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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 06.08.2009 - 3 A 2842/05.A - asyl.net: M15979
https://www.asyl.net/rsdb/M15979
Leitsatz:

Die Wiedereinreiseverweigerung gegen staatenlose Kurden aus Syrien knüpft nicht an ein asylerhebliches Merkmal an; Yeziden sind in der Türkei keiner mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt; es stellt keine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit dar, wenn Yeziden - der Tradition ihrer Religion entsprechend - ihre Religion nicht öffentlich ausüben können.

Schlagwörter: Syrien, Türkei, Kurden, Staatsangehörigkeit, Staatenlose, gewöhnlicher Aufenthalt, Einreiseverweigerung, Asylerheblichkeit, Verfolgungszusammenhang, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Verfolgungsdichte, Religion, religiöses Existenzminimum, Verfolgungshandlung, Missionierung, Anerkennungsrichtlinie, Religionsfreiheit
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung ist begründet, weil die Kläger zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats weder als Asylberechtigte im Sinne des Art. 16a Abs. 1GG anzuerkennen sind noch ihnen die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention - gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG § 60 Abs. 1 AufenthG zuzusprechen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann Asyl und Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG regelmäßig nur zuerkannt werden, wenn die Staatsangehörigkeit des Betroffenen geklärt ist. Offenbleiben kann dies nur, wenn hinsichtlich sämtlicher als Staat der Staatsangehörigkeit in Betracht kommender Staaten die Gefahr politischer Verfolgung entweder bejaht oder verneint werden kann. [...]

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Kläger die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitzen. Nicht abschließend geklärt werden kann im vorliegenden Verfahren, ob die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzen bzw. diese erlangen können. [...]

Die Kläger haben schon bei ihrer Anhörung beim Bundesamt - ohne anwaltliche Vertretung - angegeben, in Syrien keinen Pass oder Personalausweis gehabt zu haben. Der Kläger zu 1 hat angegeben, als Ausländer keinen Wehrdienst geleistet zu haben und "nur so eine Art Papier" in weiß gehabt zu haben. Bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 1 zudem angegeben, dass sie "Maktum" gewesen seien, die nur eine weiße Aufenthaltsgenehmigung besaßen und kein orange-rotes Papier. Angesichts. dieser stimmigen Angaben der Kläger geht der Senat davon aus, dass die Kläger aus Sicht des syrischen Staates staatenlos und nicht registriert sind ("Maktumin").

Als aus Sicht des syrischen Staates staatenlose Personen haben die Kläger bezüglich Syriens keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, da sie aufgrund ihrer illegalen Ausreise nicht wieder nach Syrien einreisen können und diese Wiedereinreisesperre nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpft.

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 30. Januar 2001 an das VG Aachen gelte sowohl für die "Adschnabi" als auch für die "Maktumin", dass eine Wiedereinreise nach Syrien rechtlich nicht und faktisch meist nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich sei. Es bedürfe dazu erheblicher Anstrengungen und vermutlich Bestechungen seitens der betreffenden Personen gegenüber syrischen Amtsträgern. Die harte Haltung der syrischen Behörden sei dabei völlig unbelastet von der Frage, wie viele Jahre, teilweise Jahrzehnte die betreffenden Personen sich zuvor in Syrien aufgehalten hätten. In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. April 2001 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes heißt es, dass die Frage, ob staatenlosen, aus Syrien stammenden kurdischen Volkszugehörigen, die Syrien illegal verlassen hätten, von den syrischen Behörden verwehrt werde, nach Syrien wieder einzureisen, klar mit ja beantwortet werden könne. Dabei mache es im Regelfall keinen Unterschied, ob sie zuvor über eine Ausländerkarte (Aufenthaltskarte) verfügten oder nicht. Nach der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 5. November 2002 an das VG Magdeburg können diejenigen Kurden, die als Ausländer registriert sind, nach Syrien nur dann wieder einreisen, wenn sie diese Wiedereinreise zuvor mit den syrischen Behörden abgestimmt haben, d.h. wenn sie für die Ausreise einen seinem Wesen nach temporären Grund hatten und diese temporäre Ausreise im Einvernehmen mit den syrischen Behörden stattgefunden hat. Ein aus Syrien kommender Kurde, der ohne Abstimmung und damit ohne Rückversicherung zu seiner Wiedereinreise aus Syrien ausgereist sei mit der Perspektive, sich dauerhaft in einem anderen Land anzusiedeln, werde nach Einschätzung des Orient-Instituts aller Voraussicht nach keine Wiedereinreise nach Syrien ermöglichen können - außer, und das sei natürlich im Einzelfall stets unvorhersehbar, diese Leute verfügten über irgendwelche Beziehungen, die sie in diesem dann erstrebten Sinne, etwa nach Syrien zurückkehren zu können, einsetzen könnten. Nach Auswertung dieser Auskünfte steht zur Überzeugung des Senats fest, dass den Klägern als aus Sicht des syrischen Staates staatenlosen Personen kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens die Wiedereinreise nach Syrien verweigert werden würde.

Ein Staat, der einen Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nichtpolitischen Gründen - ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert, löst seine Beziehung zu den Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. Er steht dem Staatenlosen dann in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat und ist nicht mehr taugliches Subjekt "politischer Verfolgung" im Sinne des Asylrechts. Die Bundesrepublik Deutschland wird nunmehr das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts. Dann aber ist es unter asylrechtlichen Gesichtspunkten ebenso wie im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, der insoweit tatbestandlich nicht weiter reicht als Art. 16a Abs. 1 GG, unerheblich, ob dem Staatenlosen im früheren Aufenthaltsland - könnte und würde er dahin zurückkehren - noch Verfolgung droht. Damit wird - mit anderen Worten - ein Asylanspruch gegenstandslos, nichts anderes hat in diesem Zusammenhang für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu gelten; der Status der betroffenen Person richtet sich nach dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl II S. 473 und 1977 II S. 235 - StlÜbk). Art. 31 StlÜbk gewährleistet ihnen einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2005 - 1 C 17/03 - BVerwGE 123,18; BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - 9 C 3/95 -. NVwZ-RR 1996, 205; BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - 9 C 75199 - NVwZ-RR 1996, 471).

Die Wiedereinreisesperre für "Maktumin" beruht nach Überzeugung des Senats auf im asylrechtlichen Sinne nichtpolitischen Gründen. Der Senat folgt insoweit der Einschätzung des OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 22.12.2006 - 3 B 19.05 - juris [Rdnr. 44, 45]), das ausgeführt hat: [...]

Der Senat muss nicht prüfen, ob Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen, weil die Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens die ursprünglich ausgesprochene Abschiebungsandrohung abgeändert und die ausdrückliche Benennung des Zielstaats Syrien aufgehoben hat. [...]

Auch soweit bei den Klägern eine türkische Staatsangehörigkeit in Betracht kommt, kann daraus kein Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten abgeleitet werden, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen.

Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzen bzw. diese erlangen können. Die Kläger haben lediglich mit Herrn ... eine Person bezeichnet, bei der es sich um einen Großvater des Klägers zu 1 handeln soll und der die türkische Staatsangehörigkeit besessen haben soll. Auch wenn die türkische Staatsangehörigkeit durch Geburt vermittelt wird (vgl. dazu OVG Münster, Urt. v. 23.07.2003 - 8 A 3920/02.A -), steht damit nicht fest, dass die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Für zuverlässige personenstandsrechtliche Nachforschungen wären weitere Angaben erforderlich, wie der vollständige Name auch der anderen Großeltern der Kläger, deren Geburtsdaten und Geburtsort, der Ort der personenstandsamtlichen Registrierung sowie die entsprechenden Angaben für die Eltern der Kläger (vgl. die vom Senat eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. März 2009). Die Kläger können offenbar weitere Angaben nicht machen; weitere Ermittlungen des Senats sind deshalb nicht erfolgversprechend. Sollten die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, wäre sie jedenfalls - was die Kläger selbst einräumen - nur sehr schwer zu realisieren.

Der Senat prüft dennoch für den Fall, dass die Kläger türkische Staätsangehörige sein sollten, das Bestehen eines Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei. [...]

Würden die Kläger zukünftig in der Türkei leben, würde ihnen aufgrund ihres yezidischen Glaubens auch keine Gruppenverfolgung drohen. [...]

Die Kläger, sollten sie sich in der Türkei ansiedeln, müssten nicht im Siedlungsgebiet der kurdischen Yeziden im Südosten der Türkei leben. Für eine Verfolgung außerhalb dieses traditionellen Siedlungsgebiets fehlen jegliche Anhaltspunkte. Schon deshalb besteht für die Kläger keine Gefahr der Gruppenverfolgung in der Türkei wegen ihres yezidischen Glaubens. Aber auch wenn sich die Kläger im Südosten der Türkei ansiedeln sollten, droht ihnen aufgrund ihrer yezidischen Religion keine Gruppenverfolgung. Der Senat schließt sich der unter anderem vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 17.07.2007 - 11 LB 332/02 -) und vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Urt. v. 24.10.2007 - 3 L 380/04 -) vertretenen Auffassung an, dass glaubensgebundene Yeziden. gegenwärtig und in absehbarer Zeit nicht von einer asylerheblichen Gruppenverfolgung betroffen sind. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass nur noch sehr wenig Yeziden in der Türkei leben und seit Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von Muslimen auf Yeziden bekanntgeworden sind, somit die für eine Gruppenverfolgung erforderliche "Verfolgungsdichte" fehlt. Vom Auswärtigen Amt wird die Anzahl der noch in der Türkei lebenden bzw. dorthin zurückgekehrten Yeziden auf zuletzt ca. 2 000 beziffert (vgl. Lagebericht vom 25. Oktober 2007, S. 20; Lagebericht vom 11. Januar 2007, S. 26). Nach Angaben von Vertretern der Syriani und Yeziden sind in ihren Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei seit mehreren Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von Muslimen gegenüber diesen Religionsgruppen mehr bekannt geworden (AA, Lagebericht vom 11. Januar 2007, S. 26). Es bestünden aber noch Probleme bei der - die Kläger nicht betreffenden - (Wieder-) Eintragung von Eigentumsrechten an Grundstücken, zumal in Teilen dieser Gebiete ein Grundbuchwesen erst im Aufbau begriffen sei (AA, Lagebericht vom 25. Oktober 2007, S. 21; AA, Lagebericht vom 11. Januar 2007, S. 26).

Auch die Behauptung der Kläger, die yezidische Religion würde nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit ausgeübt und an einer öffentlichen Religionsausübung seien sie bei einer Ansiedelung in der Türkei gehindert, führt nicht dazu, dass die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen sind oder ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. [...]

Die Behauptung der Kläger, die Sitten und Gebräuche der Yeziden würden in der Bundesrepublik Deutschland auch öffentlich ausgeübt, die Yeziden hätten öffentliche Gebetsräume und Gemeindezentren aufgebaut, in denen bei offenen Türen und mit Teilnahme zahlreicher nichtyezidischer Besucher religiöse Feiern stattfänden, steht im Widerspruch zu den bisherigen Erkenntnissen über die Ausübung der yezidischen Religion. Nach diesen wird die Zugehörigkeit zum Yezidentum ausschließlich über Geburt vermittelt. Eine Konversion zum Yezidentum ist nicht möglich, der Religion ist folglich das Element der Missionierung fremd. Das Yezidentum zeichnet sich durch ein strenges Kastensystem aus, so kann z.B. nur innerhalb einer Kaste geheiratet werden. Die religiösen Rituale der Yeziden dürfen nicht vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden. Die Yeziden werden deshalb auch als Geheimorganisation bezeichnet (vgl. etwa Amnesty International an VG Köln vom 16.08.2005). Nach bisheriger Auffassung durften religiöse Rituale der Yeziden somit nicht vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden. Da ein Übertritt zum durch Geburt vermittelten Yezidentum nicht möglich ist, gibt es eigentlich keinen Grund, religiöse Rituale abweichend von der bisherigen Tradition öffentlich durchzuführen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass die entsprechenden Behauptungen der Kläger zutreffen, würde dies nicht zu einer schwerwiegenden Verletzung der Religionsfreiheit führen. Die Kläger könnten dann nämlich lediglich ihre Religion in der Türkei - der Tradition der Religion entsprechend - nicht mehr öffentlich ausüben. Darin liegt keine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit (Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich), die allein die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen würde (ebenso: OVG des Saarlandes, B. v. 26.03.2007 - 3 A 30/07 -; Niedersächsisches OVG, B. v. 13.11.2008 - 11 LA 174/08 -). Der Anregung der Kläger, zur Frage der Religionsausübung der Yeziden in der Öffentlichkeit Beweis durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Zentralrats der Yeziden in Deutschland einzuholen, musste der Senat deshalb nicht folgen. [...]