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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2009 - 12 A 1638/07 - asyl.net: M15873
https://www.asyl.net/rsdb/M15873
Leitsatz:

Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten führt nicht dazu, dass ein Antrag von der zuständigen Behörde nicht zu bescheiden wäre, sondern hat allenfalls Auswirkungen auf die Begründetheit des Antrags.

 

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Verfahrensrecht, Verpflichtungsklage, Zulässigkeit, Untätigkeitsklage, Unterlagen, Rechtsschutzbedürfnis, Mitwirkungspflichten, Antrag, Antragserfordernis, Staatsangehörigkeitsfeststellung, deutsche Staatsangehörigkeit
Normen: VwGO § 75; StAG § 30 Abs. 1; StAG § 37 Abs. 1; AufenthG § 82; StAG § 30 Abs. 2; RuStAG § 4 Abs. 1 a.F.
Auszüge:

Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten führt nicht dazu, dass ein Antrag von der zuständigen Behörde nicht zu bescheiden wäre, sondern hat allenfalls Auswirkungen auf die Begründetheit des Antrags.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Voraussetzungen für die Zurückverweisung sind gegeben. Der Kläger hat die Zurückverweisung beantragt und das Verwaltungsgericht hat noch nicht über die Sache selbst entschieden, sondern die Verpflichtungsklage des Klägers als unzulässig abgewiesen. Diese Auffassung teilt der Senat indes nicht. Vielmehr ist von der Zulässigkeit der Klage auszugehen. Die Voraussetzungen des § 75 Sätze 1 und 2 VwGO liegen ebenso wie das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers vor.

Der Zulässigkeit der Klage steht nach § 75 VwGO nicht entgegen, dass es bisher an einer Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers fehlt. Die Beklagte hat über diesen Antrag nämlich ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden. Ein zureichender Grund ist im vorliegenden Fall nicht darin zu sehen, dass die Beklagte den Antrag des Klägers wegen des Fehlens von Unterlagen noch nicht als bescheidungsfähig ansah. Zwar kann sich eine Behörde in diesem Zusammenhang grundsätzlich auf die Unvollständigkeit von Unterlagen berufen, wenn sie dem Betroffenen mitteilt, welche Informationen oder Unterlagen noch benötigt werden (vgl. Dolde/Porsch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. I, Stand: Oktober 2008, § 75 Rn. 8; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 75 Rn. 13; Leisner, Die untätige Behörde - Zum "zureichenden Grund" der Entscheidungsverzögerung bei der Untätigkeitsklage, VerwArch 91 (2000), 227 (252); vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 2003 - 5 S 1279/01 -, BauR 2003, 1345 ff. (dazu, dass ein unvollständiger Bauantrag die Drei- Monatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO nicht auslöse)).

Ist aber zwischen der Behörde und dem Antragsteller gerade die Frage streitig, ob die vorgelegten Unterlagen als ausreichend anzusehen sind und gibt der Antragsteller zu erkennen, dass er zur Vorlage weiterer Unterlagen nicht bereit ist, er vielmehr seinen Antrag für bescheidungsfähig hält und eine Entscheidung der Behörde auf der Basis der ihr vorliegenden Angaben und Nachweise begehrt, besteht für die Behörde kein zureichender Grund mehr, über den Antrag nicht zu entscheiden. [...]

Die Verpflichtungsklage ist auch nicht etwa mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Bei Leistungsklagen einschließlich der Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich vom Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses auszugehen. Denn die Rechtsordnung erkennt dann, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in der Regel auch das Interesse desjenigen, der sich als Inhaber dieses Rechts sieht, an der gerichtlichen Durchsetzung des Rechts an. Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten materiellen Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur, wenn besondere Umstände vorliegen, die diesen Zusammenhang durchbrechen und das Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 - 9 C 44.87 -, BVerwGE 81, 164 ff.; Urteil vom 15. Januar 1999 - 2 C 5.98 -, Buchholz 310 § 42 Abs. 1 VwGO Nr. 1 = NVwZ-RR 1999, 472).

Dazu zählt die Möglichkeit zur schnelleren oder einfacheren Erreichung des Klageziels auf anderem Weg als durch verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, Vor § 40 Rn. 12; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, § 42 Rn. 349).

Daher fehlt für eine Verpflichtungsklage wegen des in §§ 42 Abs. 1, 2. Alt., 68 Abs. 2, 74 Abs. 2, 75, 78 Abs. 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Antragsgrundsatzes grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Kläger zuvor keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. Juli 1990 - NC 9 S 58/90 -, NVwZ-RR 1990, 566; von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage 2007, vor §§ 40 ff. Rn. 26; Rennert, in: Eyermann, a. a. O., vor § 40 Rn. 13). [...]

Antragsabhängig ist gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG grundsätzlich auch die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeitsbehörde. In staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren ergeben sich Anforderungen im Zusammenhang mit der Antragstellung aus § 37 Abs. 1 StAG i. V. m. § 82 AufenthG. Danach ist der Antragsteller verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen (vgl. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dass es sich dabei um Voraussetzungen für die Bescheidungsfähigkeit eines Antrags handelt, ergibt sich aber aus dem Wortlaut nicht. Vielmehr folgt schon daraus, dass die Behörde gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Frist zur Erfüllung der Anforderung des Satzes 1 setzen kann und gemäß § 82 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nach Ablauf der Frist geltend gemachte Umstände und beigebrachte Nachweise unberücksichtigt bleiben können, dass die Angaben und die Vorlage der Nachweise nicht Bestandteil der Antragstellung sind. Vielmehr werden den Antragstellern notwendige Mitwirkungspflichten auferlegt (vgl. BT-Drucks. 14/533, S. 17; dazu auch: Marx, in: GK-StAR, Bd. 1, Stand: Mai 2009, § 37 Rn. 11 ff.; Renner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Auflage 2005, § 37 StAG Rn. 7 ff.).

Durch die ausdrückliche Regelung dieser Pflichten soll die Notwendigkeit einer Amtsaufklärung möglichst verringert und das Verfahren vereinfacht bzw. beschleunigt werden (vgl. Renner, a.a.O., § 37 Rn. 7).

Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten führt nicht dazu, dass der Antrag nicht zu bescheiden wäre. Sie kann aber bei einer gebotenen Beweiswürdigung berücksichtigt werden (vgl. Funke-Kaiser, GKAufenthG, Bd. 3, Stand: Mai 2009, § 82 Rn. 49; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 2, Stand: April 2009, § 82 Rn. 45).

Die Frage, ob ein Antragsteller in staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, ist damit eine solche der Begründetheit seines Antrags und keine Frage der wirksamen Antragstellung.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 30 Abs. 2 StAG. Danach ist es für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden, Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und danach nicht wieder verloren gegangen ist. Mit der Anknüpfung an die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit bezieht sich diese Vorschrift ebenfalls ersichtlich auf die Begründetheit des Feststellungsantrags und stellt keine förmlichen Anforderungen an eine Antragstellung auf.

Selbst wenn der Kläger mit seiner Antragstellung nicht alle erforderlichen Nachweise zur Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit erbracht hätte, hat er dennoch einen grundsätzlich bescheidungsfähigen Antrag bei der Beklagten gestellt, denn anhand seines Antrags war jedenfalls ersichtlich, dass er von der Beklagten die Feststellung des Bestehens seiner deutschen Staatsangehörigkeit und die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises begehrte. Aufgrund dieses Antrags fehlte ihm nicht mangels vorheriger Antragstellung das Rechtsschutzbedürfnis für die von ihm erhobene Verpflichtungsklage.

Die Zurückverweisung ist aus prozessökonomischen Gründen angemessen, weil dadurch das in erster Linie dazu berufene erstinstanzliche Gericht Gelegenheit zu Ausführungen hinsichtlich der Begründetheit der derzeit nicht entscheidungsreifen Klage nach einer erforderlichen weiteren Sachaufklärung - ohne Instanzverlust für die Beteiligten - erhält.

Nach den vorliegenden Unterlagen lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger gemäß § 4 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) in der im Zeitpunkt seiner Geburt am 1963 geltenden Ursprungsfassung vom 22. Juli 1913, RGBl. S. 583, (im Folgenden: RuStAG a.F.) die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hat, weil es an Nachweisen dafür fehlt, dass sein am ... 1936 geborener Vater B. L. (ebenfalls nach dieser Vorschrift) die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb. [...]