VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 19.02.2009 - 12 A 3839/07 - asyl.net: M15546
https://www.asyl.net/rsdb/M15546
Leitsatz:
Schlagwörter: Armenien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Schizophrenie, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die aufrecht erhaltene Klage hat Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf seihe Erkrankung das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in seiner Person feststellt. [...]

Dem vorgelegten Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. ... vom 16.02.2009 ist zu entnehmen, dass der Kläger wegen seiner Erkrankung, einer schweren schizophrenen Psychose, dauerhaft mit den in den Attesten im Einzelnen genannten Medikamenten behandelt werden muss. Bei Ausbleiben der Medikation ist nach Aussage des Facharztes ein schwerer Rückfall mit einer erheblichen Eigengefährdung (z.B. Suizid, Selbstverletzungen) zu erwarten. Dass ein Abbruch der Behandlung zu schweren Gesundheitsschäden führen kann, zeigt die Selbstschädigung, die sich der Kläger im Jahr 2004 zugefügt hat und die zu einer kompletten Erblindung geführt hat (vgl. auch die amtsärztlichen Stellungnahmen vom 18.09.2006 und 24.05.2007 <Beiakte A>).

Die somit zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden benötigten Medikamente wird der Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten.

Zwar gibt es in Armenien ein Gesetz über die unentgeltliche medizinische Behandlung. Das Gesetz regelt den Umfang der kostenlosen ambulanten oder stationären Behandlung bei bestimmten Krankheiten und Medikamenten. Im Staatshaushalt sind für die medizinische Versorgung Mittel vorhanden, die auch kontinuierlich aufgestockt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.06.2008). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass der Kläger die zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden dringend benötigten Medikamente bei einer Rückkehr nach Armenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten wird.

Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Kläger das von ihm benötigte Medikament Decentan erhalten wird. Weder zu dem Medikament Decentan noch zu dem Wirkstoff Perphenazin liegen Erkenntnisse über die Verfügbarkeit in Armenien vor.

Das vom Kläger benötigte Medikament Parkopan ist zwar nach Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Greifswald vom 01.07.2004 in Armenien erhältlich. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger das an sich erhältliche Medikament Parkopan bei einer Rückkehr nach Armenien tatsächlich zur Verfügung steht. Denn die Beträge, die den Kliniken zur Verfügung gestellt werden, reichen für deren Betrieb und die an sich vorgesehene kostenlose Ausgabe von Medikamenten nicht aus, so dass die Kliniken gezwungen sind, von den Patienten Geld zu nehmen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18.06.2008). Zwar besteht die - theoretische - Möglichkeit, diese informellen Zahlungen zu verweigern und sich beim Gesundheitsministerium zu beschweren oder den Rechtsweg zu beschreiten. Zumindest während der Dauer der Bearbeitung einer solchen Beschwerde oder einer solchen Klage stünden dem Kläger die notwendigen Medikamente jedoch nicht zur Verfügung. Darüber hinaus fallen jedenfalls für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens Gebühren und Rechtsanwaltskosten in Höhe von ca. 8,66 Euro bzw. 150,00 Euro an (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan vom 16.08.2007 an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht), die der Kläger, der schwer erkrankt und erblindet ist, ebenfalls nicht aufbringen könnte.

Der Kläger kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er die benötigten Medikamenten durch finanzielle Unterstützung, seiner Verwandten erhalten kann. Seine Mutter ist selbst erkrankt. Es ist zweifelhaft, dass sein Vater, auf deren Unterstützung Sohn und Ehefrau angewiesen sind, den Lebensunterhalt eigenständig sichern kann. Jedenfalls kann nicht angenommen werden, dass der Vater des Klägers in der Lage sein wird, den Kläger bei der Beschaffung der benötigten Medikamente finanziell zu unterstützen. Weitere Verwandte des Klägers leben nicht in Armenien. [...]