VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Beschluss vom 24.04.2009 - 5 B 29/09 - asyl.net: M15691
https://www.asyl.net/rsdb/M15691
Leitsatz:

Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann auch mündlich oder durch konkludentes Verhalten bei der Ausländerbehörde gestellt werden. Die Verwendung eines amtlichen Antragsformulars ist in § 81 Abs. 1 AufenthG nicht vorgeschrieben, so dass die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht erst mit Eingang eines schriftlichen Antrages bei der Ausländerbehörde zugunsten des Antragstellers greift. Die Frist nach §§ 39 Nr. 6, 41 Abs. 3 AufenthV ist mit mündlicher oder konkludenter Antragstellung ebenfalls gewahrt.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Sprachkenntnisse, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Ausweisungsgrund, Straftat, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, unerlaubter Aufenthalt, Antrag, Ausländerbehörde, Formerfordernis, mündlicher Antrag, Formulare, Erlaubnisfiktion, Visum, Visumspflicht, Visum nach Einreise, Ermessen
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 81 Abs. 3; AufenthG § 58 Abs. 2; AufenthG § 5 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann auch mündlich oder durch konkludentes Verhalten bei der Ausländerbehörde gestellt werden. Die Verwendung eines amtlichen Antragsformulars ist in § 81 Abs. 1 AufenthG nicht vorgeschrieben, so dass die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht erst mit Eingang eines schriftlichen Antrages bei der Ausländerbehörde zugunsten des Antragstellers greift. Die Frist nach §§ 39 Nr. 6, 41 Abs. 3 AufenthV ist mit mündlicher oder konkludenter Antragstellung ebenfalls gewahrt.

(Amtlicher Leitsatz)

 

[...]

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, denn bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Antragsgegners vom 19.02.2009. Dem Antragsteller steht aller Voraussicht nach ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, zumindest aber ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. [...]

Ferner liegen, soweit erkennbar, in der Person des Antragstellers die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG vor. Insbesondere ist kein Ausweisungsgrund gegeben (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hindert.

Es erscheint bereits sehr zweifelhaft, ob sich - wie der Antragsgegner meint - der Antragsteller wegen unerlaubten Aufenthalts in der Bundesrepublik nach dem 30.11.2007 gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht hat und deswegen ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG besteht. Denn der Antragsteller hat während seines nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ erlaubten Aufenthalts in der Bundesrepublik am 01.10.2007 bei dem Antragsgegner gemeinsam mit seiner Ehefrau vorgesprochen und sein Begehren auf Erteilung eines deutschen Aufenthaltstitels, der ihn zum dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet berechtigt und damit den Eheleuten eine gemeinsame Lebensführung ermöglicht, zum Ausdruck gebracht. Das hat der Antragsteller durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau im vorliegenden Verfahren glaubhaft gemacht. Danach ist davon auszugehen, dass er schon zu diesem frühen Zeitpunkt - und nicht erst durch den am 04.12.2008 beim Antragsgegner eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten - mündlich, zumindest aber durch konkludentes Verhalten (dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage, § 22 Rn. 31 m.w.N.) einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt hat. Damit ist dem Antragserfordernis des § 81 Abs. 1 AufenthG Genüge getan, denn der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unterliegt keinen besonderen Formbestimmungen; insbesondere ist die Verwendung amtlicher Antragsformulare, anders als noch unter Geltung des § 21 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1965, nicht mehr vorgeschrieben (Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 81 AufenthG Rn. 6). [...] Damit greift aller Voraussicht nach zugunsten des Antragstellers seit dem 01.10.2007 die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, mit der Folge, dass der Antragsteller auch nach Ablauf des 30.11.2007 nicht vollziehbar ausreisepflichtig war, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit schon der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt sein dürfte. Selbst wenn sich in der Hauptsache oder in dem bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Strafverfahren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, ergeben sollte, dass eine wirksame Antragstellung am 01.10.2007 nicht erfolgt ist, erscheint - worauf die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zutreffend hinweist - unter den vorliegenden Umständen eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung durch den Antragsteller mit Blick auf § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB fraglich.

Selbst wenn man mit dem Antragsgegner von einem unerlaubten Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik ab dem 01.12.2007 ausginge, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angenommen werden, dass hierin kein geringfügiger Verstoß des Antragstellers gegen Rechtsvorschriften i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu erblicken ist. Selbst die Begehung einer Straftat, die eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von bis zu 30 Tagessätzen zur Folge hat, hat der Antragsgegner nach Ziff. 55.2.2.3.1 Vorl. Nds. VV-AufenthG als noch geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften zu werten.

Überdies begegnet ernstlichen Zweifeln, ob sich der Antragsgegner für den hier interessierenden Fall des Familiennachzugs eines Ausländers zu einer deutschen Staatsangehörigen zur Versagung des Aufenthaltstitels gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auf das Vorliegen eines (einfachen) Ausweisungsgrundes i.S.d. § 55 Abs. 2 AufenthG berufen kann. Denn gemäß Ziff. 28.1.0.3 Vorl. Nds. VV-AufenthG kann der Antragsgegner den Familiennachzug mit Blick auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nur verweigern, wenn ein zwingender Ausweisungsgrund i.S.d. § 53 AufenthG vorliegt oder die Voraussetzungen für eine Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG gegeben sind. Die Vorgaben der Vorl. Nds. VV-AufenthG lenken insoweit das dem Antragsgegner nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen (Nds. OVG, Urteil vom 24.04.2008 - 11 LB 15/08 -, juris; zur Ermessensausübung i.R.d. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.04.2006 - 5 LC 110/05 -, juris). [...]

Der Antragsgegner kann dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch nicht entgegen halten, dieser sei nicht mit dem erforderlichen Visum in das Bundesgebiet eingereist, § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Denn dem Antragsteller war aufgrund des bis zum 02.02.2009 gültigen griechischen Aufenthaltstitels nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ die Einreise (am 01.09.2007) und der 3-monatige Aufenthalt in der Bundesrepublik (bis 30.11.2007) gestattet. Als Drittausländer war er damit gemäß § 39 Nr. 6 AufenthV, der durch Art. 1 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der Aufenthaltsverordnung und der AZRG-Durchführungsverordnung vom 14.10.2005 (BGBl I, S. 2982) neu eingefügt wurde und eine Gleichstellung mit den unter § 39 Nr. 3 AufenthV fallenden Drittstaatsangehörigen bezweckt (BR-Drs. 659/05, S. 6 f.), berechtigt, einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet innerhalb der in § 41 Abs. 3 AufenthV angeführten Frist von 3 Monaten nach der Einreise einzuholen. Mit der Vorsprache bei dem Antragsgegner am 01.10.2007 hat der Antragsteller diese Frist gewahrt; die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sind - wie vorstehend dargelegt - erfüllt.

Selbst wenn sich in der Hauptsache herausstellen sollte, dass eine wirksame Antragstellung am 01.10.2007 nicht erfolgt ist und der Antragsteller die Frist des § 41 Abs. 3 AufenthV mit der Folge versäumt hat, dass in seinem Fall § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Anwendung findet (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Feb. 2008, § 81 AufenthG Rn. 13), hat der Antragsteller sein durch § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumtes Ermessen, vom Erfordernis der Einreise mit nationalem Visum zum Zwecke des Familiennachzugs absehen zu können, fehlerhaft ausgeübt. Er hat verkannt, dass die materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind und in einem solchen Fall nach Ziff. 5.2.1.2.1 Vorl.Nds.VV-AufenthG auf die Einhaltung des Visumverfahrens verzichtet werden soll, sofern nicht die Gesamtumstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung erfordern. Auf die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Ausführungen zur Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens kommt es hingegen nicht an. Der Antragsgegner wäre auch aus diesem Grunde zumindest zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verpflichten. [...]