Art. 6 GG entfaltet aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen dergestalt, dass bereits im Vorfeld der Erfüllung der Voraussetzungen des § 28 AufenthG (hier: Geburt eines deutschen Kindes nach Vaterschaftsanerkennung durch ausländischen Vater) eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig sein kann.
Art. 6 GG entfaltet aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen dergestalt, dass bereits im Vorfeld der Erfüllung der Voraussetzungen des § 28 AufenthG (hier: Geburt eines deutschen Kindes nach Vaterschaftsanerkennung durch ausländischen Vater) eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig sein kann.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der nach teilweiser Antragsrücknahme verbleibende sinngemäße Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin zu 1. ein Visum zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Familiennachzug für die Dauer von drei Monaten zu erteilen, ist zulässig und begründet. [...]
Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann die - vorliegend allein in Betracht kommende - Regelungsanordnung nur ergehen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Mit der hier begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Visumserteilung wird zudem das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens vorweggenommen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist - auch mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) - indessen nur dann zulässig und geboten, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74, 77; BVerfG, NVwZ 1997, 479, 480 ff.; OVG Berlin, InfAuslR 2001, 81; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 211 ff., 235). Das ist hier der Fall.
1. Im Hauptsacheverfahren ist ein Obsiegen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
a) Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung hat die Antragstellerin zu 1. bereits zum jetzigen Zeitpunkt einen Anspruch gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Der Antragsteller zu 2. kann diesen Anspruch wegen der Betroffenheit seiner in Art. 6 Abs. 1, 2 GG gründenden Rechte als künftiger nichtehelicher Vater, Lebenspartner und künftiger Ehemann der Antragstellerin zu 1. ebenfalls gerichtlich geltend machen.
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist - ohne dass es auf die Frage der Lebensunterhaltssicherung ankäme - dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen.
Das von der Antragstellerin zu 1. erwartete Kind wird aufgrund der vorgeburtlichen (§ 1594 Abs. 4 BGB) Vaterschaftserkennung durch den Antragsteller zu 2. die deutsche Staatsangehörigkeit haben (§ 4 Abs. 1 S. 1, 2 StAG). Damit ist es ohne weiteres berechtigt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet zu nehmen. Die Antragsteller beabsichtigen einen solchen Aufenthalt auch; es ist nichts dafür dargetan, dass das Kind auf Dauer in Jamaika bleiben soll. Die Antragstellerin zu 1. ist als nichteheliche Mutter personensorgeberechtigt (§ 1626a Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 21 EGBGB). Dafür, dass die Vaterschaftsanerkennung missbräuchlich erfolgt ist, trägt die Antragsgegnerin nichts vor; auch sonst bestehen insoweit keinerlei Anhaltspunkte. Davon abgesehen wäre nach geltender Rechtslage eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung - also eine solche, die entgegen den wahren Abstammungsverhältnissen nur erfolgt, um Mutter und Kind ein Aufenthaltsrecht zu sichern - wohl hinzunehmen (Marx, in: GK-AufenthG, § 28 Rz. 63, m.w.N.).
Der Umstand, dass die Geburt z. Zt. noch nicht erfolgt ist, das Kind damit als Rechtspersönlichkeit noch nicht vollständig existent ist (zur partiellen Rechtsfähigkeit des Nasciturus vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, § 1 Rn. 5 ff.) und z. Zt. einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland tatsächlich nicht begründet hat, steht nach Ansicht des Gerichts der Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht entgegen. Denn aus Art. 6 GG ergeben sich - jedenfalls wenn wie hier die Schwangerschaft weit fortgeschritten ist und keinerlei Anhaltspunkte dafür existieren, dass es nicht zu einem erfolgreichen Abschluss der Schwangerschaft kommen wird - aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen, die bereits im Vorfeld der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 AufenthG einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel begründen.
In der neueren Rechtsprechung ist anerkannt, dass die bevorstehende Geburt eines (auch nichtehelichen) Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen begründen kann. Das lässt sich aus Art. 6 Abs. 1, 2, 5 GG herleiten, der bei der Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften des Ausländerrechts zu berücksichtigen ist. Auch die familiäre Lebensgemeinschaft nicht miteinander verheirateter Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind genießt den besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1, 2 GG. Dieser Schutz entfaltet nach Ansicht des erkennenden Gerichts insoweit Vorwirkungen, als die werdende Mutter Anspruch auf Hilfe und Beistand durch ihren Lebenspartner und der Lebenspartner Anspruch auf Begleitung der Schwangerschaft, jedenfalls in der Schlussphase, sowie Anspruch auf Teilnahme an der Geburt hat. Die formalistische Auffassung, dass erst durch die Geburt die Staatsangehörigkeit vermittelt wird, wird der Bedeutung des Art. 6 GG daher nicht gerecht; vielmehr muss bereits der voraussichtliche Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch eine binnen kurzer Frist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Geburt dem werdenden Kind und damit zwangsläufig auch der Schwangeren ein Aufenthaltsrecht vermitteln (vgl. insbes. Sächs. OVG, Beschluss v. 25. Januar 2006, NVwZ 2006, 613; VGH München, FamRZ 1992, 311 f.; VG Greifswald, NVwZ-RR 1995, 543; VG Oldenburg, InfAuslR 2003, 433; dies erwägend auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. April 2006, 2 M 82/06, Juris).
Diese zumeist im Rahmen von Abschiebungsverfahren entwickelten rechtlichen Grundsätze hält das Gericht auf eine Visumserteilung zum Zwecke des Familiennachzugs für übertragbar. Anerkennenswerte öffentliche Interesse, mit dem Nachzug ins Bundesgebiet bis zur Geburt abzuwarten, sind nicht ersichtlich, und ein solches Abwarten bringt für die Eltern in aller Regel - auch vorliegend - erhebliche Nachteile mit sich (s.u. 2.). [...]
2. Ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden den Antragstellern auch schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Hauptsacheentscheidung nicht mehr in der Lage wäre.
Der Antragstellerin zu 1. droht der Nachteil, dass sie unter Verzicht auf den Beistand des Antragstellers zu 2. - der glaubhaft gemacht hat, im Augenblick aus beruflichen Gründen nicht nach Jamaika reisen zu können - und unter, im Vergleich zu Deutschland, wesentlich schlechteren medizinischen Bedingungen in Jamaika entbinden müsste. In den "Medizinischen Hinweise" zu Jamaika auf der Homepage der Antragsgegnerin, heißt es u.a.: "Die medizinische Versorgung im Jamaika entspricht nicht europäischen Verhältnissen, insbesondere bezüglich der Notfallversorgung. ... Wie auf anderen Karibikinseln sind HIV-Infektionen relativ weit verbreitet." Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1. von einem deutschen Kind entbinden wird und dieses grundsätzlich einen Anspruch darauf haben dürfte, in Deutschland unter Inanspruchnahme des hier vorhandenen Versorgungsniveaus zur Welt zu kommen, erachtet die Kammer dies - wie den fehlenden Beistand durch den Antragsteller zu 2. - als einen unzumutbaren, nachträglich nicht rückgängig zu machenden Nachteil. Auch unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Antragstellers zu 2. ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin zu 1. finanziell in der Lage wäre, sich eine Entbindung in einer der wenigen teuren Privatkliniken Jamaikas zu leisten, in denen die medizinische Versorgung möglicherweise westeuropäischen Verhältnissen entspricht.
Dem Antragsteller zu 2. droht der, ebenfalls nachträglich nicht rückgängig zu machende Nachteil, dass er bei der Geburt seines Kindes nicht dabei sein kann und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die ersten Lebenswochen oder -monate seines Kindes verpasst. Denn zum einen ist ungewiss, ob Kind und/oder Antragstellerin zu 1. unmittelbar nach der Entbindung gesundheitlich zu einer Reise nach Deutschland überhaupt in der Lage sein werden; um anderen ist unabhängig davon unsicher, ob die Antragsgegnerin - die das Visum auch im Hinblick auf den noch nicht anberaumten Eheschließungstermin verweigert - der Antragstellerin zu 1. unverzüglich eine Aufenthaltserlaubnis erteilen wird. Der nichteheliche Vater hat aber ein aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG folgendes Recht auf Umgang mit seinem Kind. Sein spezifischer Erziehungsbeitrag wird nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich, sondern hat eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Bei kleinen Kindern wiegt die - auch nur vorübergehende - Vereitelung der ernsthaft beabsichtigten Lebensgemeinschaft besonders schwer (vgl. zum Vorstehenden etwa BVerfG, NVwZ 2006, 682).
Den genannten Nachteilen stehen vergleichbare Nachteile der Antragsgegnerin nicht gegenüber, wenn sie den Aufenthalt der Antragstellerin zu 1. in Deutschland gestattet. Der legitime öffentliche Belang, unerwünschte oder illegale Zuwanderung zu verhindern, wird durch die Erteilung der (vorläufigen) Aufenthaltserlaubnis nicht tangiert. Denn wie ausgeführt gibt es keinerlei Hinweise, dass der Antragsteller zu 2. eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung ausgesprochen hat. Nach Geburt des Kindes und seinem Zuzug nach Deutschland - hierzu wäre es aufgrund der jedem Deutschen zustehenden grundrechtlich geschützten Einreisefreiheit ohne weiteres berechtigt - müsste die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1. ein auf § 28 AufenthG gestütztes Einreisevisum ohnehin umgehend und zwingend erteilen. [...]