VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.03.2009 - 14 B 4/09 - asyl.net: M15356
https://www.asyl.net/rsdb/M15356
Leitsatz:

Einstweilige Anordnung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG unter Vorwegnahme der Hauptsache, da anderenfalls mangels rechtzeitigen Beginns der Erwerbstätigkeit ein Verlust der Verlängerungsmöglichkeit der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 5 AufenthG droht; die Ausländerbehörde kann sich nicht auf die Verletzung der Passpflicht berufen, wenn die Erteilung eines Passes scheiterte, weil sie keine Bescheinigung ausstellte, dass der Pass für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis benötigt wird; die Vereinbarung des gemeinsamen Sorgerechts für ein bleibeberechtigtes Kind kann einem ausländischen Vater nicht als selbstgeschaffenes Abschiebungshindernis vorgeworfen werden.

 

Schlagwörter: D (A), Altfallregelung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, Aufenthaltserlaubnis, Verfahrensdauer, Willkür, Eilbedürftigkeit, Ausländerbehörde, Mitwirkungspflichten, Passpflicht, Passbeschaffung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Schutz von Ehe und Familie, Sorgerecht, Eltern-Kind-Verhältnis, Sorgerechtserklärung, Erwerbstätigkeit, Verlängerung, Armenien, Auslandsvertretung, Armenier
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 1; GG Art. 6; EMRK Art. 8; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4; AufenthG § 104a Abs. 5
Auszüge:

Einstweilige Anordnung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG unter Vorwegnahme der Hauptsache, da anderenfalls mangels rechtzeitigen Beginns der Erwerbstätigkeit ein Verlust der Verlängerungsmöglichkeit der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 5 AufenthG droht; die Ausländerbehörde kann sich nicht auf die Verletzung der Passpflicht berufen, wenn die Erteilung eines Passes scheiterte, weil sie keine Bescheinigung ausstellte, dass der Pass für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis benötigt wird; die Vereinbarung des gemeinsamen Sorgerechts für ein bleibeberechtigtes Kind kann einem ausländischen Vater nicht als selbstgeschaffenes Abschiebungshindernis vorgeworfen werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. [...]

Der Zulässigkeit der Regelungsanordnung steht nicht entgegen, dass begehrt wird, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vor der Entscheidung über ihre Klage in der Hauptsache (- 14 A 19/09 -) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu erteilen und damit die Hauptsache des Klageverfahrens vorwegzunehmen.

Diese Vorwegnahme ist hier erforderlich, weil sonst den Antragstellern nicht behebbarer Schaden entsteht.

Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO ist hier möglich und nötig, weil nur so sichergestellt werden kann, dass die ausländerrechtliche Regelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG den Antragstellern zugute kommen kann (OVG NRW, Beschl. vom 12.02.2008 - 18 B 230/08 - nach JURIS für einen Fall des § 104 a AufenthG; außerdem OVG NRW, Beschl. vom 10.12.2008 - 18 B 1836/08 - nach JURIS; Nieders. OVG, Beschl. vom 11.08.2008 - 13 ME 128/08 - nach JURIS). Ohne die Vorwegnahme der Hauptsache können die Antragsteller trotz der rechtzeitigen Antragstellung im Mai 2007 eine Hauptsacheentscheidung durch die lange Verfahrensdauer jetzt nicht mehr rechtzeitig erwirken. Sofern sie die Aufenthaltserlaubnis aber nicht bis zum 31.03.2009 erhalten und damit einer Arbeit nachgehen können, entfällt für sie der mögliche Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis über den 31.12.2009 hinaus nach § 104 a Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem ist schon bei summarischer Prüfung erkennbar, dass die Voraussetzungen des § 104 a AufenthG bei ihnen vorliegen, so dass sie einen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis haben.

Den Antragstellern drohte damit durch die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in ihrem Grundrecht, daher ist nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage des geltend gemachten Anspruchs einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, da keine überwiegenden, wichtigen Gründe entgegenstehen und vorrangig sind (BVerfG, Kammerbeschl. vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 nach JURIS; OVG Schleswig, Beschl. vom 08.10.1992 - 4 M 89/92 - nach JURIS).

Dabei ist hier auch zu berücksichtigen, dass die jetzige Eilbedürftigkeit ganz überwiegend auf dem Verhalten das Antragsgegners beruht, der den im Mai 2007 gestellten Antrag erst nahezu ein Jahr später nach Androhung einer Untätigkeitsklage ablehnte und jetzt auch bereits seit über einem Jahr das Widerspruchsverfahren nicht entschieden hat, ohne dass überzeugende Gründe für die - bei diesem Beklagten leider häufige - Untätigkeit erkennbar sind. Dabei wird als Ablehnungsbegründung lediglich die mangelnde Mitwirkung der Antragsteller an einer Passbeschaffung und ihre daraus resultierende Passlosigkeit vorgeschoben - was, wenn es denn stimmen würde (was nicht der Fall ist, wie noch ausgeführt wird), bereits 2007 bekannt war, da die Bemühungen um Pässe und Passersatzpapiere bereits seit 2001 laufen.

Die Antragsteller haben auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 5 S. 1 AufenthG bis zum 31.12.2009. [...]

Hier sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen könnten. Insbesondere ist nicht der vom Antragsgegner einzig konkret als Hindernis angeführte Grund gegeben, dass die Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen verhindert hätten.

Die Antragsteller haben sich parallel zu den Bemühungen des Antragsgegners um armenische Personalpapiere bemüht [...]

Die Tatsache, dass die Antragsteller nicht über armenische Pässe verfügen und sie damit nicht die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG erfüllen, kann der Antragsteller ihrem Begehren nicht entgegenhalten, da er diese Tatsache, wie sich aus den Verwaltungsvorgängen ergibt, selber zu vertreten hat. Er ist vom damaligen Prozessbevollmächtigten der Antragsteller darauf hingewiesen worden, dass die armenische Botschaft ihm auf Nachfrage, warum keine Reiseausweise ausgestellt würden (im Übrigen bestätigt dieser Sachverhalt indirekt auch die eigenen Bemühungen der Antragsteller), mitgeteilt habe, dass es erforderlich sei, eine schriftliche Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde vorzulegen, wonach der Reisesausweis für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis benötigt werde, Der Antragsgegner war aber offensichtlich nicht bereit, diese Bescheinigung auszustellen und hat damit die Ausstellung von Reisepässen höchstwahrscheinlich selber verhindert.

Die Behauptung des Antragsgegners, den Antragstellern seien bereits Identitätspapiere durch die Botschaft angeboten worden, findet im Verwaltungsverfahren keine Anhaltspunkte, denn die Botschaft hat dazu - wie oben bereits dargestellt - eine Bescheinigung verlangt, wonach diese Papiere für die Aufenthaltserlaubnis erforderlich seien, welche sie nicht bekommen hat.

Damit greifen die Vorwürfe des Antragsgegners, die Antragsteller seien ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und der Antragsteller zu 1) habe durch die Sorgerechtserklärung für seinen Sohn ein aufenthaltsrechtliches Hindernis geschaffen, schon deshalb nicht durch, weil die Ausstellung von Passersatzpapieren bereits an seiner fehlenden Ausstellung einer Bescheinigung für die Botschaft gescheitert ist. Infolgedessen ist das Verhalten der Antragsteller zumindest nicht allein ursächlich für die nicht erfolgte Aufenthaltsbeendigung. Selbst wenn sie ursächlich für die Behinderung der Aufenthaltsbeendigung der Antragsteller gewesen wäre, so kann dies nicht zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führen, weil eine Aufenthaltsbeendigung auch daran scheitert, dass der Sohn des Antragstellers zu 1) nicht mit abgeschoben werden kann, da Armenien nicht bereit ist, ihn aufzunehmen. Eine Trennung des Vaters von dem Kind ist aber verfassungsrechtlich durch Art. 6 GG ausgeschlossen, der das Recht auf Familie gerade gewährt.

Eine Trennung ausländischer Eltern von ihren minderjährigen Kindern ist mit Rücksicht auf das familiäre Zusammenleben und unter Berücksichtigung der familiären Schutzwirkung des Art. 6 GG grundsätzlich nicht möglich (BVerfG, Beschl. v. 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 - nach JURIS). Daneben bezieht sich auch der Schutzbereich des in Art. 8 EMRK erwähnten Familienlebens auf den Schutz der Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern und schließt eine Trennung der Familie aus. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zu 1) bereits zuvor wiederholt dargelegt hat, wie oft er Kontakt zur Kindesmutter hatte und was er unternommen hat, um in Verbindung mit ihr zu treten. Dies ist deshalb sehr überzeugend, weil er dies jedes Mal übereinstimmend mitgeteilt hat und dies auch angesichts ihrer länderübergreifenden Wohnortwechsel glaubhaft ist. Er hat auch seine mehrmalige Kontaktaufnahme zur Botschaft dargelegt und dass ihm trotz seiner Bemühungen und der Information des Antragsgegners über diese nicht mitgeteilt worden ist, was er tatsächlich Mögliches noch hätte unternehmen können.

Die Tatsache, dass er mit der ukrainischen Mutter seinerzeit ein gemeinsames Sorgerecht vereinbart hatte, ist ihm nicht anzulasten. Das entspricht dem in Deutschland üblichen Rechtszustand. Die Möglichkeit, zivilrechtlich das alleinige Sorgerecht zu erwirken, ist ihm erst am Ende des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt worden und konnte somit nicht mehr umgesetzt werden. Ob nunmehr angesichts der Schwierigkeiten, die Mutter anzuhören. kurzfristig eine Änderung des Sorgerechts möglich gewesen wäre, erscheint fraglich.

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung ist auch erforderlich, weil es keine weniger einschneidende Möglichkeit gibt. Zwar könnte eine Arbeitserlaubnis nach § 39 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 10 Abs. 2 Nr. 4 BeschVerfV ohne das Zustimmungserfordernis durch die Bundesagentur für Arbeit bis zur Hauptsacheentscheidung erteilt werden, so dass die Antragsteller zunächst arbeiten könnten. Dies scheint zunächst im Verhältnis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich weniger zu sein. Allerdings müsste diese Erlaubnis, um effektiven Rechtsschutz zu bieten, bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung, das heißt zeitlich weiträumiger gewährt werden. Dies hätte zur Folge, dass einerseits die vorgesehene Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis nur auf Probe zu erteilen, hinsichtlich der zeitlichen Komponente überschritten wird und dadurch letztlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 S. 1 AufenthG ggf. zu erteilen ist. Außerdem würde der Behörde die Ermessensentscheidung für die Zeit ab dem 01.01.2010 über die Verlängerung nach § 104 a Abs. 5 AufenthG genommen. Dann würde aber die Entscheidung in einem erheblicheren Maße vorweggenommen als bei einer auf den 31.12.2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis. Denn sollte das Gericht nach dem 31.12.2009 entscheiden, könnte die selbständige Erwerbssicherung vorliegen und es käme nur noch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 S. 2 AufenthG in Betracht.

Im Verhältnis zu § 25 Abs. 5 AufenthG ist zu berücksichtigen, dass die Aufenthaltserlaubnis danach an den ungewissen Zeitpunkt geknüpft ist, an dem die Einverständniserklärung der Kindesmutter zur armenischen Staatsangehörigkeit bzw. zur Ausreise ihres Kindes nach Armenien vorgelegt wird. Denn § 25 Abs. 5 AufenthG knüpft vorliegend an die tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise an. Jedenfalls der Antragsteller zu 1) kann nicht ausreisen, da sein minderjähriges Kind keine Papiere hat und alleine in Deutschland bleiben müsste. Währenddessen ist die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 Abs. 5 S. 1 AufenthG zeitlich auf den 31.12.2009 befristetet.

Im Übrigen werden die Antragsteller sich ohnehin jedenfalls bis zur Hauptsacheentscheidung in Deutschland aufhalten. Daher besteht auch ein Interesse der Allgemeinheit daran, dass sie in dieser Zeit nicht das deutsche Sozialsystem belasten. Es muss zwar ausgeschlossen werden, dass ein Ausländer durch seine späte Antragstellung oder durch sein sonstiges Verhalten herbeiführen kann, dass er die Behörde zeitlich unter Druck setzt und ihm deshalb eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Vorliegend haben die Antragsteller jedoch lange vor der Klage, im Januar bzw. Mai 2007, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Die behördliche Entscheidung darüber ist nicht zuletzt durch diese selbst hinausgezögert worden. Somit hat der Antragsgegner selber den frühzeitigen Weg zum Gericht und damit effektiven Rechtsschutz versperrt. Ein anderes Ergebnis könnte die Behörde dazu veranlassen, bei der Fristbindung einer Entscheidung durch die Norm durch ihre Untätigkeit über die Gewährung des Rechts willkürlich zu entscheiden. [...]