VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 30.10.2008 - 20 K 841/08.A - asyl.net: M15175
https://www.asyl.net/rsdb/M15175
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, alleinstehende Frauen, Existenzminimum, häusliche Gewalt, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, depressive Störung, Angststörung, dissoziative Störung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]

Die Klägerin hat schon als alleinstehende Frau in Syrien kaum die Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. Unter zusätzlicher Berücksichtigung ihrer gesundheitlichen Situation ist sie jedenfalls ohne familiäre oder vergleichbare Anbindung nicht lebensfähig und könnte daher auf sich alleine gestellt in Syrien nicht existieren.

Es ist in Syrien in Anbetracht der gesellschaftlichen Realität außerhalb einer privilegierten Oberschicht für eine alleinstehende Frau nur äußerst schwer oder gar nicht möglich, außerhalb eines Familienverbundes allein zu leben und zu arbeiten (vgl. Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Auskunft vom 27.04.2004; VG Oldenburg, Urteil vom 04.09.2006 - 11 A 436/06 - und VG Koblenz, Urteil vom 12.2.2007 - 4 K 2312/05.KO -).

Die Klägerin befände sich bei einer Rückkehr in Syrien in einer derartigen Situation, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort noch Teile ihrer Familie leben, die sie aufnehmen würden, oder es vergleichbare Anknüpfungspunkte zu anderen Familien in Syrien gibt. [...]

Dem Vortrag der Klägerin und den Stellungnahmen der Fachärzte für Psychiatrie bzw. Psychotherapie (Frau A. ..., Herrn Dr. ... - Rhein-Klinik -, Herrn ...) ist zu entnehmen, dass die Klägerin während ihres Aufenthaltes in Amerika von ihrem Ehemann in schwerster Weise misshandelt worden ist. Im Wesentlichen übereinstimmend wird im Rahmen des psychischen Befundes angegeben, dass die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen mit Albträumen, Flash-Backs in den Albträumen sowie auch tagsüber, ausgeprägten Angstzustände, Zuständen der Ohnmacht und Hilflosigkeit, erheblichem sozialen Rückzug bis hin zu Suizidgedanken leide. Alle genannten Fachärzte kommen diagnostisch zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelgradige bzw. schwere depressive Störung vorliege. Frau ... und Herr Dr. ... gehen des Weiteren von einer Angststörung und dissoziativen Störung bzw. dem Verdacht auf eine solche Störung aus. Die Kammer hat keinen Zweifel - nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks von der Klägerin, der naturgemäß im Sitzungsprotokoll nur andeutungsweise vermittelt werden kann -, dass die auch in den ärztlichen Stellungnahmen wiedergegebenen Angaben der Klägerin über schwere Misshandlungen wahr sind und dies zu dem geschilderten psychischen Befund geführt hat. [...]

Die Kammer hat keine Zweifel, dass es der Klägerin aufgrund ihrer psychischen Situation nicht möglich ist, ein eigenständiges Leben zu führen und etwa auch ihre psychologische Behandlung sicherzustellen. Insoweit ist letztlich nicht entscheidend, ob die genannten ärztlichen Diagnosen zutreffend sind, insbesondere, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt (wobei allerdings angemerkt sei, dass angesichts der von der Klägerin erlittenen Misshandlungen und der erhobenen psychologischen Befunde sehr viel dafür spricht, dass diese Diagnose zutreffend ist). Jedenfalls überlagert die Beschäftigung mit ihren psychologischen Problemen bzw. der Versuch der Bewältigung des Erlittenen ihr tägliches Leben in einer Weise, dass es ihr nicht möglich ist, ihr Leben und den Alltag eigenständig zu gestalten. Vielmehr ist sie im Prinzip durchgängig auf die Unterstützung seitens ihrer Mutter, ihres Bruders und ihrer Schwägerin angewiesen, wie sich auch aus ihren Angaben, denen ihrer in der mündlichen Verhandlung anwesenden Angehörigen sowie der entsprechenden, im Befundbericht vom 19.9.2007 ausdrücklich festgehaltenen Einschätzung der Rhein-Klinik zur Überzeugung der Kammer ergibt. Angesichts dieser gesundheitlichen Umstände und unter Berücksichtigung der Situation alleinstehender Frauen in Syrien hält die Kammer es für ausgeschlossen, dass die Klägerin in Syrien auf sich allein gestellt (über-)leben könnte. Damit bestünde für sie bei einer Abschiebung nach Syrien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. [...]