LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.12.2008 - L 13 EG 14/08 - asyl.net: M15162
https://www.asyl.net/rsdb/M15162
Leitsatz:

Der Ausschluss von Ausländern mit geduldetem Aufenthalt vom Erziehungsgeld ist verfassungsgemäß.

Schlagwörter: D (A), Erziehungsgeld, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Anspruch, Ausländerbehörde, Tatbestandswirkung, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz, Schutz von Ehe und Familie, Erwerbstätigkeit
Normen: BErzGG § 1 Abs. 6; BErzGG § 24 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 3.4.2005 bis zum 28.2.2006 keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für ihre Tochter K. [...]

Gem. § 1 Abs. 6 Satz 2 BErzGG a.F. war ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer anspruchsberechtigt, wenn er entweder in Besitz einer Niederlassungserlaubnis (Nr. 1) oder einer der in Nrn. 2 - 4 genannten Aufenthaltstitel ist. Die Klägerin verfügte nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG am 16.3.2006 lediglich über eine Duldung und erfüllt somit keine der genannten Voraussetzungen. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 BErzGG n.F. vor, der gem. § 24 Abs. 3 BErzGG n.F. in allen Fällen, in denen eine Entscheidung über den Anspruch auf Erziehungsgeld für einen Bezugszeitraum zwischen dem 27.06.1993 und dem 18.12.2006 noch nicht bestandskräftig geworden ist anzuwenden ist, wenn dies für die Erziehungsgeld beantragende Person günstiger ist. Auch nach dieser Bestimmung ist anspruchsberechtigt ein Ausländer nur, wenn er über eine Niederlassungserlaubnis (Nr. 1) oder - unter weiteren Voraussetzungen - über eine Aufenthaltserlaubnis (Nrn. 2, 3) verfügt. Eine Duldung nach § 56 AuslG bzw. § 60 a AufenthG reicht somit in keinem Fall als "Aufenthaltstitel" zur Erlangung von Erziehungsgeld aus.

Ob der Klägerin möglicherweise nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zurAusübung der Personensorge für K auch im streitigen Zeitraum zugestanden hat, war vom Senat ebenso wenig zu prüfen wie die Frage, ob ihr diese Erlaubnis zu Recht erteilt worden ist. Der Entscheidung der Ausländerbehörde kommt nämlich für das Erziehungsgeldrecht Tatbestandswirkung zu (ständige Rspr. des BSG, vgl. Urteile vom 9.2.1994 - 14/14b Reg 9/93 und 2.10.1997 - 14 Reg 1/97- und des erkennenden Senats, vgl. z.B. Urteile vom 24.10.2003 - L 13 EG 15/02 m.w.N. und -zuletzt- vom 17.10. 2008 - L 13 EG 17/08). Soweit der Anspruch auf Erziehungsgeld

voraussetzt, daß ein Ausländer "im Besitz" einer Aufenthaltsberechtigung, -erlaubnis oder -befugnis ist, muss die förmliche Feststellung des Aufenthaltsrechts durch die Ausländerbehörde bereits zu Beginn des Leistungszeitraums vorliegen. Die Erteilung des Aufenthaltstitels lässt den Anspruch auf Erziehungsgeld nämlich nur für die Zukunft entstehen. Wie das BSG (Urteil vom 9.2.1994 - 14/14b Reg 9/93) dazu ausführt, ergibt sich das Erfordernis einer bereits im Leistungszeitraum des Erziehungsgeldes vorliegenden Entscheidung der Ausländerbehörde vor allem aus der Formulierung "im Besitz" in § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG (i.d.F. des BerzGGÄul) und wird durch die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der (damaligen) Neuregelung durch das BErzGGÄndG bestätigt (vgl. im Einzelnen BSG a.a.O.). Mit Urteil vom 2.10.1997 (14 REg 1/97) hat das BSG bekräftigt, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels selbst dann nicht rückwirkende Kraft entfaltet, wenn der Beginn der Geltungsdauer des Titels auf den Zeitpunkt vor seiner tatsächlichen Erteilung zurück wirkt. Selbst wenn die Klägerin noch eine auf den Zeitpunkt der Geburt von K zurück wirkende Änderung des Aufenthaltstitels durch die Ausländerbehörde erreichen würde, wäre das für den Anspruch auf Erziehungsgeld unbeachtlich, weil die Klägerin auch dann im streitigen Zeitraum nicht "im Besitz" des von § 1 Abs. 6 BErzGG in seinen hier relevanten Fassungen geforderten Aufenthaltstitels gewesen wäre. Ein Anspruch auf Gewährung von Erziehungsgeld würde sich hier selbst dann nicht ergeben, wenn ein Fehlverhalten der Ausländerbehörde gegeben wäre. Denn ein solches wäre nicht der Erziehungsgeldkasse zuzurechnen (st. Rspr., vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 8; SozR 1200 § 14 Nrn 26, 28, 29; SozR 1200 § 14 Nr 19; BSG, Urt.v. 9.2.1994 - 14/14b REg 9/93; zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 17.10.2008 - L 13 EG 17/08), so dass auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ausscheidet und die Klägerin nicht so gestellt werden kann, als habe sie die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG bereits ab Geburt von K besessen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die gesetzliche Regelung mit Artikel 3 Abs. 1 GG jedenfalls insoweit vereinbar, als allein der Besitz einer Duldung nicht zur einem Anspruch auf Erziehungsgeld führt.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, wobei dem Gesetzgeber dabei nicht jede Differenzierung verwehrt ist. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit kommt ihm für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der allerdings umso mehr begrenzt ist, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Hier ist der Schutz von Ehe und Familie durch Artikel 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, der keine Beschränkung auf Deutsche enthält. Ob eine gesetzliche Regelung dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG entspricht, hängt davon ab, ob für die betroffene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen kann (BVerfG SozR 4 - 7833 § 1 Nr. 4 Rz 29). Für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Ausländern, die über einen der in § 1 Abs. 6 AufenthG genannten Aufenthaltstitel verfügen und nur geduldeten Ausländern bestehen, wie das SG richtig erkannt hat, hinreichende sachliche Gründe.

Außerhalb des Anwendungsbereichs der europäischen Freizügigkeitsregelung darf der Gesetzgeber den Bezug von Erziehungsgeld auf solche Ausländer beschränken, bei denen prognostisch von der Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgegangen werden kann. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 06.07.2004 (aaO) es ausdrücklich als legitimes Ziel des Gesetzgebers bezeichnet, Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zukommen zu lassen, von denen erwartet werden kann, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben. Es hat lediglich § 1 Abs. 1 a Satz 2 BErzGG in der ab 27.6.1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsulidierungsprogramms vom 23.6.1993 (BGBl I 944), der die Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach dem damaligen AuslG von der Bezugsberechtigung ausschloss, für verfassungswidrig gehalten, weil das gewählte Differenzierungskriterium nicht geeignet sei, den Personenkreis, bei dem kein dauerhafter Aufenthalt in der Bundesrepublik zu erwarten sei, adäquat zu erfassen. Insoweit sage allein der Aufenthaltstitel nichts darüber aus, dass prognostisch nur von einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland auszugehen sei.

Das BVerfG hat also lediglich die Differenzierung innerhalb der nach dem damaligen Ausländerrecht vorgesehenen Aufenthaltstitel beanstandet. § 5 AuslG sah als Aufenthaltstitel die Aufenthaltsgenehmigung in Form von Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsbewilligung und Aufenthaltsbefugnis vor. Das seit dem 1.1.2005 geltende AufenthG kennt als Aufenthaltstitel Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis und Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EG (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die Aufenthaltstitel begründen einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik (§ 4 Abs. 1 Satz 4 AufenthG); sie sind regelmäßig als Vorstufe eines Daueraufenthalts anzusehen.

Eine Duldung ist aber kein Aufenthaltstitel, der zum Aufenthalt berechtigt. Geduldete Ausländer erfüllen daher von vornherein nicht die Erwartung, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden, Duldungen setzen vielmehr das Bestehen einer vollziehbaren Ausreispflicht voraus. [...]

Im übrigen lässt sich dem Beschluss des BVerfGs vom 6.7.2004 (aaO) auch entnehmen, dass der Ausschluss geduldeter Ausländer vom Bezug von Erziehungsgeld nicht zu beanstanden ist. Das BVerfG hatte nämlich für den Fall, dass der Gesetzgeber die für verfassungswidrig erklärte Fassung des BErzGG nicht bis zum 1.1.2006 durch eine Neuregelung ersetzt, die Anwendung des bis zum 26.6.1993 geltenden Rechts auf noch nicht abgeschlossene Verfahren angeordnet. Auch nach der bis zum 26.6.2003 geltenden Gesetzesfassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.2.1992) war für den Anspruch eines Ausländers der Besitz eines Aufenthaltstitels in Form einer Aufenthaltberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis Voraussetzung. Das BVerfG hätte kaum die Anwendung dieser Fassung angeordnet, wenn es eine Duldung als ausreichende Voraussetzung für einen Anspruch auf Erziehungsgeld angesehen hätte.

Im vorliegenden Fall ist zusätzlich die fehlende Anspruchsberechtigung dadurch gerechtfertigt, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt über eine Arbeitserlaubnis verfügte. In dem bereits mehrfach zitierten Beschluss vom 6.7.2004 hat das BVerfG darauf hingewiesen, der Gesetzgeber handle im Einklang mit Artikel 3 Abs. 1 GG, wenn er die Ausländer vom Erziehungsgeldbezug ausschließe, die aus Rechtsgründen ohnehin einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürften. Die Gewährung einer Sozialleistung, die Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben wolle, verfehle ihr Ziel, wenn eine solche Erwerbstätigkeit demjenigen Elternteil, der zur Betreuung des Kindes bereit sei, rechtlich nicht erlaubt sei (aaO Rz 33). § 1 Abs. 6 BErzGG verlangt dementsprechend neben einem Aufenthaltstitel die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung; in der Gesetzesbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, damit werde der Zweck des BErzGG, nämlich die Wahlfreiheit zwischen Familie und Erwerbstätigkeit zu sichern, berücksichtigt. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn dem Elternteil, der das Kind betreue, eine Erwerbstätigkeit rechtlich erlaubt sei (BT Drucksache 16/1383, 10). Somit rechtfertigt auch die Tatsache, dass die Klägerin zum streitigen Zeitraum nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügte, ihren Ausschluss von Bezug von Erziehungsgeld, da der Zweck des BErzGG, nämlich die Sicherung der Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit, nicht erreicht werden konnte, wenn die Klägerin ohnehin einer Erwerbstätigkeit rechtlich nicht nachgehen dürfte. [...]