VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.06.2009 - 13 S 519/09 - asyl.net: M15789
https://www.asyl.net/rsdb/M15789
Leitsatz:

§ 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach eine nicht nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG unschädliche strafgerichtliche Verurteilung innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft lebenden Angehörigen einer Familie anspruchsvernichtend, zugerechnet wird, ist verfassungswidrig.

(Amtlicher Leitsatz)

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Die Vorlage wurde vom BVerfG mit Beschluss vom 16.12.2010 - 2 BvL 16/09 - (asyl.net, M18223) als unzulässig abgewiesen.

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, Verfassungsmäßigkeit, Vorlagebeschluss, Bundesverfassungsgericht, BVerfG, Familienangehörige, Straftat, volljährige Kinder, Verheiratete Kinder, Geschwister, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Lebenspartner, Schutz von Ehe und Familie, Gleichheitsgrundsatz, Entscheidungserheblichkeit, Passpflicht, Passbeschaffung, Verzögerung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, Behinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, Ermessen, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Lebensunterhalt, Verlängerung, Beurteilungszeitpunkt, atypischer Ausnahmefall
Normen: VwGO § 94; GG Art. 100 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 3; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; LPartG § 11 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 5
Auszüge:

[...]

Der Senat setzt das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO aus, um nach Art. 100 Abs. 1 GG eine allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG einzuholen.

1. a) Nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Altfallregelung zwingend abzulehnen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, sofern ein bestimmtes Strafmaß überschritten wurde (vgl. BVerwG, U.v. 23. Januar 2009 – 1 C 40.07 – DVBl. 2009, 650). Diese Bestimmung gilt nur zu Lasten derjenigen Person, die gerade für sich den Titel beansprucht. § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG erweitert die Zurechnung strafgerichtlich geahndeten Verhaltens aber in der Weise, dass alle Mitglieder einer Familie, die zusammen in einer häuslichen Gemeinschaft leben, in den Blick genommen werden mit der Folge, dass jedes nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 relevante strafbare Verhalten auch nur eines Mitglieds dieser häuslichen Gemeinschaft allen anderen Mitgliedern in einer den Regelanspruch vernichtenden Weise zugerechnet wird.

b) Für das Verhältnis der Ehegatten untereinander sieht allerdings § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Falle der strafgerichtlichen Verurteilung eines von ihnen vor, dass von einer Zurechnung abzusehen ist, wenn es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Aus § 104a Abs. 3 Satz 3 AufenthG kann weiter entnommen werden, dass im Falle einer solchen Ausnahme die minderjährigen Kinder mit dem bleibeberechtigten Ehegatten im Bundesgebiet verbleiben können.

c) Einer besonderer Erörterung bedürfen an dieser Stelle das volljährige ledige sowie das volljährige verheiratete Kind bzw. Geschwister, das noch in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern und ggf. noch vorhandenen minderjährigen Geschwistern lebt. Der Wortlaut des § 104a Abs. 3 Satz 1 macht hier keine Einschränkungen, was den Begriff des Familienmitglieds betrifft. Es wird weder differenziert zwischen volljährigen und minderjährigen Kindern, wie dies noch in Absatz 1 Satz 1 geschehen ist, noch zwischen verheirateten volljährigen und ledigen volljährigen Kindern, wie dies Absatz 2 Satz 1 macht.

Wenn allerdings in § 104a Abs. 3 Satz 1 von "nach dieser Vorschrift" die Rede ist und man in diesem Zusammenhang weiter davon ausgeht, dass Absatz 2 Satz 1 eine privilegierende Regelung für volljährige ledige Kinder darstellt, bei deren Anwendung die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 6 nicht unmittelbar gelten (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 104a Rdn. 25; vgl. zur subsidiären Anwendung des Absatzes 1 aber auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 104a Rdn. 66), so sind auch ein Verständnis und damit erforderlichenfalls auch eine verfassungskonforme Auslegung möglich, dass in Absatz 3 Satz 1 kein eigener Zurechnungstatbestand geschaffen wurde, sondern die Anwendbarkeit des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 vorausgesetzt wird mit der Folge, dass ein strafbares Verhalten anderer Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft zulasten des Volljährigen nicht erfolgen soll, soweit dieser den Titel nach Absatz 2 Satz 1 für sich in Anspruch nimmt; im Rahmen der subsidiären Anwendung des Absatzes 1 ist jedoch eine Zurechnung unvermeidlich vorgegeben. In der umgekehrten Richtung ist die Norm allerdings eindeutig und gebietet ausnahmslos eine Zurechnung des strafbaren Verhaltens des Volljährigen bei den anderen Mitgliedern der häuslichen Gemeinschaft. Dass der Gesetzgeber davon ausgeht, Teil der "häuslichen Gemeinschaft" im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz AufenthG könnten auch volljährige (ledige) Kinder sein, erschließt sich unmittelbar aus Absatz 2 Satz 1, der auf ein Zusammenleben des Volljährigen in der "häuslichen Gemeinschaft" mit minderjährigen Geschwistern abstellt.

d) Auch wenn der Wortlaut der Bestimmung und des Begriffs des Familienangehörigen eindeutig ist, wird man das volljährige verheiratete Kind und in Konsequenz auch dessen Ehegatten, der an sich ohne weiteres begrifflich ebenfalls ein Familienangehöriger ist, aus systematischen und strukturellen Überlegungen aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen haben. Denn die gesamte Vorschrift des § 104a AufenthG erfasst, wie ein Blick auf Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 deutlich zeigt, Ausländer und Ausländerinnen in ihrer von den Eltern abgeleiteten Stellung als Kinder nur insoweit, als sie noch minderjährig sind und wenn sie volljährig sind nur dann, wenn sie noch unverheiratet sind. Volljährige verheiratete Kinder werden von der Vorschrift unabhängig und nicht mehr im Kontext mit ihren Eltern erfasst und können einen Aufenthaltstitel nach der Altfallregelung (nur) erhalten, wenn sie die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG eigenständig erfüllen.

e) Im Falle nicht-ehelicher in häuslicher Gemeinschaft lebender Lebensgemeinschaften findet hingegen in der Regel eine Zurechnung strafgerichtlicher Verurteilungen nicht statt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich um eine nicht-eheliche Lebensgemeinschaft mit gemeinsamen Kindern handelt, da dann alle beteiligten Personen auch Familienangehörige sind. Eine Zurechnung ist des Weiteren möglich im Falle nicht gemeinsamer Kinder, aber nur im Verhältnis zwischen dem leiblichen Elternteil und seinen Kindern.

Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes v. 16. Februar 2001 (BGBl. I, 266) werden in der Vorschrift (insbesondere auch in deren Absatz 3) nicht ausdrücklich angesprochen. Allerdings besagt § 11 Abs. 1 LPartG, dass ein Lebenspartner als Familienangehöriger des anderen Lebenspartners gilt. Die Norm macht aber die Einschränkung, dass spezialgesetzlich keine abweichende Bestimmung getroffen worden sein darf. Für das Aufenthaltsgesetz gilt eine derartige anderweitige Regelung. Wenn sich in § 27 Abs. 2, d.h. im 6. Abschnitt des Gesetzes nur eine eingeschränkte Verweisung auf einzelne Bestimmungen des Gesetzes findet, bedeutet dies, dass eine generelle Gleichstellung, insbesondere auch im Kontext des § 104 a nicht stattfindet (a.A. Fränkel, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2008, § 104a Rdn. 22). Denn insoweit handelt es sich einen humanitären Aufenthaltstitel im Sinne des 5. Abschnitts (vgl. § 104 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und nicht um einen solchen im Sinne des 6. Abschnittes, für den § 27 Abs. 2 AufenthG allein eine Gleichstellung anordnet. Hätte eine uneingeschränkte Gleichstellung erfolgen sollen, so hätte es mit Rücksicht auf die bereits in § 11 Abs. 1 LPartG getroffene generelle Gleichstellung überhaupt keiner Regelung in § 27 Abs. 2 AufenthG bedurft. Dass hier keine umfassende Gleichstellung gewollt war, entsprach, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.

In der dem Gesetzesentwurf von der Bundesregierung beigegebenen Begründung wird allerdings davon gesprochen, dass die ausländerrechtliche Zurechnung der Straftat zwischen Lebenspartnern bzw. eheähnlichen Gemeinschaften im Rahmen des (eingeschränkten) Ermessens erfolge (vgl. BTDrucks 16/5065, S. 202), somit bei Lebenspartnern gerade nicht infolge der generellen Gleichstellungsklausel des § 11 Abs. 1 LPartG. Diese Auffassung, wonach eine Berücksichtigung (nur) im Rahmen des Ermessens erfolgen solle, hat jedoch weder im Wortlaut noch in der Systematik der Vorschrift einen genügenden Niederschlag gefunden. § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, wie auch beispielsweise die Nr. 2 (vgl. zur Nr. 4 auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 104a Rdn. 37), sprechen in aller Eindeutigkeit nur von der Person, deren Aufenthaltsrecht zu beurteilen ist. Demgegenüber ist in der Nr. 3 ausdrücklich über die Einzelperson hinausreichend gerade auch deren Kind und dessen Verhalten in Bezug auf den Schulbesuch angesprochen, das dann auch zugerechnet wird, weil offenbar insoweit eine eigene Verantwortung des Erziehungsberechtigten unterstellt wird, wie dies der Gesetzgeber auch bei der Strafbarkeit von Kindern gemacht hat (vgl. BTDrucks 16/5065, S. 202). Wenn dann in Absatz 3 Satz 1 wiederum speziell ein Zurechnungsfall geregelt wird, kann aus systematischen Gründen der Spezialität und aus Gründen der Normenklarheit nicht in allen anderen potentiellen Zurechnungsfällen von einer Atypik ausgegangen werden. Denn andernfalls wären alle speziellen Regelungen im Grunde überflüssig. Insofern kann nach allgemein anerkannten Auslegungsmethoden das historische Argument allein nicht zur Widerlegung der Systematik dienen und zur Auslegung gegen die Systematik nutzbar gemacht werden (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1983, S. 203). Es ist auch nicht ersichtlich, was einer ausdrücklich Einbeziehung der anderen Lebensgemeinschaften und der Lebenspartnerschaften in Absatz 3 hätte entgegenstehen sollen. Zwar könnte vordergründig angeführt werden, dass bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften deren Feststellung Probleme bereiten kann. Dieser Gesichtspunkt trägt aber bei genauerer Betrachtung nicht, weil auch bei der Anwendung des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Bestehen der häuslichen Gemeinschaft beweiskräftig feststehen muss.

Aber selbst wenn man dem nicht folgen wollte, so wäre lediglich kein Regelanspruch eingeräumt mit der Folge, dass die Ausländerbehörde – anders als bei Ehegatten und einer Familie - eine umfassende Ermessensentscheidung zu treffen hätte, die – ohne dass das Ergebnis rechtlich vorbestimmt sein dürfte - alle Umstände und Interessen des Einzelfalls in den Blick zu nehmen hätte und nicht zwingend die Erteilung des Titels ablehnen müsste (vgl. zur Struktur einer Regelanspruch und den Folgen einer Atypik BVerwG, U.v. 29. Juli 1993 – 1 C 25.03 – BVerwGE 94, 35 43>; B.v. 26. März 1999 – 1 B 18.99 – InfAuslR 1999, 332; vgl. auch zur Frage, ob die dann fehlende Regelerteilungsvoraussetzung im Rahmen der Ermessensausübung noch einmal berücksichtigt werden darf Bäuerle, in: GK-AufenthG § 5 Rdn. 41 ff.).

2. Der beschriebene Zurechnungsmechanismus ist nach Überzeugung des Senats mit höherrangigem Recht unvereinbar. Er verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Zur Rechtfertigung der hier vom Gesetzgeber geregelten familieneinheitlichen Betrachtungsweise kann – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht darauf abgestellt werden, dass bei einer anderen Sichtweise aus Art. 6 GG Ansprüche des straffälligen Familienmitglieds auf Legalisierung seines Aufenthalts erwachsen könnten (so aber auch VG Lüneburg, U.v. 21. Mai 2008 – 11 A 485/06 – juris; NiedersOVG, B.v. 17. November 2008 - 10 LA 260/08 - InfAuslR 2009, 186 188>). Denn wenn man - entgegen der Zielsetzung des Gesetzgebers - maßgeblich auf die autonome Entscheidungsfreiheit der Ehegatten hinsichtlich der konkreten – auch räumlichen - Gestaltung der ehelichen Lebensführung abstellt und diese in den Vordergrund stellt, so ist der Zwang, zumindest vorübergehend getrennt leben zu müssen, gewissermaßen die Kehrseite dieser autonomen Entscheidung, wenn man noch hinzunimmt, dass der Gesetzgeber nicht gezwungen war, ein Aufenthaltsrecht überhaupt einzuräumen. So könnte mit dieser Überlegung sicherlich etwa im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG beim verurteilten Ehegatten eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ohne weiteres ermessensfehlerfrei abgelehnt werden, ungeachtet der Tatsache, dass § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG einen Familiennachzug ohnehin ausschließt. Entsprechende Überlegungen würden gelten im Falle eines verurteilten Kindes und eines Elternteils, der das Kind begleiten müsste. Ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 6 Abs. GG bzw. Art. 8 EMRK kann voraussetzungsgemäß nicht vorliegen und daher auch nicht über § 25 Abs. 5 AufenthG zu einem Aufenthaltstitel führen, weil die Ehe bzw. die Familieneinheit ohne weiteres im gemeinsamen Herkunftsland hergestellt werden können. Würde das straffällige Familienmitglied weiter geduldet, so läge, auch wenn aktuell ein Ausreisehindernis nicht mehr verschuldet ist, selbst im Anwendungsbereich des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ein Ausnahmefall vor, der – wiederum in Anbetracht des Umstandes, dass der Gesetzgeber grundsätzlich zur Einräumung eines Aufenthaltsrechts nicht verpflichtet ist - eine negative Ermessensausübung erlaubte, weshalb auch insoweit kein Zwang zur Legalisierung bestünde (vgl. auch Ziffer 5.3 VAH BMI zu § 104a).

b) In den Fällen von Ehegatten mit minderjährigen Kindern, die in häuslicher Gemeinschaft leben, durfte sich der Gesetzgeber angesichts seines weiten Gestaltungsspielraums möglicherweise davon leiten lassen, dass die minderjährigen Kinder unter der gemeinsamen Personensorge beider Elternteile stehen und daher eine einheitliche Behandlung zumindest nicht als völlig ferne liegend angesehen werden kann. Diese einheitliche Betrachtungsweise beruht dann auf der Überlegung, dass im Falle der Straffälligkeit auch nur eines Ehegatten auch beide zurückkehren, um dann im Heimatland weiter gemeinsam die Personensorge ausüben. Die minderjährigen Kinder stehen ohnehin in Abhängigkeit von den Eltern und deren Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Im Falle der Straffälligkeit eines Kindes würden die gleichen Überlegungen gelten; auch hier verlassen die personensorgeberechtigten Eltern das Bundesgebiet mit dem straffälligen Kind (ggf. mit weiteren, aber noch minderjährigen Geschwistern), um im Heimatland künftig gemeinsam die Personensorge auszuüben. Dabei ist, wie bereits angesprochen, in Rechnung zu stellen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Altfallregelung von vielleicht wenigen Ausnahmen abgesehen weder aus verfassungsrechtlichen (vgl. BVerfG, B.v. 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 41 ff.>) noch aus völkervertraglichen (etwa Art. 8 EMRK) Gründen gehalten war, überhaupt Aufenthaltsrechte einzuräumen. Der Senat lässt offen, ob diese Gründe ausreichend tragfähig sind, weil die Regelung auch aus anderen Gründen keinen Bestand haben kann (vgl. im Folgenden unter 2 c) und d).

c) Die vorgenannten Erwägungen tragen jedoch nach Auffassung des Senats nicht mehr, wenn es um die Zurechnung eines strafbaren Verhaltens des Volljährigen zulasten der Eltern und der minderjährigen Geschwistern und umgekehrt eines strafbaren Verhaltens der Eltern oder gar der minderjährigen Geschwister zulasten des Volljährigen geht. Hier trägt insbesondere nicht mehr die Überlegung von der Familie als rechtlicher und sozialer „Schicksalsgemeinschaft“. Die vom Gesetzgeber gewählte Regelung verfehlt die rechtliche Autonomie des Volljährigen, der nicht mehr der Personensorge der Eltern unterliegt. Aufgrund der nicht mehr bestehenden Personensorge ist er auch nicht gewissermaßen unter dem gemeinsamen Dach der Personensorge mit den noch minderjährigen Geschwistern verbunden. In dieser Autonomie kommt eine Eigenverantwortung, was die Zurechnung (in beide Richtungen) betrifft, zum Ausdruck, der eine vergleichbar intensive rechtliche Verbundenheit wie zwischen den Eltern und den minderjährigen Geschwistern fehlt, die es - wenn überhaupt - allein rechtfertigen könnte, den Aufenthalt der gesamten Familie einheitlich zu betrachten. Das volljährige Kind kann jederzeit rechtlich ungehindert und ungebunden diese familiäre Gemeinschaft verlassen. Es wird auch regelmäßig aufenthaltsrechtlich eigenständig in den Blick genommen, und zwar gerade auch in der Altfallregelung selbst, nämlich in deren Absatz 2 Satz 1. Der Aufenthalt des volljährigen Kindes wird hiernach eigenständig und losgelöst von dem der Eltern sowie der minderjährigen Geschwister geregelt. Diese Selbstständigkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts (hier Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) im Regelfall ein Aufenthaltsrecht des volljährigen Kindes kein (erstmaliges) Aufenthaltsrecht der Eltern und der minderjährigen Geschwister (mehr) nach sich zieht und umgekehrt (vgl. § 32 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 AufenthG). Es ist für den Senat schon nicht ersichtlich, weshalb die Verweigerung des Aufenthaltsrechts mit Blick auf ein volljähriges Kind, wie der Gesetzgeber meint (vgl. BTDrucks 16/5095, S. 202), Ausdruck und Folge einer "Verletzung der Aufsichts- und Erziehungspflicht" sein kann und darf. Die hier vorgenommene Zurechnung ist mit dem durch Art. 2 Abs. i.V.m. Art. 1 GG als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleisteten Recht auf autonom-individuelle Lebensgestaltung und Selbstbestimmung des Volljährigen einerseits und seiner Eltern und der minderjährigen Geschwister andererseits nicht vereinbar (vgl. ausführlich BVerfG, B.v. 3. Juni 1980 – 1 BvR 185/87 – BVerfGE 54, 148 153 f.>; B.v. 13. Mai 1986 – 1 BvR 1542/84 – BVerfGE 72, 155 170 ff.>, jeweils mit dem Hinweis, dass wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben werden könne, sondern seine Ausprägung jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet werden müsse). Diese Autonomie sowie der personale und soziale Achtungsanspruch beinhalten als Kehrseite auch eine Eigenverantwortung des Volljährigen für sein (strafbares) Handeln, die eine Zurechnung bei anderen ausschließt mit der weiteren Folge, dass eine Zurechnung des Verhaltens des Volljährigen zulasten der Eltern und der minderjährigen Kinder in gleicher Weise mit deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht unvereinbar ist.

Auch wenn es hier nicht um einen Eingriff gehen kann, da den Betroffenen durch den Ausschluss aus der Altfallregelung nur ein Vorteil nicht gewährt wird, und das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich keine Teilhabe- und Leistungsansprüche zu begründen vermag (vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 57 ff.), so ist die hiermit verbundene Differenzierung und Ungleichbehandlung gegenüber den volljährigen Kindern, die nicht mehr in der häuslichen Gemeinschaft leben, nicht mehr sachlich gerechtfertigt, weil unvereinbar mit der in jedem Grundrecht zugleich verbürgten objektiven Wertordnung (vgl. BVerfG, B.v. 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 206>; B.v. 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 u.a. – BVerfGE 89, 214 229>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsgrund unterschiedliche Anforderungen an die gesetzlichen Vorschriften, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können. Dagegen sind dem Gesetzgeber umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten auswirkt und je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann. Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. zuletzt mit zahlreichen Nachweisen aus der eigenen Rechtsprechung BVerfG, B.v. 14. Oktober 2008 – 1 BvR 2310/06 – NJW 2009, 209). Die hier vorgenommene Differenzierung ist nach dem dargelegten Maßstab mit der objektiven Wertordnung und auch in einer rechtstaatlichen Ordnung, die einem durch die Menschenwürde geprägten Menschenbild verpflichtet ist, unvereinbar und gerade deshalb nicht mehr gerechtfertigt (vgl. zum sicherlich nicht völlig vergleichbaren strafrechtlichen Schuldgrundsatz auch BVerfG, B.v. 24. Oktober 1996 – 2 BvR 1851/94 – BVerfGE 95, 96 140>). Angesichts der erheblichen Folgen der Ungleichbehandlung sind ausreichend tragfähige und einleuchtende Gründe für eine Differenzierung (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 27. Mai 1970 - 1 BvL 22/63 u.a. - BVerfGE 28, 324 347>) nicht zu erkennen. Nichts anderes gilt für die Differenzierung von Eltern und minderjährigen Kindern bzw. Geschwistern, bei denen ein volljähriges Kind bzw. Geschwister noch in häuslicher Gemeinschaft lebt und strafgerichtlich verurteilt wird, und Eltern und minderjährigen Kindern bzw. Geschwistern, bei denen der Volljährige bereits die häusliche Gemeinschaft bereits verlassen hat.

d) Da, wie oben dargelegt, von der Regelung nicht erfasst werden Lebenspartner sowie bestimmte Konstellationen nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften, liegt insoweit aber auch eine mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbare Diskriminierung der Ehe vor. Dies gilt selbst dann, wenn man entgegen der Auffassung des Senats in den Fällen einer Strafbarkeit innerhalb einer solchen Gemeinschaft von einer Atypik ausgehen wollte, da dann immerhin ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bestünde und kein zwingender Versagungsgrund vorläge, wie dies bei Ehegatten der Fall ist.

Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der es verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen, jedenfalls soweit, als hier eindeutig und systematisch, an die Existenz einer Ehe bzw. an die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft angeknüpft wird (vgl. BVerfG, B.v. 10. November 1998 – 2 BvR 1057/91 u.a. – BVerfGE 99, 216 232 ff.>; vgl. auch zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Gleichstellung anderer Lebensgemeinschaften mit der Ehe U.v. 17. Juli 2002 – 1 BvF 1/01 u.a. – BVerfGE 105, 313 346 f.>). Eine verfassungsrechtlich unzulässige, weil diskriminierende Schlechterstellung liegt auch dann vor, wenn eine Begünstigung vorenthalten wird, die anderen Lebensgemeinschaften gewährt oder zumindest ermöglicht wird (vgl. BVerfG, B. 10. November 1998 – 2 BvR 1057/91 u.a. – a.a.O.).

Zur Verdeutlichung weist der Senat auf Folgendes hin: Wird in einer Familie, in der die Eltern verheiratet sind, ein Kind straffällig, so findet allerdings keine Ungleichbehandlung gegenüber der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft mit gemeinsamen Kindern statt; eine solche findet aber wiederum statt bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit nicht gemeinsamen Kindern im Verhältnis zum anderen Partner, der nicht Elternteil des Kindes ist. Im Falle der Straffälligkeit eines verheirateten Ehegatten bzw. Elternteils mit Kindern verbleibt es aber bei der Diskriminierung gegenüber der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft ohne Kinder. Denn die Ehegatten dürfen sicherlich nicht schlechter gestellt werden, nur weil sie auch noch Kinder haben. Wenn sie keine hätten, dann würden sie aber offensichtlich in unzulässiger Weise schlechter behandelt.

Die Tatsache, dass es tatsächlich sicherlich mehr in häuslicher Gemeinschaft lebende Ehen und Familien geben wird, rechtfertigt die gravierende Ungleichbehandlung nicht (vgl. zu den Feststellungsproblemen oben 1 e). Die vorgenannten Überlegungen gelten umso mehr im Falle von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten, die keine Kinder haben, da hier das gemeinsame Band der gemeinsamen Personensorge hinsichtlich der minderjährigen Kinder fehlt, und hier - anders als bei den volljährigen Kindern - zusätzlich die durch Art. 6 Abs. 1 GG spezifisch geschützte autonome Entscheidungsfreiheit der Ehegatten hinsichtlich ihrer Eheführung und insbesondere deren räumlichen Ausgestaltung (vgl. BVerfG, B.v. 04. Mai 1982 – 1 BvL 26/77 – BVerfGE 60, 329 338 f.>) berührt und verletzt ist. Der Senat sieht auch nicht im Ansatz überhaupt einen, geschweige denn tragfähigen Grund, diese Entscheidungsfreiheit nicht anzuerkennen, so wie es, soweit ersichtlich, als völlig selbstverständlich angesehen wird, dass Ehegatten von ihrem durch § 30 AufenthG eingeräumten Recht auf Nachzug auch keinen Gebrauch machen dürfen, ohne dass hierdurch das Aufenthaltsrecht des im Bundesgebiet lebenden Ehegatten in Frage gestellt werden könnte.

e) Eine verfassungskonforme Auslegung scheitert – von dem im Einzelnen schon angesprochenen Fall der Zurechnung beim Volljährigen abgesehen (vgl. 1 c) - schon daran, dass die Norm zweifelsfrei formuliert ist und auch der eindeutige feststellbare Wille des Gesetzgebers dahin ging, zwingend eine solche Zurechnung vorzunehmen und nur in einem bestimmten Ausnahmefall unter besonders qualifizierten Voraussetzungen (§ 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG) hiervon absehen zu wollen. Der klare Wortlaut und der eindeutige verlautbarte Wille des Gesetzgebers bilden jedoch die Grenze einer verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfG, B.v. 22. Oktober 1985 – 1 BvL 44/83 – BVerfGE 71, 81 105>). Abgesehen davon würde dann auch der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers missachtet (vgl. hierzu noch im Folgenden).

f) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung führt aber nicht unmittelbar auf einen Anspruch der ausgeschlossenen Personen. Soweit die Bundesrepublik Deutschland nämlich aufgrund Verfassungsrechts oder Völkervertragsrechts (Art. 8 EMRK) nicht verpflichtet ist, ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, entscheidet sie frei, ob sie überhaupt ein Bleiberecht einräumt. Ihr ist es mit anderen Worten unbenommen, in den Grenzen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes die Regelung des § 104a AufenthG zu streichen oder aber die anderen Lebensgemeinschaften ausdrücklich einzubeziehen, weshalb kein Fall der Teilnichtigkeit gegeben ist.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Folgen von Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass dann, wenn - wie in der Regel - der Gesetzgeber zwischen mehreren denkbaren und verfassungsrechtlich zulässigen Lösungen wählen kann, eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung durch das Bundesverfassungsgericht in die dem Gesetzgeber vorbehaltene Gestaltungsfreiheit eingreifen würde (vgl. BVerfG, B.v. 17. Januar 2006 – 1 BvR 541/02 – BVerfGE 115, 81). Dies ändert allerdings nichts daran, dass im Gegensatz zu einem unbeschränkten Verpflichtungsantrag in Bezug auf den nunmehr von den Klägern allein gestellten bloßen Neubescheidungsantrag insoweit im Verfahren der konkreten Normenkontrolle das Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit treffen kann.

Etwas anderes würde allein dann gelten, wenn ausnahmsweise nur eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung verfassungsgemäß gewesen wäre. An eine solche Ausnahme wäre vielleicht bei den volljährigen ledigen Kindern zu denken. Andererseits ist die zahlenmäßige Relevanz der betroffenen Personen kaum zu ermitteln. Es handelt sich hier um die Teilmenge von volljährigen Kindern, die noch mit den Eltern und ggf. minderjährigen Geschwistern zusammenleben, und bei denen entweder die volljährigen Kinder oder die Eltern bzw. die minderjährigen Geschwister straffällig geworden sind. Angesichts dieser quantitativen Unwägbarkeiten ist daher von einer Beachtlichkeit im Rahmen des Willensbildungsprozesses des Gesetzgebers auszugehen und die Möglichkeit einer Ausdehnung versperrt.

3) Die hier aufgeworfenen Fragen sind auch für das Berufungsverfahren entscheidungserheblich. [...]

b) Die Kläger erfüllen alle übrigen Voraussetzungen für die Erteilung eines Titels nach § 104a AufenthG jedenfalls in der Weise, dass die Beklagte eine erneute Entscheidung zu treffen und dabei das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben haben wird. [...]

aa) Die Kläger sind allerdings nicht im Besitz gültiger Pässe und hatten in der Vergangenheit auch keine Anträge auf Ausstellung von Pässen gestellt (vgl. auch den Ermittlungsbericht der Verkehrspolizeiinspektion Neu-Ulm vom 30. September 2007, AS 317).

Hierdurch wird jedoch nicht der zwingende Versagungsgrund der vorsätzlichen Verzögerung bzw. Behinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 erfüllt. Auch wenn die Ausländer grundsätzlich bereits kraft Gesetzes verpflichtet sind, einen gültigen Pass zu besitzen bzw. sich ggf. einen solchen zu beschaffen (vgl. § 3 AufenthG i.V.m. § 56 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthV bzw. § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG), wird nach der vom Senat geteilten in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung, wonach ein restriktives Verständnis dieses Ablehnungsgrundes geboten ist, vorausgesetzt, dass gegenüber den Betroffenen zunächst eine diese Verpflichtung konkretisierende Passverfügung, jedenfalls zumindest aber eine wiederholte und konkretisierende formlose Aufforderung ergangen sein muss und nur ein nachhaltiges Zuwiderhandeln hiergegen anspruchsvernichtend sein kann, sofern weiter festgestellt wird, dass dieses überhaupt kausal für die Verzögerung oder Behinderung war (vgl. BayVGH, B.v. 18. Juni 2008 - 19 ZB 07.2136 - InfAuslR 2009, 154; NiedersOVG, B.v. 28. Januar 2008 – 12 ME 23/08 – juris m.w.N.; OVGNW, B.v. 12. Februar 2008 – 18 B 230/08 – InfAuslR 2008, 211; v. 21. Januar 2008 – 18 B 1864/07 – NVwZ-RR 2008, 423 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 104a Rdn. 19; vgl. auch Ziffer 2.7.2 VAH BMI zu § 104a). Eine solche Verhaltensweise ist bei den Klägern nicht festzustellen, wovon auch die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart ausgehen (vgl. dessen Schreiben an die Beklagte vom 27. Februar 2007, AS 159). [...]

dd) Der Komplex der Sicherung des Lebensunterhalts bedarf ebenfalls einer vertieften Betrachtung. Bisher war der Lebensunterhalt der gesamten Familie durch die unselbstständige Erwerbstätigkeit des Ehemanns und Vaters der Kläger und den Bezug von insoweit unschädlichen Kindergeldleistungen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) gesichert. Die Klägerin Ziffer 1 ging bis zum Herbst 2008 keiner Erwerbstätigkeit nach. Sodann bezog sie als Nettoeinkommen wechselnde monatliche Beträge zwischen 207,90 EUR und 710,00 EUR, im Durchschnitt monatlich 419,89 EUR. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats bestand auch die nicht unrealistische Perspektive, dass sich das Erwerbseinkommen auf etwa 700,- EUR erhöhen kann. Sollte der Ehemann und Vater, der vollziehbar ausreisepflichtig ist und für dessen Person eine konkrete Rückübernahmezusage der kosovarischen Behörden bereits vorliegt, zum Lebensunterhalt nicht mehr beitragen können und nur das Erwerbseinkommen der Klägerin Ziffer 1 vorhanden sein, so wird dieses selbst auf der Basis monatlicher Einkünfte in Höhe von 700,- EUR zusammen mit dem bezogenen Kindergeld nicht den notwendigen Lebensunterhalt vollständig decken. Der begehrte Titel ist allerdings grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2009 nach § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann zu erteilen, wenn der Lebensunterhalt (noch) nicht gesichert ist, weshalb sich die Frage der aktuellen Sicherung unmittelbar nicht stellt.

Allerdings ist dann von einem atypischen Ausnahmefall in Bezug auf das in der Regel gebundene Ermessen auszugehen, wenn bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann, dass – insoweit als Verlängerungsvoraussetzung - im Jahre 2009 (vgl. § 104a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) keine überwiegende eigenständige Sicherung erfolgt oder jedenfalls nach dem 31. Dezember 2011 keine eigenständige Sicherung möglich sein wird und auch kein Härtefall im Sinne des Absatzes 6 vorliegen wird (vgl. VGHBW, B. v. 16. April 2008 – 11 S 100/08 – AuAS 2008, 255; NiedersOVG, B.v. 31. März 2009 – 10 LA 411/08 – juris; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 104a Rdn. 64), wobei allerdings bloße Zweifel oder eine Unentschiedenheit nicht genügen können, vielmehr solches mit hinreichender Sicherheit bereits bei der erstmaligen Erteilung feststehen muss. [...] Gegen eine Atypik spricht jedoch entscheidend, dass der Klägerin Ziffer 1 bislang aufgrund der familieneinheitlichen Sichtweise der Altfallregelung nicht hinreichend deutlich gewesen war und auch sein musste, dass sie für sich und ihre Kinder ggf. den notwendigen Lebensunterhalt alleine wird verdienen müssen, was aber nunmehr gerade deshalb auch möglich und zumutbar sein wird, weil der Kläger Ziffer 3 mit vier Jahren erst kürzlich ein Alter erreicht hat, bei dem der Klägerin Ziffer 1 die Aufnahme einer Beschäftigung zuzumuten ist (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 104a Rdn. 92). [...]

Allerdings setzt die nahe bevorstehende erforderlich werdende Verlängerung zum 1. Januar 2010 bzw. die mit diesem Datum beginnende Verlängerungsperiode nach § 104a Abs. 5 Satz 1 grundsätzlich voraus, dass im gesamten Jahre 2009 der Lebensunterhalt überwiegend eigenständig durch eine eigene Erwerbstätigkeit oder der Lebensunterhalt ab dem 1. April 2009 nicht nur vorübergehend eigenständig und vollständig durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert gewesen sein muss, was bei der Klägerin Ziffer 1, wenn man den Ehemann hinweg denkt, nicht der Fall sein wird. Geht man jedoch von den soeben dargestellten besonderen Umständen aus, dass die Erwerbssituation der Klägerin Ziffer 1 sich in einem grundlegenden Umbruch befindet und ihr auch erst seit kurzem bedingt durch das Alter des jüngeren Kindes eine eigene Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, liegt keine atypische Ausnahme von der Regel des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, der es der Beklagten ermöglichen würde, im Ermessenswege bereits die erstmalige Erteilung abzulehnen.

Im Übrigen spricht alles dafür, aus Gründen der Systemgerechtigkeit und nicht zuletzt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die Anforderungen an die spätere Verlängerung in Bezug auf die Voraussetzung der überwiegenden bzw. nicht nur vorübergehenden eigenständigen Sicherung grundlegender zu modifizieren, wenn der erstmalige Titel – namentlich aufgrund gerichtlichen Rechtsschutzes – erst im Jahre 2009 oder sogar noch viele Jahre später erteilt wird. Denn die erstmalige Erteilung des Titels hat nach Sinn und Zweck der Altfallregelung, wie sie insbesondere unübersehbar in dem Umstand zum Ausdruck kommt, dass bei der erstmaligen Erteilung gerade keine Sicherung des Lebensunterhalts verlangt werden darf, die Funktion überhaupt erstmals eine sichere Grundlage für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedenfalls aber für eine auskömmlichere Tätigkeit zu schaffen (vgl. auch BT-Drucks 16/5065, 202, wonach es sich um eine "Aufenthaltserlaubnis auf Probe" handeln soll). Es wäre vor diesem Hintergrund aber widersprüchlich, hier die Ersterteilung davon abhängig zu machen, dass im Jahre 2009 bereits eine überwiegende bzw. nicht nur vorübergehende Sicherung erfolgt war. [...]