VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 23.04.2009 - AN 5 K 08.01238 - asyl.net: M15842
https://www.asyl.net/rsdb/M15842
Leitsatz:

Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Verfahrensanordnung des Bundesinnenministeriums die Aufnahme jüdischer Immigranten aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion von der Feststellung einer positiven Integrationsprognose mittels eines Punktekatalogs abhängig macht.

 

Schlagwörter: Aufnahmezusage, Bundesamt, Juden, Sowjetunion, Integrationsprognose, Punktekatalog, Selbstbindung der Verwaltung, Altfälle, Rückwirkung
Normen: AufenthG § 23 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Verfahrensanordnung des Bundesinnenministeriums die Aufnahme jüdischer Immigranten aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion von der Feststellung einer positiven Integrationsprognose mittels eines Punktekatalogs abhängig macht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufnahmezusage nach § 23 Abs. 2 AufenthG zu Recht abgelehnt.

Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann das Bundesministerium des Innern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland in Benehmen mit den Obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Diesen Ausländern wäre dann entsprechend der Aufnahmezusage eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Mit der Verfahrensanordnung des Bundesministeriums des Innern vom 24. Mai 2007 (Verfahrensanordnung BMI) wurde dem Bundesamt im Benehmen mit den Bundesländern die Aufgabe übertragen, unter Wahrung eines bestimmten Verfahrens über die Aufnahme jüdischer Immigranten aus den Staaten der früheren Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten zu entscheiden. In der Verfahrensanordnung BMI wurden darüber hinaus - anders als in den Vorgängerregelungen - konkrete Aufnahmevoraussetzungen genannt.

Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufnahmezusage. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass es sich bei einer Entscheidung nach § 23 Abs. 2 AufenthG um eine politische Leitentscheidung handelt, die einer inhaltlichen Kontrolle durch die Gerichte weitgehend entzogen ist (vgl. Hailbronner, AuslR, § 23 AufenthG, RdNr. 6 m.w.N.). Abgesehen von den sehr weit gefassten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 AufenthG kann sich der Kläger somit lediglich auf die Verletzung des Willkürverbots bzw. des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes stützen. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur (deckungsgleichen) Vorgängervorschrift des § 32 AuslG 1990 (Urteil vom 19.9.2000, Az. 1 C 19/99, juris) aus, dass eine Anordnung durch die Oberste Landesbehörde in deren freiem Ermessen steht, das lediglich durch die im Gesetz genannten Motive (d.h. hier: Wahrung besonders gelagerter politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland bzw. Benehmen mit den Obersten Landesbehörden) begrenzt ist. Es handelt sich somit um eine politische Entscheidung, die grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BVerwG, a.a.O.). Da kein Anspruch eines einzelnen Ausländers, von der Regelung (zur Erteilung einer Aufnahmezusage) erfasst zu werden, besteht, steht es dem Bundesministerium des Innern frei, den von der Anordnung erfassten Personenkreis zu bestimmen und dabei sowohl die Erteilungsvoraussetzungen als auch Ausschlussgründe aufzustellen (BVerwG, a.a.O.).

Dieser Personenkreis wurde vorliegend durch die Verfahrensanordnung BMI bestimmt. Diese dient somit vor allem dazu, dem zuständigen Bundesamt Kriterien an die Hand zu geben, die eine nachvollziehbare und objektive Entscheidung über die Aufnahme ins Bundesgebiet erst ermöglichen, d.h. eine Gleichbehandlung aller Antragsteller garantiert. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass das Bundesministerium des Innern hierbei von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 2 AufenthG abgewichen ist. Vielmehr hat es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass aus historischen Gründen bzw. auch zur Stärkung des jüdischen Lebens in der Bundesrepublik so genannte jüdische Kontingentflüchtlinge unter bestimmten Voraussetzungen Aufnahme im Bundesgebiet finden können und im Rahmen dieser Ermächtigung die Voraussetzungen definiert. Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch steht dem Ausländer nur aus Art. 3 Abs. 1 GG als Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung zu (BVerwG, a.a.O., Hailbronner, a.a.O., § 23 AufenthG, RdNr. 23, RdNr. 12).

Unter Beachtung dieser Maßgaben ist der streitgegenständliche Bescheid nicht zu beanstanden. Neben anderen materiell-rechtlichen Voraussetzungen sieht Nr. I 2 b der Verfahrensanordnung BMI eine positive Integrationsprognose vor. Danach ist es erforderlich, dass erwartet werden kann, dass der Ausländer zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen ist. Daneben soll die Familienzusammenführung ermöglicht werden. Um eine objektiv nachvollziehbare Prognoseentscheidung treffen zu können, wurde durch einen Beirat, der nach Aussage der Beklagten aus Mitgliedern des Bundesinnenministeriums, des Auswärtigen Amtes, der Bundesländer und auch aus Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland und der Union progressiver Juden besteht, ein Frage- und Punktekatalog entwickelt. Ziel dieses Kriterienkatalogs, der regelt, dass für bestimmte integrationsfördernde Tatbestände Punkte vergeben werden, ist es, die Tatbestandsvoraussetzungen der Ziffer I 2 b der Verfahrensanordnung BMI objektiv festzusetzen. Dies ist nicht zu beanstanden. Durch diesen Kriterienkatalog wird gewährleistet, dass alle Antragsteller auf Ausstellung einer Aufnahmezusage soweit möglich nach gleichen Kriterien behandelt werden und so in Ausfüllung der Regelung in Ziffer I 2 b der Verfahrensanordnung BMI über die Frage, wann eine Integrationsprognose positiv bzw. auch negativ ausfällt, einheitlich entschieden werden kann. Angesichts der Tatsache, dass ein Anspruch auf Aufnahme gerade nicht besteht, hat die Beklagte sowohl bezüglich der materiellen Voraussetzungen als auch bezüglich des gewählten Verfahrens einen großen Gestaltungsspielraum. Sowohl in der Verfahrensanordnung BMI als auch im Kriterienkatalog zur Bestimmung der Integrationsprognose ergeben sich hinreichende sachliche Motive für die Frage, ob sich ein Ausländer voraussichtlich integrieren kann oder eben nicht. Auch diesbezüglich findet angesichts der Einschätzungsprärogative von Gesetzgeber und Exekutive nur eine eingeschränkte Gerichtskontrolle statt (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11.5.2006, Az. 5 C 10/05, juris). Der Kriterienkatalog hat gerade den Zweck, gegen Art. 3 GG verstoßende, d.h. willkürliche Entscheidungen zu vermeiden.

Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger bei konkreter Anwendung der Verfahrensanordnung BMI und des Kriterienkatalogs des Beirats zur Bestimmung einer positiven Integrationsprognose diese willkürlich bzw. gleichheitswidrig nicht erteilt wurde. Der Kläger erreicht die nach dem Kriterienkatalog für eine positive Integrationsprognose erforderliche Mindestpunktzahl von 50 Punkten bei maximal erreichbaren 105 Punkten (und ggf. weiteren 15 Bonuspunkten) nämlich nicht. [...]

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass er seinen Aufnahmeantrag ursprünglich bereits am 2. Juni 2004 beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg gestellt hatte. Da § 23 Abs. 2 AufenthG erst mit dem Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, und zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger noch andere, leichter zu erfüllende Voraussetzungen für die Aufnahme ins Bundesgebiet gegolten haben, wurde der Antrag des Klägers als so genannter "Ü II"-Fall im Sinne der Verfahrensanordnung BMI behandelt. Übergangsfälle Nr. II sind solche Fälle, bei denen der Antrag nach dem 30. Juni 2001, aber vor dem 1. Januar 2005 gestellt wurde. Mit der Einführung dieser Kategorie hat die Verfahrensanordnung BMI zum Ausdruck gebracht, dass auch für eine bestimmte, nach einem Datum genau abgrenzbare Zahl von Antragstellern die Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG gelten soll.

Wenn der Kläger hierzu auch keine Ausführungen macht, ist es durchaus möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass er, falls das damals zuständige Land bis zum 31. Dezember 2004 eine Entscheidung getroffen hätte, unter den damals geltenden erleichterten Voraussetzungen Aufnahme gefunden hätte. Allerdings sind weder im Aufenthaltsgesetz noch in der Verfahrensanordnung BMI noch in weiteren ermessensbindenden Anweisungen Übergangsregelungen für den Fall des Klägers vorgesehen. Dies ist aber unbedenklich, da eine unzulässige Rückwirkung nicht gegeben ist.

Eine echte Rückwirkung liegt schon deshalb nicht vor, weil die neuen Anforderungen einer positiven Integrationsprognose gemäß Nr. I 2 b der Verfahrensanordnung BMI nicht nachträglich ändernd in einen abgewickelten, der Vergangenheit angehörigen Tatbestand eingreift (BVerwG, Urteil vom 11.5.2006, a.a.O.). Der Kläger hatte zudem, wie oben ebenfalls bereits dargelegt, weder nach dem alten § 32 AuslG 1990 noch jetzt nach § 23 Abs. 2 AufenthG einen Anspruch auf Aufnahme.

Aber auch eine unter leichteren Voraussetzungen zulässige, so genannte, unechte Rückwirkung, liegt hier nicht vor. Diese wäre nämlich dadurch gekennzeichnet, dass im Wege tatbestandlicher Rückanknüpfung auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen für die Zukunft eingewirkt wird. Eine solche Rechtsposition hatte der Kläger aber gerade niemals inne. Auch unter Geltung des alten Rechts im Sinne des § 32 AuslG 1990 bestand, wie bereits dargelegt, kein Rechtsanspruch auf Aufnahme für den Kläger. Aber selbst wenn man davon ausgehen würde, wäre das Vertrauen des Klägers in eine Aufnahme, wie sie nach dem alten Recht vorgesehen war, nicht schutzwürdig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29.8.1995, Az. 9 C 391/94, juris) kann niemand darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber - oder wie hier, die ausführende Verwaltung - die erforderlichen Voraussetzungen für den Erwerb eines bestimmten Rechtsstatus nicht für die Zukunft modifiziert. Dies schließt auch ein, dass auch für bereits gestellte Anträge Übergangsvorschriften nicht geschaffen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 12.4.2001, Az. 5 C 19/00). Es ist nachvollziehbar und damit gerade nicht willkürlich, dass die Regelungen zur Aufnahme so genannter jüdischer Kontingentflüchtlinge auf Grund früher gemachter - schlechter - Erfahrungen mit der Zuwanderung auf Grundlage des HumHAG nun neu gefasst wurden, um, wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung mitteilt, die früher aufgetretenen vielen Missbrauchsfälle wie auch die Erfahrungen bei der Integration im Rahmen einer Neuregelung zu berücksichtigen.

Ohne dass sich der Kläger darauf beruft, wurde gerade auch nicht willkürlich nicht mehr vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes über den Antrag des Klägers entschieden. [...]