auch ausgeführt, dass ausnahmsweise etwas Anderes gelten kann, wenn die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK unvereinbar wäre. Eine solcher Ausnahmefall, der naturgemäß eine atypische Fallgestaltung voraussetzt, ist hier jedoch nicht gegeben. Das folgt schon daraus, dass der Gesetzgeber in diesem Fall geregelt hat, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Herstellung und Wahrung der Familieneinheit für die Antragstellerinnen nicht in Betracht kommt (siehe oben). Des Weiteren kann die Frage, ob eine Abschiebung der Antragstellerinnen gegenwärtig nach den Art. 6 GG und 8 EMRK rechtlich zulässig wäre, im konkreten Fall nicht die allein entscheidende Frage sein, da nicht alle Ausländer, die aufgrund von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG haben, gleichzeitig die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllen. Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Voraussetzungen dafür bei den Antragstellerinnen nach den Gesamtumständen des konkreten Falls nicht vorliegen. Denn die Antragstellerin Ziff. 2 ist nicht in Deutschland geboren. Vielmehr ist sie erst etwa zwei Monate nach ihrer Geburt aus Kanada, dessen Staatsangehörigkeit die Antragstellerinnen besitzen, zu Beginn des Jahres 2009 zusammen mit ihrer Mutter nach Deutschland eingereist. Erst seither leben sie - mit einer Unterbrechung von drei Wochen im März 2009, während der sie sich in Vietnam aufhielten - mit Herrn T. in Deutschland zusammen. Es ist darüber hinaus höchst ungewiss, wie intensiv und vor allem wie dauerhaft die Beziehung zur Herrn T. ist. Immerhin sind die Antragstellerin Ziff. 1 und Herr T. nicht miteinander verheiratet. Statt dessen ist Herrn T. (noch) mit einer anderen Frau verheiratet. Es ist derzeit nicht absehbar, ob die bestehende Ehe von Herrn T. tatsächlich geschieden wird, ob er die Antragstellerin Ziff. 1 heiraten wird und ob er sich auf Dauer zur Antragstellerin Ziff. 1 und zu dem gemeinsamen Kind mit ihr bekennt. Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass es sich bei der Beziehung der Antragstellerinnen zu Herrn T. allenfalls um eine in der Entstehung befindliche Beziehung handelt, bei der die Bindungen noch nicht das Stadium erreicht haben, das es gebietet, den Aufenthalt der Antragstellerinnen durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu legalisieren.

1.2 Darüber hinaus dürfte es auch an der Voraussetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht der Antragstellerinnen fehlen. Nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten hielten sich die Antragstellerinnen bei Beantragung ihrer Aufenthaltserlaubnis am 08.05.2009 rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Daran änderte sich auch nichts durch Ablauf des Zeitraums des genehmigungsfreien Aufenthalts, da ihr Antrag die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat. Das bedeutet, dass sie bei Erlass des angegriffenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 06.07.2009 nicht ausreisepflichtig waren. Auch dieser Umstand, der auf der Besonderheit der kanadischen Staatsangehörigkeit der Antragstellerinnen beruht, zeigt, dass § 25 Abs. 5 AufenthG auf Fälle der vorliegenden Art, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Aufenthaltserlaubnis erstmals und in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Einreise ins Bundesgebiet beantragt wird, nicht zugeschnitten ist.

1.3 Schließlich dürfte die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerinnen selbst dann rechtmäßig sein, wenn man das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bejahte. Denn im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falls (siehe oben, insbes. 1.1. am Ende) ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen, das von der Kammer im Rahmen der nach § 114 Satz 1 VwGO geltenden Grundsätze (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 114 RdNrn. 4 ff.) nur eingeschränkt überprüft werden kann, fehlerhaft ausgeübt hat. Der Voraussetzungen der Sollvorschrift in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG liegen bei den Antragstellerinnen unstreitig nicht vor.

Hinzu kommt, dass die Antragstellerinnen nach insoweit unwidersprochenem Vortrag der Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung des Einkommens von Herrn T. nicht imstande sind, ihren Lebensunterunterhalt in vollem Umfang ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Transferleistungen zu decken und dass bei ihnen deshalb der Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt. Auch insoweit dürfte die Antragsgegnerin das ihr nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerfrei zu Lasten der Antragstellerinnen ausgeübt habe. [...]