OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 21.04.2009 - 1 B 144/09 - asyl.net: M15600
https://www.asyl.net/rsdb/M15600
Leitsatz:

Die Abschiebung eines psychisch erkrankten, suizidgefährdeten Ausländers, die nur unter der Bedingung der Fesselung oder medikamentösen Ruhigstellung durchgeführt werden kann, kann unverhältnismäßig sein.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebung, Verhältnismäßigkeit, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Angststörung, Suizidgefahr, ärztliche Begleitung, Fesselung, Sedierung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Die Abschiebung eines psychisch erkrankten, suizidgefährdeten Ausländers, die nur unter der Bedingung der Fesselung oder medikamentösen Ruhigstellung durchgeführt werden kann, kann unverhältnismäßig sein.

(Amtlicher Leitsatz)

 

[...]

Die Beschwerde der Antragstellerin ist erfolgreich. Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung (§§ 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO; 920 Abs. 2 ZPO) sind gegeben. [...]

Die Antragstellerin hat aber glaubhaft gemacht, dass sie zur Zeit nicht reisefähig ist. Ihre Reiseunfähigkeit stellt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis dar. Die Antragsgegnerin ist aus diesem Grunde verpflichtet, ihren Aufenthalt zu dulden. [...]

Im Falle der Antragstellerin ist danach ein Abschiebungshindernis gegeben. Die Antragstellerin leidet unter einer chronifizierten depressiven Anpassungsstörung, wegen der sie aktuell in nervenfachärztlicher Behandlung ist (Bescheinigung des Facharztes der Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 29.01.2008). Die Erkrankung ist seit längerem vorhanden. [...]

Die konkrete Suizidgefahr für den Fall der erzwungenen Ausreise hat ihren Grund in dieser psychischen Verfassung der Antragstellerin. [...]

Wegen dieser Gefahr hält es das Gesundheitsamt Bremerhaven für erforderlich, dass im Rahmen der Abschiebung "entsprechende Sicherheitsmaßnahmen (Anlegen von Hand- und Fußfesseln, medikamentöse Behandlung, evtl. auch stationäre Behandlung)" getroffen werden und "jederzeit eine ärztliche Notfallversorgung vom Zeitpunkt der Ankündigung bis zum Abschluss der Maßnahme" gewährleistet ist. Nach der in einem Eilverfahren nur möglichen vorläufigen rechtlichen Prüfung ist das OVG zu der Überzeugung gelangt, dass eine unter diesen Bedingungen durchgeführte Abschiebung der Antragstellerin die von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen überschreiten würde.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die konkrete Form, in der eine Abschiebung vollzogen wird, wesentlich dazu beitragen kann, eine etwaige Suizidgefahr zu beherrschen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.1998 - 2 BvR 185/98 - InfAuslR 98, 241; OVG Bremen, Beschluss vom 26.02.2008 - 1 B 539/07 -; BayVGH, Beschluss vom 09.10.2007 – 24 CE 07.2403 – juris). In dieser Hinsicht ist etwa an eine psychologische Vorbereitung und Betreuung sowie eine ärztliche Begleitung der Abschiebung zu denken. Mittel, wie sie im vorliegenden Fall in Rede stehen (Fesselung, medikamentöse Ruhigstellung), wecken jedoch rechtliche Bedenken. Dabei verdeutlicht der Hinweis in der Stellungnahme des Gesundheitsamtes Bremerhaven vom 11.03.2008, dass eine jederzeitige ärztliche Notfallversorgung sicherzustellen sei, das Erfordernis der Engmaschigkeit und Effektivität der genannten Sicherheitsmaßnahmen. Die Abschiebung ließe sich danach nur durchführen, wenn intensiv in die Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität der psychisch erkrankten Antragstellerin eingegriffen werden würde. Unter diesen Umständen drängt es sich auf, dass die Abschiebung eine unverhältnismäßige Maßnahme wäre. [...]