LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.12.2008 - L 13 EG 9/08 - asyl.net: M15133
https://www.asyl.net/rsdb/M15133
Leitsatz:

Der Ausschluss von Ausländern mit Duldung oder ohne Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit vom Erziehungsgeld ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

 

Schlagwörter: D (A), Erziehungsgeld, Duldung, Erwerbstätigkeit, Gleicheitsgrundsatz, Verfassungsmäßigkeit
Normen: BErzGG § 1 Abs. 6; GG Art. 3 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Der Ausschluss von Ausländern mit Duldung oder ohne Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit vom Erziehungsgeld ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für ihre im November 2003 geborene Tochter F. [...]

Entgegen ihrer Auffassung ist die gesetzliche Regelung mit Artikel 3 Abs. 1 GG jedenfalls insoweit vereinbar, als allein der Besitz einer Duldung nicht zur einem Anspruch auf Erziehungsgeld führt. [...]

Außerhalb des Anwendungsbereichs der europäischen Freizügigkeitsregelung darf der Gesetzgeber den Bezug von Erziehungsgeld auf solche Ausländer beschränken, bei denen prognostisch von der Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgegangen werden kann. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 6.7.2004 (aaO) es ausdrücklich als legitimes Ziel des Gesetzgebers bezeichnet, Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zukommen zu lassen, von denen erwartet werden kann, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben. Es hat lediglich § 1 Abs. 1 a Satz 2 BErzGG in der ab 27.6.1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23.6.1993 (BGBl I 944), der die Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach dem damaligen Ausländergesetz von der Bezugsberechtigung ausschloss, für verfassungswidrig gehalten, weil das gewählte Differenzierungskriterium nicht geeignet sei, den Personenkreis, bei dem kein dauerhafter Aufenthalt in der Bundesrepublik zu erwarten sei, adäquat zu erfassen. Insoweit sage allein der Aufenthaltstitel nichts darüber aus, dass prognostisch nur von einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland auszugehen sei.

Das BVerfG hat also lediglich die Differenzierung innerhalb der nach dem damaligen Ausländerrecht vorgesehenen Aufenthaltstitel beanstandet. § 5 Ausländergesetz sah als Aufenthaltstitel die Aufenthaltsgenehmigung in Form von Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsbewilligung und Aufenthaltsbefugnis vor. Das seit dem 1.1.2005 geltende AufenthG kennt als Aufenthaltstitel Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis und Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EG (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die Aufenthaltstitel begründen einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik (§ 4 Abs. 1 Satz 4 AufenthG); sie sind regelmäßig als Vorstufe eines Daueraufenthalts anzusehen.

Eine Duldung ist aber kein Aufenthaltstitel, der zum Aufenthalt berechtigt. Geduldete Ausländer erfüllen daher von vornherein nicht die Erwartung, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; Duldungen setzen vielmehr das Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht voraus. [...]

Nach - insoweit gegenüber dem AuslG unveränderter - Konzeption des AufenthG überbrückt die Duldung als vorübergehender Vollstreckungsaufschub nur die Zeit bis zur Abschiebung oder zur Erteilung eines Aufenthaltstitels. Wie § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zeigt, geht der Gesetzgeber dabei regelmäßig von einer Höchstdauer von 18 Monaten für die Duldung aus. Unerheblich ist, ob in der ausländerrechtlichen Praxis nicht selten dieser Zeitraum überschritten wird (sog. "Kettenduldung"). Der Gesetzgeber muss nicht solche - auch von der Praxis der jeweiligen Ausländerbehörde abhängigen - Gestaltungen berücksichtigen, sondern darf für die Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises an der Systematik des Aufenthaltsrecht anknüpfen, nach der typischerweise davon auszugehen ist, dass eine Duldung vorhersehbar nicht zur einem gesicherten Daueraufenthalt in der Bundesrepublik führen wird. Erst mit der Erlangung eines Aufenthaltstitel verfestigt sich rechtlich der Aufenthalt eines Ausländers derart, dass grundsätzlich Grund für die Annahme bestehen kann, er werde auf Dauer in Deutschland bleiben. Somit ist der Ausschluss nicht geduldeter Ausländer auch im Bezug auf Erziehungsgeld sachlich gerechtfertigt (ebenso zur gleichgelagerten Regelung im Kindergeldrecht, BFH, Urteil vom 15.3.2007 - III R 93/03; Beschluss vom 25.07.2007 - III S 10/07 (PKH); a.A. FG Köln, Beschluss vom 9.5.2007 - 10 K 1690/07).

Im übrigen lässt sich dem Beschluss des BVerfGs vom 6.7.2004 (aaO) auch entnehmen, dass der Ausschluss geduldeter Ausländer vom Bezug von Erziehungsgeld nicht zu beanstanden ist. Das BVerfG hatte nämlich für den Fall, dass der Gesetzgeber die für verfassungswidrig erklärte Fassung des BErzGGes nicht bis zum 1.1.2006 durch eine Neuregelung ersetzt, die Anwendung des bis zum 26.6.1993 geltenden Rechts auf noch nicht abgeschlossene Verfahren angeordnet. Auch nach der bis zum 26.6.1993 geltenden Gesetzesfassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.2.1992) war für den Anspruch eines Ausländers der Besitz eines Aufenthaltstitels in Form einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis Voraussetzung. Das BVerfG hätte kaum die Anwendung dieser Fassung angeordnet, wenn es eine Duldung als ausreichende Voraussetzung für einen Anspruch auf Erziehungsgeld angesehen hätte.

Im vorliegenden Fall ist zusätzlich die fehlende Anspruchsberechtigung dadurch gerechtfertigt, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt über eine Arbeitserlaubnis verfügte. In dem bereits mehrfach zitierten Beschluss vom 6.7.2004 hat das BVerfG darauf hingewiesen, der Gesetzgeber handle im Einklang mit Artikel 3 Abs. 1 GG, wenn er die Ausländer vom Erziehungsgeldbezug ausschließe, die aus Rechtsgründen ohnehin einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürften. Die Gewährung einer Sozialleistung, die Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben wolle, verfehle ihr Ziel, wenn eine solche Erwerbstätigkeit demjenigen Elternteil, der zur Betreuung des Kindes bereit sei, rechtlich nicht erlaubt sei (aaO Rz 33). § 1 Abs. 6 BErzGG verlangt dementsprechend neben einem Aufenthaltstitel die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung; in der Gesetzesbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, damit werde der Zweck des BErzGGes, nämlich die Wahlfreiheit zwischen Familie und Erwerbstätigkeit zu sichern, berücksichtigt. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn dem Elternteil, der das Kind betreue, eine Erwerbstätigkeit rechtlich erlaubt sei (BT Drucksache 16/1383, 10). Somit rechtfertigt auch die Tatsache, dass die Klägerin nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügte, ihren Ausschluss von Bezug von Erziehungsgeld, da der Zweck des BErzGG, nämlich die Sicherung der Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit, nicht erreicht werden konnte, wenn die Klägerin ohnehin einer Erwerbstätigkeit rechtlich nicht nachgehen durfte. [...]