VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 04.11.2008 - M 10 S 08.5193 - asyl.net: M15099
https://www.asyl.net/rsdb/M15099
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Fortgeltungsfiktion, Verlängerungsantrag, verspätete Antragstellung, Aufenthaltserlaubnis, Erlaubnisfiktion, Ausländergesetz, Übergangsregelung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, Kinder
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 81 Abs. 3; AuslG § 69 Abs. 3; AufenthG § 102 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist als solcher gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin vorläufig auf die Abschiebung des Antragstellers zu verzichten und ihm eine Duldung zu erteilen, zulässig, jedoch unbegründet. [...]

Ein Anordnungsanspruch in Form eines Anspruchs auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gem. § 81 Abs. 5 AufenthG besteht nicht.

Im Fall des Antragstellers gilt der Aufenthalt weder nach § 81 Abs. 3 AufenthG erlaubt, noch gilt ein früherer Aufenthaltstitel als fortbestehend gem. § 81 Abs. 4 AufenthG Der bisherige Aufenthaltstitel des Antragstellers gilt nicht gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend. Die dem Antragsteller zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis vom 22. Dezember 2006 war bis zum 21. Dezember 2007 befristet. Eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG würde voraussetzen, dass der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vor Ablauf der zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis gestellt wird. Der Begriff der Verlängerung setzt voraus, dass der bisherige Aufenthaltstitel noch gültig ist (vgl. Hailbronner, AufenthG, § 81 RdNr. 26). Ein wie hier verspätet gestellter Antrag auf Verlängerung kann die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG somit nicht auslösen (vgl. Gemeinschaftskommentar zum AuslR, § 81 AufenthG, RdNr. 40 ff. u. VG München, Beschl. v. 8.10.2008, Az. M 10 S 08.3029).

Auch die von der Bevollmächtigten des Antragstellers genannte Vorschrift des § 81 Abs. 3 AufenthG kann im vorliegenden Fall den Aufenthalt des Antragstellers nicht legalisieren, da diese Norm nur für die Fälle gilt, in denen die Betroffenen berechtigt sind, eine Aufenthaltserlaubnis ohne vorangegangenes Visumsverfahren im Bundesgebiet einzuholen. Nur dann handelt es sich um einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Beim Antragsteller ist dies jedoch nicht der Fall (vgl. Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO) Art. 1 Abs. 1 Anhang I).

Ein Anspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung ergibt sich auch nicht aus einer früher entstandenen Fiktionswirkung gemäß § 69 Abs. 3 Ausländergesetz vom 9. Juli 1990, in der Fassung des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (AuslG a.F.).

Eine derartige Erlaubnisfiktion würde grundsätzlich gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 AufenthG fortgelten. Eine Erlaubnisfiktion sowohl nach § 69 Abs. 3 AuslG a.F., als auch nach § 81 Abs. 4 AufenthG endet jedoch stets mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach dem Wortlaut der beiden Vorschriften gilt der Aufenthalt nur "bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde" als erlaubt. Mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Antragsgegnerin am 22. Dezember 2006 wurde auch über den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis vom 3. Januar 2002 entschieden. Eine wieder auflebende Fiktionswirkung nach Ablauf einer zwischenzeitlich erteilten Aufenthaltserlaubnis ist nicht möglich.

Ein Anordnungsanspruch besteht für die hilfsweise begehrte Aussetzung der Abschiebung auch nicht aufgrund § 60 a Abs. 2 AufenthG. [...]

Die Abschiebung ist nicht gem. § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK aufgrund des besonderen Schutzes familiärer Beziehungen des Antragstellers zu den in Deutschland lebenden Kindern rechtlich unmöglich.

Grundsätzlich haben die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt eines Ausländers die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.2008, Az. 2 BvR 588/08). Ausländerrechtliche Schutzwirkung entfaltet Art. 6 GG und Art. 8 EMRK jedoch nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Es ist hierbei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls vorzunehmen, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, ob tatsächlich eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat (vgl. BVerfG a.a.O. und BayVGH, Beschl. v. 1.9.2008, Az. 10 CE 08.2258).

Eine derartige Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern ... und ... besteht offenbar nicht. Der Antragsteller behauptet nicht, dass er mit diesen in jüngster Vergangenheit eine Lebensgemeinschaft geführt hätte. Auch die elterliche Sorge liegt jeweils bei der Mutter. In Betracht kommt deshalb nur eine Schutzwirkung der besonderen Bindungen des Antragstellers zu seiner jüngsten Tochter .... Mit dieser hat er zumindest von deren Geburt bis zum Juli 2007 zusammengelebt. Nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien hat sich der Antragsteller jedoch im Juli 2007 von der Mutter des Kindes getrennt und ist aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Die Mutter des Kindes erklärte gegenüber der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller sie seit dieser Zeit hin und wieder angerufen und nach dem gemeinsamen Kind gefragt habe. Unterhalt habe er nicht gezahlt. Aufgrund der nicht nur vorübergehenden Trennung des Antragstellers von der Mutter des Kindes und seiner Tochter kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine schützenswerte Lebensgemeinschaft mit der Tochter ... besteht oder in nächster Zeit auf Dauer wieder aufgenommen wird. [...]

Allein die Tatsache, dass die Kindsmutter nunmehr bereit ist, das Sorgerecht für das Kind gemeinsam mit dem Antragsteller auszuüben, ersetzt nicht schon eine gelebte familiäre Lebensgemeinschaft, die Voraussetzung für die Schutzwirkung des Art. 6 GG wäre. [...]