OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.06.2009 - 7 B 10469/09.OVG - asyl.net: M15808
https://www.asyl.net/rsdb/M15808
Leitsatz:

Der Ausschlussgrund des § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 1. Alt. AufenthG - Täuschung der Ausländerbehörde - setzt keine Ursächlichkeit für das Unterlassen oder die Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung voraus.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Falschangaben, Täuschung, Ursächlichkeit, Beweislast, Ausreisehindernis, Privatleben, EMRK
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8
Auszüge:

Der Ausschlussgrund des § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 1. Alt. AufenthG - Täuschung der Ausländerbehörde - setzt keine Ursächlichkeit für das Unterlassen oder die Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. [...]

Indessen scheidet insoweit auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des von den Antragstellern geltend gemachten Anspruchs auf (Neu-) Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus. Ein solcher Anspruch steht den Antragstellern nämlich nicht zu.

Dies gilt zunächst, soweit sich die Antragsteller auf § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berufen. Nach Nr. 4 dieser Bestimmung ist Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, dass der Ausländer "die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat". Die Antragsteller zu 1. und 2. haben jedoch die Antragsgegnerin über ihre Identität sowie über die Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu 1., 3. und 4. und damit über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht. Dies räumen sie durchaus selbst ein, gehen jedoch davon aus, dass diese Täuschung kausal für ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet hätte sein müssen, was sie jedoch nicht gewesen sei. Beides trifft jedoch nicht zu.

Der Gesetzeswortlaut stellt in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 1 AufenthG allein auf eine vorsätzliche Täuschung der Ausländerbehörde als solche ab; das Verhalten des Ausländers muss nach der gesetzlichen Formulierung nur im Rahmen der zweiten Alternative des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kausal für das Unterlassen oder die Verzögerung einer Abschiebung sein (ebenso VGH BW, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 13 S 2751/08 – NVwZ-RR 2009, 181 f., Fehrenbacher in HTK-AuslR, § 104a AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 3.5 [06/2009] sowie Funke-Kaiser a.a.O., Stand Dezember 2008, § 104a Rn. 40). Für dieses Verständnis der Bestimmung sprechen auch ihre Entstehungsgeschichte und die Absicht des Gesetzgebers: Die erste Alternative in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG und die Regelung im Bleiberechtsbeschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 17. November 2006 unter II.6.1 sind, abgesehen davon, dass erstere als Erteilungsvoraussetzung und letztere als – selbständiger – Ausschlussgrund ausgestaltet ist, wortgleich; gleiches gilt für die zweite Alternative in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG und die Regelung im Bleiberechtsbeschluss unter II.6.2. Da "die Voraussetzungen und Ausschlussgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a (...) zum großen Teil eng an die des Bleiberechtsbeschlussesangelehnt" werden sollten (so BT-Drucks. 16/5065 S. 202), spricht auch dies gegen die Übertragbarkeit des ursprünglich in Nr.II.6.2 des Bleiberechtsbeschlusses und nunmehr in der zweiten Alternative des § 104a Abs.1Satz 1 Nr.4 AufenthG enthaltenen Kausalitätserfordernisses auf die dortige, dem selbständigen Ausschlussgrund in Nr. II.6.1 des Bleiberechtsbeschlusses entsprechende erste Alternative.

Entgegen der auch vom Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 24. Februar 2009 – 17 K 2497/07 – Asylmagazin 5/2009 S. 34) vertretenen Auffassung der Antragsteller gebieten Gegenteiliges auch nicht etwa Sinn und Zweck von § 104a AufenthG. Richtig ist zwar, dass die als Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung in deren Absatz 1 genannten "Kriterien (...) diejenigen begünstigen (sollen), die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben" (so BT-Drucks. 16/5065 S. 202). Nicht rechtstreu verhält sich aber auch derjenige Ausländer, der die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände täuscht, und zwar unabhängig davon, ob eine Aufenthaltsbeendigung auch im Falle richtiger Angaben unterblieben wäre. Im Übrigen trifft es entgegen der Annahme der Antragsteller und des Verwaltungsgerichts Hamburg nicht zu, dass nur die Nrn. 5 und 6 des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG "die Grenze für ein nicht mehr rechtstreues Verhalten markieren", Nr. 4 hingegen "aus den vielfältigen Gründen für eine langjährige Duldung diejenigen heraus(filtert), die es den Ausländerbehörden verwehrt haben, die gesetzlich vorgeschriebene Ausreisepflicht durchzusetzen". Denn zumindest die erste Alternative des § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG verlangt ebenfalls als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, dass dem Ausländer ein darin näher umschriebenes, nicht rechtstreues und zum Teil – wie auch im vorliegenden Fall – sogar in § 95 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 49 Abs. 2 AufenthG unter Strafe gestelltes Verhalten nicht vorgeworfen werden kann, und markiert damit wie die Nrn. 5 und 6 "die Grenze für ein nicht mehr rechtstreues Verhalten". Zwar schließt die zweite Alternative des § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift auch im Falle eines Verhaltens des Ausländers aus, das keine vorsätzliche Täuschung der Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände, jedoch eine Behinderung oder Verzögerung behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bedeutete. Damit setzt selbst diese zweite Alternative schon nicht voraus, dass es der Ausländerbehörde (vollständig und durchgängig) "verwehrt" gewesen sein muss, die Ausreisepflicht des Ausländers durchzusetzen, vor allem aber sind beide Alternativen voneinander zu unterscheiden, so dass das Kausalitätserfordernis der zweiten Alternative nicht auf die erste Alternative übertragen werden kann.

Auch die in diesem Zusammenhang weitergehende Annahme der Antragsteller und des Verwaltungsgerichts Hamburg, "dem Ziel des Gesetzes," mit § 104a AufenthG "die Problematik der langjährig geduldeten Ausländer umfassend zu lösen", entspreche "eine enge Auslegung des Ausschlussgrunds nach § 104a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG" dahin, das Kausalitätserfordernis in dessen zweiter Alternative auf die erste zu erstrecken, trifft zumindest so nicht zu. § 104a AufenthG zielt nicht auf die umfassende Lösung der Problematik aller langjährig geduldeten Ausländer, sondern will "dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in Deutschland Rechnung tragen" und "diejenigen begünstigen, die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben" (so BT-Drucks. 16/5065 S.201 f., Hervorhebungen jeweils durch den Senat). Weitere Einschränkungen selbst nur dieser Zielrichtung der gesetzlichen Altfallregelung finden sich zudem im Versagungsgrund des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG und im Ausreiseerfordernis des § 104b AufenthG. Die Zielrichtung der gesetzlichen Altfallregelung ist überdies so abstrakt, dass daraus ein derart konkreter Auslegungsmaßstab wie die Erstreckung des Kausalitätserfordernisses in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AufenthG auf die erste Alternative dieser Bestimmung nicht gewonnen werden kann (vgl. Funke-Kaiser a.a.O., Stand Dezember 2008, § 104a Rn. 39).

Unabhängig davon könnte aber auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegnerin eine Beendigung des Aufenthaltes der Antragsteller unmöglich gewesen wäre, wäre sie nicht von den Antragstellern zu 1. und 2. über die die Identität der Antragsteller und über die Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu 1., 3. und 4. getäuscht worden. Da § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 1 AufenthG – anders als Nr. II.6.1 des Bleiberechtsbeschlusses – als Erteilungsvoraussetzung ausgestaltet ist, trägt der Ausländer bezüglich deren Erfüllung mithin die materielle Beweislast. Schon von daher genügt es – das Erfordernis der Kausalität der Täuschung für die unterbliebene Abschiebung entgegen den obigen Ausführungen einmal unterstellt – nicht, dass die Antragsteller weitgehend unsubstantiiert geltend gemacht haben, sie hätten weder nach Mazedonien noch in das Kosovo abgeschoben werden können, da die Antragsteller zu 1., 3. und 4. mazedonische Staatsangehörige seien, die Antragstellerin zu 2. hingegen Kosovarin und/oder Serbin sei und da sie in Mazedonien oder im Kosovo ein dauerhaft gesichertes Familienzusammenführungsrecht, wenn überhaupt, dann "sicherlich" nur dann hätten, wenn der Lebensunterhalt der gesamten Familie gesichert sei. Vielmehr müsste es auch bei Annahme eines Kausalitätserfordernisses gesichert sein, dass die Antragsteller selbst dann nicht hätten abgeschoben werden können, wenn sie der Antragsgegnerin ihre wahre Identität und Staatsangehörigkeit offenbart hätten (vgl. auch Bay VGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 19 ZB 07.2196 – juris). Dies gilt umso mehr, als die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung darauf hingewiesen hat, mittlerweile (auch) im Fall der Antragsteller eine Rückübernahmeerklärung der mazedonischen Behörden erhalten zu haben. Von der Richtigkeit dieses Vorbringens geht der Senat trotz des – zumal völlig unsubstantiierten – Bestreitens der Antragsteller aus. Von daher müsste es auch bei Annahme eines Kausalitätserfordernisses sogar gesichert sein, dass die Abschiebung der Antragsteller erst nunmehr aufgrund einer nach ihrem Geständnis eingetretenen Änderung der mazedonischen Rechtslage oder doch Verwaltungspraxis möglich geworden ist. Hierfür fehlt indessen jeglicher Anhaltspunkt. [...]