VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 18.12.2008 - A 5 K 1038/04 - asyl.net: M15135
https://www.asyl.net/rsdb/M15135
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Folter, menschenrechtswidrige Behandlung, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Strafrecht, Strafverfahren
Normen: AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. [...]

Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist im vorliegenden Fall aufgrund der Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. [...]

Der Kläger hat einen Asylfolgeantrag gestellt. Er hat diesen Asylfolgeantrag damit begründet, dass er in der Bundesrepublik Deutschland vom Islam zu Christentum übergetreten sei. Bei einem derartigen Glaubensübertritt handelt es sich um selbst geschaffene Nachfluchtgründe i.S.v. § 28 Abs. 2. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers ist es zu dem Glaubensübertritt des Klägers vom Islam zum Christentum erst nach Abschluss des Erstverfahrens, welches am 09.04.2002 beendet wurde, gekommen. Der Kläger hat über seinen ehemaligen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16.11.2004 vortragen lassen, dass er bei der Stellung seines Asylfolgeantrags am 08.07.2003 die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 2 VwVfG eingehalten habe. Zu einem Glaubenswechsel des Klägers, der auf einer wirklich ernsthaften inneren Zuwendung beruhe, sei es erst innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der Asylfolgeantragstellung gekommen. Von einem ernsthaften Glaubensübertritt des Klägers sei ab April 2003, spätestens aber seit der Mitwirkung des Klägers an der Veranstaltung bekennender Christen aus dem Iran am 09.06.2003 auszugehen. An diesem eigenen Vorbringen muss sich der Kläger festhalten lassen. Nach alledem liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AsylVfG vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände, die einen von der Regel abweichenden Ausnahmefall begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG ist mit internationalem Recht vereinbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008, Az.: 10 C 27.07, zitiert nach juris) steht die Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83 des Rates der Europäischen Union und mit der Genfer Flüchtlingskonvention im Einklang. [...]

Der Kläger hat jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt. [...]

Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr in den Iran wegen seiner infolge des Glaubenswechsels christlich ausgerichteten Lebensführung unter Würdigung der aktuellen Auskunftslage die konkrete Gefahr, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargetan, dass er vom Islam zum Christentum übergetreten ist. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, dass es sich bei diesem Glaubensübertritt um einen ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung handelt. [...] Das Gericht geht aufgrund dieses glaubhaften Vorbringens des Klägers prognostisch davon aus, dass dieser seine christlich geprägte Lebensweise im Falle einer Rückkehr in den Iran fortführen, insbesondere an öffentlichen Gottesdiensten teilnehmen, wird. Unter Beachtung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29.04.2004 ist es dem Kläger als Konvertierten auch nicht zuzumuten, öffentlich praktizierte Riten der Glaubensgemeinschaft - etwa Gottesdiensten oder Prozessionen - fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Ist somit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben ausüben wird, so droht ihm ins Iran bei einer Entdeckung der christlichen Glaubensausübung aufgrund des "Gesetzes gegen den Abfall vom Islam und gegen die Zauberei", welche das iranische Parlament am 09.11.2008 beschlossen hat, unmenschliche Bestrafung in Form von Todesstrafe, sowie Folter und menschenrechtswidrige Behandlung durch die Strafermittlungsbehörden, um ein Geständnis des Klägers zu erlangen. Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Bericht des Informationsdienstes Türkei, Nr. 12-13, vom 14.09.2008 wird durch das "Gesetz gegen den Abfall vom Islam und gegen die Zauberei" das iranische Strafgesetzbuch um die Strafvorschriften Art. 225.1 bis Art. 225.14 ergänzt. Nach diesen Strafvorschriften droht einem Moslem, der vom islamischen Glauben abfällt, die Todesstrafe. Somit besteht für den Kläger bei einer Rückkehr in den Iran die konkrete Gefahr, der Folter. unmenschlicher Behandlung und unmenschlicher Bestrafung unterworfen zu werden.

Dem Kläger stehen auch ein Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG vorliegt, sowie ein Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt, zu. Den diesbezüglichen Feststellungen im Tenor dieses Urteils kommt jedoch nur deklaratorische Bedeutung zu. [...]