VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 22.11.2008 - 8 K 542/07 - asyl.net: M15168
https://www.asyl.net/rsdb/M15168
Leitsatz:

Erzielt ein ungelernter Einbürgerungsbewerber mit seiner Erwerbstätigkeit kein ausreichendes Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so spricht bereits das Innehaben einer Arbeitsstelle dafür, dass er dies nicht zu vertreten hat.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Lebensunterhalt, Arbeitslosigkeit, Vertretenmüssen, Beweislast, Sprachkenntnisse
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StAG § 11 Abs. 1 Nr. 1 a.F.
Auszüge:

Erzielt ein ungelernter Einbürgerungsbewerber mit seiner Erwerbstätigkeit kein ausreichendes Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so spricht bereits das Innehaben einer Arbeitsstelle dafür, dass er dies nicht zu vertreten hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Klägerin hat bezogen auf den für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Einbürgerung nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung (vgl. Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007), der gemäß § 40 c StAG auf bis zum 30. März 2007 gestellte Anträge noch anzuwenden ist, soweit er günstigere Bestimmungen enthält. [...]

Der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG setzt voraus, dass der Ausländer den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann. Dabei ist nach herrschender Meinung, die sich vor allem am Wortlaut der Vorschrift orientiert, nur beachtlich, ob der Ausländer tatsächlich derartige Leistungen bezieht. Ein bestehender oder entstehender Anspruch auf Leistungen steht der Einbürgerung danach nicht entgegen (vgl. die Darstellung bei Berlit in: Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht (GK-StAR), Stand: Oktober 2005, § 10 Rdnr. 216 ff., 220 ff. m.w.N.).

Bereits einen abstrakten Anspruch auf Leistungen, also ein unterhalb des Regelsatzes liegendes Einkommen, hält dagegen das Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 16. August 2005 (- 2 A 99.04 -) für einbürgerungsschädlich.

Nach einer anderen Auffassung ist jedenfalls nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen, sondern es ist auch eine gewisse Nachhaltigkeit zu fordern. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsantragsteller voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu sichern. Ist zu erwarten, dass in absehbarer Zeit eine Inanspruchnahme der zustehenden Leistungen erfolgen wird, kommt eine Einbürgerung nicht in Betracht (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. April 2008 - 13 S 171/08 -, AuAS 2008, 150).

Das mag jedenfalls bei Einkommen und Vermögen im Grenzbereich zur Leistungsberechtigung oder in Fällen zu erwägen sein, in denen Hinweise dafür vorliegen, dass ein Antrag auf Leistungen zum Lebensunterhalt nur wegen eines laufenden Einbürgerungsverfahrens (vorerst) nicht gestellt wird (Berlit, a.a.O.§ 10 Rdnr. 216 ff., 220 ff. m.w.N.).

Diese Frage ist hier aber nicht zu entscheiden. Ein Leistungsbezug findet nicht statt. Allerdings lag von 2005 bis Mai 2007 eine Inanspruchnahme von Leistungen vor und liegt der Kläger nunmehr mit seinem Einkommen (einschließlich des Kindergeldes) in Höhe von höchstens 1.072 EUR in Höhe von etwa 350 EUR unter dem für seine Familie geltenden Regelbedarf von 1425 EUR, verzeichnet also einen Fehlbedarf von fast 25 %. Es kann dahin stehen, ob damit den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG genügt ist, weil der Kläger die Tatsache, dass er kein höheres Erwerbseinkommen erzielt, nicht zu vertreten hat. Er hätte damit auch einen etwaigen Leistungsbezug nicht zu vertreten.

Von dem Erfordernis der wirtschaftlichen Eigensicherung ist hier daher gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG - jedenfalls in analoger Anwendung - abzusehen. Nach dieser Vorschrift wird von der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG bezeichneten Voraussetzung unter anderem dann abgesehen, wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites oder Zwölftes Buch (SGB II oder SGB XII) bestreiten kann.

Ob der Einbürgerungsantragsteller den Leistungsbezug zu vertreten hat, ist eine verwaltungsgerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Rechtsfrage, ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum kommt der Einbürgerungsbehörde insoweit nicht zu. Der Begriff des Vertretenmüssens beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Erforderlich, aber auch ausreichend für ein Vertretenmüssen des Leistungsbezugs ist, dass der Einbürgerungsantragsteller durch ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat. Der Begriff des zu vertretenden Grundes ist im öffentlichen Recht wertneutral auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12. März 1987 - 2 C 22.85 -, NVwZ 1989, 64; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 1. Juli 1997 - 25 A 3613/95 -, Inf-AuslR 98, 34/35; Berlit in Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht (GK-StAR), Stand: Oktober 2005, § 10 Rdnr. 242 ff.; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht (StAR), 4. Aufl., § 10 Rdnr. 23 f.).

Bei einem arbeitslosen Ausländer ist u.a. dann davon auszugehen, dass er den Leistungsbezug zu vertreten hat, wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung bemüht oder wenn er durch ihm zurechenbares Verhalten zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, eine ihm zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen. Nicht zu vertreten hat es der Einbürgerungsantragsteller, wenn der Leistungsbezug wegen Verlusts des Arbeitsplatzes durch gesundheitliche, betriebsbedingte oder konjunkturelle Ursachen begründet ist oder wenn der arbeitslose Ausländer sich hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht, aber aus konjunkturellen Gründen oder deswegen keine Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale aufweist. Insbesondere Personen, die nach Alter, Gesundheitszustand oder sozialer Situation sozialrechtlich nicht erwerbsverpflichtet sind (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3, 4 SGB II, § 11 Abs. 4 Satz 2, 4 SGB XII), haben ihren Leistungsbezug normativ regelmäßig nicht zu vertreten (Berlit in: GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 252 f.; siehe auch Ziff. 10.1.3. der Vorl. AWH, vgl. zur besonderen Berücksichtigung der Erwerbschancen im Hinblick auf Bildungsstand, fehlende Qualifikation, Lückenhaftigkeit der Erwerbsbiographie, konjunkturell schwierige Arbeitsmarktlage für ungelernte Kräfte: Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 K 305/07 -, Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 9. Januar 2008 - AN 15 K 07.02994 -).

Die zu stellenden Anforderungen an Art und Umfang der von einem (arbeitslosen) Einbürgerungsantragsteller zu verlangenden Eigenbemühungen um eine neue Arbeitstelle zu stellen sind, lässt sich nicht abstrakt-generell festlegen, sondern ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Von Bedeutung sind dabei insbesondere die die individuellen Chancen des Ausländers auf dem Arbeitsmarkt bestimmenden Faktoren, wie u.a. Ausbildungsstand, Qualifikation, Alter, Behinderungen, Gesundheitszustand oder auch Dauer der Beschäftigungslosigkeit. Zur Konkretisierung der Anforderungen an die Arbeitsbemühungen sowie an die Zumutbarkeit einer Beschäftigung können auch die zum Sozialleistungsrecht entwickelten Grundsätze herangezogen werden. Denn die Verletzung der gesetzlichen Obliegenheit des (erwerbsfähigen) Hilfebedürftigen, vorrangig den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten (vgl. § 2 SGB II), ist auch dem Verantwortungsbereich des Einbürgerungsantragstellers im vorstehenden Sinne zuzurechnen.

Der Ausländer, der den Einbürgerungsanspruch geltend macht, hat nach allgemeinen Beweisgrundsätzen, begrenzt durch den Amtsermittlungsgrundsatz im Verwaltungsprozess, darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Eigensicherung vorliegt bzw. anderenfalls, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von diesem Erfordernis erfüllt sind, er also den Sozialleistungsbezug nicht zu vertreten hat (vgl. klarstellend insoweit die Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG i. d. F. des Richtlinien- Umsetzungsgesetzes, der das Nichtvertretenmüssen ausdrücklich als Anspruchsvoraussetzung und nicht mehr als Ausnahmeregelung formuliert, wobei nichts dafür spricht, dass damit das inhaltliche Konzept der Vorschrift geändert werden sollte).

Dies gilt umso mehr aus der Erwägung, dass die für die Beurteilung, ob der Leistungsbezug zu vertreten ist, erforderlichen Tatsachen regelmäßig aus der Sphäre des Einbürgerungsantragstellers stammen,

Urteil der Kammer vom 5. September 2007 - 8 K 3198/04 -, VG Berlin, Urteil vom 1. März 2005 - 2 A 125.02 - und Beschluss vom 13. September 2005 - 2 A 103.05 -; Berlit in: GK-StAR, § 10 Rdnr. 244; a. A. - ohne Begründung - Hailbronner/Renner, StAR, § 10 Rdnr. 24. Eine andere Würdigung ergibt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zu § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG (Gesetzentwurf vom 8. November 2001, BT-Drs. 14/7387). Danach sollten die früheren Vorschriften des Ausländergesetzes über die Einbürgerung in das Staatsangehörigkeitsgesetz unter Beibehaltung der Regelungen im Wesentlichen eingegliedert werden. Zu den Vorgängerregelungen der §§ 85 ff. AuslG und zur Fassung des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG finden sich insoweit keine weiteren Ausführungen, die Rückschlüsse auf die Frage der Darlegungs- und Beweislast zulassen. Auch aus der Bundestags-Drucksache 11/6955 zur Absehensvorschrift des früheren § 86 Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbsatz AuslG, ergibt sich hierzu kein Aufschluss, ebenso wenig aus der Bundestags-Drucksache 11/6960, S. 28, in der zwar eine im Zweifel großzügige Handhabung der Vorschrift nahe gelegt wird, aber nicht von der Darlegungs- oder Beweislastfrage die Rede ist.

Zur Darlegung des Nichtvertretenmüssens des Leistungsbezugs reicht im Regelfall nicht allein die Arbeitslosmeldung und die bloße Erklärung aus, zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft uneingeschränkt bereit zu sein (a. A. insoweit Berlit in: GK-StAR, § 10 Rdnr. 245).

Im Fall des Kläger ist nach diesen Maßstäben gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG abzusehen.

Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass die o. g. Maßstäbe für Fälle entwickelt worden sind, in denen der Einbürgerungsantragsteller keiner Erwerbsarbeit nachgeht und eine solche erst suchen muss. Im vorliegenden Fall geht es dagegen darum, dass der Kläger sich um eine weitere oder eine andere, besser bezahlte Arbeitsstelle bemühen müsste, um ein höheres Einkommen zu erzielen. Hier spricht das Innehaben einer Arbeitsstelle bereits dafür, dass der Kläger arbeitswillig ist. Dafür spricht auch sein bisheriger beruflicher Werdegang. Den Verlust seiner Arbeitsstelle bei der Fa. N. im Juli 2004 hatte er nicht zu vertreten, der Arbeitgeber wurde insolvent. [...]