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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.2009 - 1 S 2002/07 - asyl.net: M15126
https://www.asyl.net/rsdb/M15126
Leitsatz:

Der nichtdeutsche Ehegatte einer vor dem 01.01.1993 eingereisten Vertriebenen, der selbst erst nach diesem Stichtag nach Deutschland gekommen ist, kann außerhalb des Aufnahmeverfahrens nach §§ 26 ff. BVFG "Aufnahme finden" i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG.

 

Schlagwörter: Vertriebenenrecht, Personalausweis, Einziehung, Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigekit, Statusdeutsche, Vertriebene, Aufnahme in Deutschland, Umsiedler, Ehegatte, Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, Altfälle, Aufnahmebescheid
Normen: LPAuswG § 8; LPAuswG § 6 Nr. 2; StAG § 40a; GG Art. 116 Abs. 1; BVFG § 1 Abs. 2 Nr. 2; BVFG § 7 a.F.; BVFG § 1 Abs. 3; BVFG § 100 Abs. 1; BVFG § 27
Auszüge:

Der nichtdeutsche Ehegatte einer vor dem 01.01.1993 eingereisten Vertriebenen, der selbst erst nach diesem Stichtag nach Deutschland gekommen ist, kann außerhalb des Aufnahmeverfahrens nach §§ 26 ff. BVFG "Aufnahme finden" i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG.

(Amtlicher Leitsatz)

 

[...]

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Demnach ist die Entziehung des Personalausweises rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Auch die Ausstellung eines Reisepasses kann der Kläger beanspruchen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).

I. Nach § 8 i.V.m. § 6 Nr. 2 LPAuswG kann ein ungültiger Personalausweis eingezogen werden. Ungültig ist der Personalausweis dann, wenn Eintragungen unzutreffend sind. Das ist hier aber nicht der Fall. Die Eintragung "Staatsangehörigkeit: deutsch" ist nicht unzutreffend. Denn der Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. [...]

1. Der Kläger hat die Eigenschaft als Statusdeutscher allerdings nicht durch Geburt erworben. Die Statusdeutscheneigenschaft kann in entsprechender Anwendung der für das Staatsangehörigkeitsrecht geltenden Regelungen erworben werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.1985 - 1 C 37.81 -, BVerwGE 71, 301 <304>). Zwar ist die Mutter des Klägers, wie die Beklagte in der am 17.08.2004 gem. § 100 Abs. 2 Satz 3 BVFG ausgestellten Bescheinigung zu Recht festgestellt hat, Umsiedlerin im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (siehe dazu Beschluss des erk. Senats vom 06.06.2005 - 1 S 211/05 -). Dieser Vertriebenenstatus ist unabhängig von der Ausreise der Mutter des Klägers nach Deutschland in ihrer Person bereits in der Ukraine entstanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1996 - 9 C 110.95 -, BVerwGE 101, 205 <206 f.>; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.01.1999 - 6 S 949/96 - <juris>). Einem derivativen Erwerb der Rechtsstellung eines Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit steht aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass die Mutter des Klägers im Zeitpunkt seiner Geburt ungeachtet ihres Vertriebenenstatus nicht Statusdeutsche war. Denn es fehlte an der erforderlichen Aufnahme in Deutschland. [...]

2. Es kann auch dahinstehen, ob der Kläger als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme gefunden hat. Es spricht zwar alles dafür, dass der Kläger gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG a.F. Vertriebener ist. Denn der Vertriebenenstatus seiner Mutter dürfte nach § 7 BVFG a.F. mit Geburt auf den Kläger übergeleitet worden sein (siehe BVerwG, Urteil vom 02.12.1986 - 9 C 16.86 -, Buchholz 412.3 § 7 BVFG Nr. 2); die Mutter des Klägers hatte nämlich jedenfalls gemeinsam mit seinem Vater die elterliche Sorge und die gesetzliche Vertretung inne (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.1973 - VIII C 155.72 -, BVerwGE 44, 114). An diesem Status hat die Aufhebung des § 7 BVFG a.F. zum 01.01.1993 wohl nichts geändert. Denn ein bereits entstandener Vertriebenenstatus sollte durch die Neuregelung des Vertriebenenrechts nicht entzogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.04.1995 - 9 C 400.94 -, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 51). Die in § 7 BVFG a.F. geregelte Überleitung des Vertriebenenstatus bedeutet aber nicht, dass das Lebens- und Vertreibungsschicksal und die persönlichen Volkszugehörigkeitsmerkmale des Elternteils auf das Kind übergeleitet oder als in dessen Person bestehend fingiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.02.2003 - 5 C 44.01 -, NVwZ-RR 2003, 601). Ob der Kläger in seiner Person die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit erfüllt, ist nach seinem bisherigen Vortrag aber noch nicht zur Überzeugung des Senats dargetan.

3. Der Kläger hat indessen jedenfalls als Ehegatte einer Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme in Deutschland i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG gefunden.

a) Der Kläger hat den Status eines Vertriebenen nach § 1 Abs. 3 BVFG erworben. Danach gilt als Vertriebener auch, wer, ohne selbst deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger zu sein, als Ehegatte eines Vertriebenen seinen Wohnsitz in den in Absatz 1 genannten Gebieten verloren hat. Die damalige Ehefrau des Klägers hatte durch ihre Aussiedlung im Jahre 1992 den Status als Aussiedler nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG erlangt, der ihr dann im Jahre 1993 durch Bescheid bescheinigt worden ist. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in der Ukraine "als Ehegatte" verloren. Es kommt dabei allein auf den Bestand der Ehe an; unbeachtlich ist, ob sie harmonisch oder gestört war. Es ist auch davon auszugehen, dass die Aussiedlung der Ehefrau wesentliche Ursache für die Übersiedlung des Klägers war, denn er war gewillt, die ausreisebedingt unterbrochene eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland wiederaufzunehmen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.03.1986 - 9 C 1.86 -, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 31), und hat dies jedenfalls kurzzeitig auch getan. Die spätere Auflösung der Ehe ist unbeachtlich.

Diesem Statuserwerb steht nicht entgegen, dass der Kläger erst nach dem 01.01.1993 nach Deutschland eingereist ist. Aus der mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 (BGBl. I. S. 2094) eingeführten Übergangsvorschrift des § 100 Abs. 1 BVFG folgt zwar grundsätzlich, dass nach dem genannten Stichtag ein Vertriebenenstatus nicht mehr neu entstehen und die Zuwanderung deutscher Volkszugehöriger samt ihren Familienangehörigen aus den Vertreibungsgebieten über das Spätaussiedlerverfahren bewältigt werden soll. Hiervon ist der Kläger aber nicht betroffen.

Entgegen der Ansicht des Klägers folgt dies nicht daraus, dass sein Vertriebenenstatus bereits mit der Aussiedlung seiner Ehefrau und somit vor dem 01.01.1993 entstanden sei. Dies trifft nicht zu. Denn der Erwerbstatbestand ist erst dann vollendet, wenn der nichtdeutsche Ehegatte in Deutschland Aufenthalt genommen hat (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.03.1986 - 9 C 1.86 -, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 31; aus dem vom Kläger genannten Urteil des VGH Bad.-Württ. vom 14.11.2001 - 13 S 1784/99 -, EzAR 280 Nr. 10 ergibt sich nichts Gegenteiliges). Die Unbeachtlichkeit des Stichtags für die vertriebenenrechtliche Einordnung des Klägers folgt jedoch aus dem Gedanken der Akzessorietät der Rechtsstellung des nichtdeutschen Ehegatten (siehe v. Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, B 2 § 100 Anm. 1 e). Danach muss dem nichtdeutschen Ehegatten die Möglichkeit eröffnet sein, am Status des anderen teilhaben zu können, so dass dem deutschen Ehegatten die Alternative Aussiedlung oder Familie erspart bleibt. Wäre dem nichtdeutschen Ehegatten wegen der späteren Einreise der Vertriebenenstatus verwehrt, bliebe den Ehegatten eine gemeinsame Behandlung nach dem Bundesvertriebenengesetz endgültig versagt. Denn der stammberechtigte Vertriebene gilt bei Einreise vor dem Stichtag nicht zugleich als Spätaussiedler; § 100 Abs. 5 BVFG ändert daran nichts (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.04.1999 - 6 S 420/97 -, ESVGH 49, 209; v. Schenckendorff, a.a.O., Anm. 2 d). Sein Ehegatte kann folglich auch nicht in den Genuss der Vergünstigungen nach § 4 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 BVFG kommen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber an die zeitlichen Zufälligkeiten einer getrennten Einreise der Ehegatten solch gravierende Rechtsfolgen knüpfen wollte.

b) Der Kläger hat in Deutschland nach Art. 116 Absatz 1 GG Aufnahme gefunden. Die gesetzliche Neuregelung entfaltet auch insoweit keine Sperrwirkung.

Nach dem Inkrafttreten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz geänderten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes am 01.01.1993 beurteilt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Person i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG Aufnahme finden kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes. Danach beschränkt sich dies auf Spätaussiedler und deren Angehörige (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2001 - 1 C 26.00 -, BVerwGE 114, 332; vom 20.04.2004 - 1 C 3.03 -, BVerwGE 120, 292). Als ein solcher - mit einem Aufnahmebescheid nach § 27 BVFG - ist der Kläger nicht eingereist.

Mit den Vorschriften über das Aufnahmeverfahren hat der Gesetzgeber jedoch keine Regelung getroffen, die den Gesetzesvorbehalt des Art. 116 Abs. 1 GG abschließend ausfüllt (siehe dazu bereits Beschluss des erk. Senats vom 06.06.2005 - 1 S 211/05 - m.w.N.). Denn anderenfalls wäre für bestimmte Kategorien von Vertriebenen, die - wie insbesondere die Umsiedler nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG - neben der durch die Stichtagsregelung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes geschlossenen Gruppe der Aussiedler (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) stehen, eine Aufnahme endgültig ausgeschlossen. Das gesetzlich geregelte Verfahren der Aufnahme, mit dem die Zuwanderung aus den Aussiedlungsgebieten durch Personen, die sich für deutsche Volkszugehörige halten und anstreben, als solche in Deutschland Aufnahme zu finden, gesteuert und begrenzt werden soll, galt nämlich zunächst nach den Bestimmungen des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 28.06.1990 (BGBl. I S. 1247) nur für Aussiedler und gilt nunmehr nur für die neu geschaffene rechtliche Kategorie der Spätaussiedler und deren Angehörige (siehe nur BVerwG, Beschluss vom 17.08.2004 - 5 B 72.04 - <juris>; vom 23.04.2007 - 5 B 7.07 - <juris>). Mit der Regelung des § 100 Abs. 1 BVFG ließe sich eine solche Konsequenz schwerlich vereinbaren. Denn § 100 Abs. 1 BVFG geht vom Fortbestand eines vor dem Stichtag entstandenen Vertriebenenstatus aus; darüber hinaus erfasst diese Vorschrift - wie dargelegt - auch danach eingereiste Ehegatten. In ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich will die Bestimmung dem Personenkreis der §§ 1 bis 3 BVFG - vorbehaltlich der Regelung in den Absätzen 2 bis 8 - den Bestand an vertriebenenrechtlichen Rechtspositionen erhalten, den ihm das Bundesvertriebenengesetz alter Fassung eingeräumt hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.12.2000 - 1 C 24.00 -, Buchholz 412.3 § 94 BVFG a.F. Nr. 1). Der Vertriebenenstatus ist indessen auch auf die Regelung des staatsrechtlichen Status in Art. 116 Abs. 1 GG bezogen. Insoweit ist dann für die Frage des "Aufnahme finden" ebenfalls auf die bisherige Rechtslage abzustellen.

Hiernach kommt es zunächst darauf an, dass der Betroffene mit dem Zuzug einen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet erstrebt und aufgrund eines Tätigwerdens oder sonstigen Verhaltens der Behörden der Schluss berechtigt ist, dass ihm die Aufnahme nicht verweigert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.05.1992 - 1 C 37.90 -, BVerwGE 90, 181 <183> m.w.N.). Danach lässt sich die Aufnahme des Klägers in Deutschland daraus ableiten, dass er nach seiner Einreise ins Bundesgebiet in der Durchgangsstelle für Aussiedler in Nürnberg registriert und aufgrund der Entscheidung des Beauftragten der Bundesregierung für die Verteilung dem Land Bayern zugewiesen wurde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.11.2001 - 13 S 1784/99 -, EzAR 280 Nr. 10 <juris Rz. 18> m.N.). Der Kläger hat schließlich auch "als Ehegatte“ einer vertriebenen Volksdeutschen in Deutschland Aufnahme gefunden. Der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen der Eigenschaft als Ehegatte und der Aufnahme im Bundesgebiet liegt hier vor. Denn die mit behördlicher Zustimmung erfolgte Begründung des dauernden Aufenthalts durch den Kläger ist gerade im Hinblick darauf erfolgt, dass seine damalige Ehefrau ebenfalls ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland genommen hatte. [...]