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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 19.02.2009 - AN 3 K 08.30224 - asyl.net: M15584
https://www.asyl.net/rsdb/M15584
Leitsatz:

Keine wechselseitige nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Sunniten und Schiiten im Irak mehr; kein bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG im Irak.

Schlagwörter: Irak, Sunniten, Schiiten, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgungsdichte, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, Sicherheitslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Frauen, Situation bei Rückkehr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

[...]

Auch steht der Klägerin kein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs.1 AufenthG zu. [...]

Der Klägerin droht unter Beachtung dieser Voraussetzungen nach Ansicht des Gerichts keine Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte, die anknüpft an ihre Religionszugehörigkeit. Zwar hat das Gericht als Grundlage für ihre Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung sunnitischer und schiitischer Iraker aus dem Zentralirak seit April 2007 eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine aus religiösen Gründen bedingte asylrelevante Verfolgung angenommen; an dieser Rechtsprechung hält das Gericht nunmehr in Hinblick auf die geänderte Auskunftslage nicht mehr fest, auch eine Gruppenverfolgung irakischer Sunniten oder Schiiten aus dem Zentral- und Südirak wird vom Gericht derzeit nicht mehr angenommen.

Diese Änderung der Einschätzung der Lage im Irak ergibt sich für das Gericht aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten neueren Erkenntnisquellen, insbesondere aus dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Oktober 2008, aber auch aus den weiteren, in der Auskunftsliste im Einzelnen aufgeführten Auskünften aus dem Jahr 2008 sowie auch aus den zum Gegenstand des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung gemachten Zeitungsberichten vom Februar 2009, in denen die Situation im Irak insbesondere unmittelbar vor und nach der Durchführung der Provinzwahlen geschildert wird. Aus diesen Erkenntnisquellen ergibt sich bei zusammenfassender Betrachtung, dass die Sicherheitslage im Irak nach wie vor sehr angespannt ist, dass es auch weiterhin zu einer hohen Anzahl von Anschlägen und Gewaltverbrechen kommt, allerdings ist, wie gerade auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes ausdrücklich schildert, die Zahl der konfessionsbezogenen Anschläge und Übergriffe erheblich zurückgegangen. Insbesondere infolge der neuen amerikanischen Strategie unter Einbeziehung der früher als oppositionelle Kämpfer in Erscheinung getretenen sunnitischen Milizen und ehemaligen Armeeangehörigen einerseits und im Hinblick auf eine gewisse Erschöpfung der jeweiligen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen sowie dem regionalen Abschluss der gegenseitigen Vertreibungen aus den von einer Religionsgruppe dominierten Stadtvierteln und Orten andererseits ist die Zahl der konfessionsbezogenen Auseinandersetzungen, Überfälle und Übergriffe deutlich zurückgegangen, wobei auch die entsprechende Tendenz weiter nach unten zeigt. Gerade auch die Durchführung der landesweiten Provinzwahlen, ohne dass es dabei zu den befürchteten und früher üblichen Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen oder Übergriffen kam, ebenso wie die Verbesserung der Sicherheitssituation gerade auch im Zentralirak und in Bagdad, wie sie in den letzten Monaten in den Nachrichtensendungen der ARD und des ZDF immer wieder durch die sich vor Ort aufhaltenden Korrespondenten bestätigt worden ist, zeigt eine deutliche Änderung der Sicherheitssituation im Irak. Zwar lässt sich nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften auch in Zukunft nicht ausschließen, dass es zu konfessionsbedingten Überfällen und Übergriffen bis hin zu den so genannten Passmorden kommen kann, allerdings ist aus der rückläufigen Zahl solcher Vorfälle und insbesondere aus der zurückgehenden Tendenz eine Änderung der diesbezüglichen Verfolgungssituation im Irak für das Gericht ableitbar. Eine die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten oder Sunniten aus dem Zentral- und Südirak rechtfertigende Verfolgungsdichte lässt sich nach Auffassung des Gerichts jetzt nicht mehr feststellen, eine solche ist auch für die nähere Zukunft gerade auf Grund der rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe auch nicht zu erwarten. [...]

Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG kann der Klägerin nicht zugebilligt werden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG hat die Klägerin noch nicht einmal behauptet, für die Annahme der nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu beurteilenden Gefahr für die Klägerin auf Grund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Irak gilt entsprechendes wie bezüglich der Gefahr der asylrelevanten Verfolgung auch insofern geht das Gericht parallel zu den obigen Ausführungen davon aus, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefahr für Leib und Leben der Klägerin in Anbetracht der aus den genannten Erkenntnisquellen gewonnenen jüngeren Entwicklung im Irak nicht angenommen werden kann. Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des Gerichts auch nicht aus dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17. Februar 2009 in der Rechtssache C- 465/07, welches dem Gericht bislang lediglich als Pressemitteilung vorliegt. Nach Ansicht des Gerichts hat der Europäische Gerichtshof damit nicht entschieden, dass eine ernsthafte, individuelle Bedrohung generell nicht gefordert ist, vielmehr kann danach eine solche Bedrohung ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, denn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Da es aber nach Ansicht des Gerichts schon zweifelhaft ist, ob im Irak ein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG/ Art. 15 lit.c der sog. Qualifikationsrichtlinie vorliegt, einen solchen unterstellt, dieser zumindest nach dem oben zu § 60 Abs. 1 AufenthG Gesagten aber nicht durch ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass auch die Klägerin bei einer Rückkehr allein auf Grund ihrer Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein, bleibt das Urteil im vorliegenden Fall ohne Auswirkung.

4. Gleiches gilt für die beantragte Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit c der sog. Qualifikationsrichtlinie, soweit man diese Vorschrift nach Umsetzung der Richtlinie durch Gesetz vom 19. August 2007 überhaupt für direkt anwendbar erachtet.

5. [...] Es besteht auch keine solche extreme Gefahrenlage für die Klägerin, die die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen würde. Zwar folgt das Gericht der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 2008 (Az.: 19 ZB 08.479), wonach die Klägerin auf dies Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht mehr verwiesen werden darf (so auch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Januar 2009, Az.: RN 3 K08.30107). Der Abschiebestopp-Erlass des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 18. Dezember 2003 (für einen begrenzten Personenkreis), verlängert mit IMS vom 24. November 2006 und Rundschreiben vom 17. April 2007, der nach Ansicht der Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes allein auf organisatorischen Gründen beruht (BayVGH, Beschluss vom 26. Februar 2008, Az.: 10 ZB 07.1455) bietet nämlich keinen vergleichbaren Schutz, den eine Anordnung nach § 60 a AufenthG zur Folge hätte.

Deshalb besteht keine Sperrwirkung für eine Entscheidung des Bundesamts bzw. des Gerichts, ob ein Abschiebeverbot in verfassungskonformer Abwendung des § 60 Abs.7 Satz 1 AufenthG besteht. Dennoch besteht eine solche extreme Gefahrenlage für die Klägerin nicht. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass sich die Lage der Frauen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 zunehmend verschlechtert. Nach Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 20. November 2007 hat sich die Lage von Frauen, speziell alleinstehender Frauen ohne Schutz der Familie, des Stammes oder des Clans aufgrund von Unsicherheit, hoher Kriminalität, ungenügendem Schutz durch staatliche Autoritäten, schlechter Infrastruktur sowie der zunehmenden Bedeutung islamischer Werte, die oftmals von Milizen, Familien und Clans durchgesetzt werden, in den letzten Jahren generell verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit von Frauen wurde stark eingeschränkt wegen Belästigungen und Drohungen gegen Frauen, weshalb Frauen, vor allem allein stehende, heute verstärkt auf Männer als Begleitpersonen angewiesen sind und vielerorts alleine gar nicht mehr das Haus verlassen oder verlassen können. Speziell alleinstehende Frauen sind dann nicht in der Lage, Zugang zu grundlegenden Ressourcen ohne diese Unterstützung zu bekommen, Frauen mit Kindern werden ohne Unterstützung leicht Ziel für Menschenhandel und Prostitution. Die Klägerin aber kann Unterkunft bei ihrer Familie, zumindest ihren Schwiegereltern, finden und ist insofern nicht auf sich alleine gestellt. Zudem ist bei der gebotenen realitätsnahen Rückkehrhypothese (vgl. hierzu Urteil des BVerwG vom 2 1 . September 1999, Az.: 9 C 12/99) davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr in den Irak gemeinsam mit ihrem Ehemann, der in Deutschland lediglich eine Duldung besitzt, ausreisen wird. [...]