OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.06.2001 - A 3 S 458/98 - asyl.net: M1506
https://www.asyl.net/rsdb/M1506
Leitsatz:

Keine mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Hassake, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Übergriffe, Moslems, Religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Zwangsassimilierung, Schutzbereitschaft, Verfolgungsdichte, Religiöses Existenzminimum, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Illegale Ausreise, Antragstellung als Asylgrund
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzung zur Gewährung von Abschiebungsschutz gem. § 51 Abs. 1 AuslG.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt sich nicht die Feststellung, daß der Kläger bei seiner Ausreise von einer Gruppenverfolgung betroffen oder bedroht war und/oder eine solche für den Fall der Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Der Senat geht zunächst in Übereinstimmung mit der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, daß eine unmittelbare staatliche Gruppenverfolgung von Yeziden durch den syrischen Staat nicht stattfindet (vgl. OVG NRW, Urt. v. 21.4.1998 - 9 A 6597/95.A -; OVG Saarland, Urt. v. 28.5.1999 - 3 R 74/98 -; Nds. OVG, Urt. v. 3.5.2001 - 8 L 1233/99 -; im übrigen ebenfalls schon im Urt. v. 5.2.1997 - 2 L 3670/96 -).

Nach Auffassung des Senats bestehen insbesondere auch keine belegten Anhaltspunkte für eine in Syrien stattfindende asylerhebliche (staatliche) "Zwangsassimilierung" der Yeziden. Eine solche läßt sich nicht schon allein aus dem Leugnen ihrer Existenz oder daraus herleiten, daß sie von Staats wegen als religiöse Gruppe schlechthin ignoriert werden.

Soweit davon auszugehen sein sollte, daß sie aufgrund der in Syrien bestehenden Verhältnisse auf Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen können, ließe sich daraus ebenfalls kein asylrelevanter Umstand herleiten. Denn das Asylrecht schützt nicht vor langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund veränderter Lebensbedingungen (BVerwG, Urt. v. 15.2.1984 - 9 I CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 = InfAuslR 1984, 152; ebenso speziell für die Kurden in der Türkei Hess.VGH, Urt. v. 4.12.2000 - 12 UE 968/99.A -).

Nach Würdigung der dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterialien unterliegen die in Syrien und insbesondere auch die im Nordosten Syriens lebenden Yeziden auch keiner mittelbaren Gruppenverfolgung durch Dritte, welche sie landesweit in eine ausweglose Lage brächte.

Obwohl es immer wieder zu Übergriffen der moslemischen Bevölkerung auf die Yeziden gekommen ist, !äßt sich eine ausreichende Verfolgungsdichte nicht feststellen. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 21.4.1998, a.a.O.), des Oberverwaltungsgerichts Bremen (Urt. v. 4.11.1998, a.a.O.), des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Urt. v. 28.5.1999, a.a.O.) sowie des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 22.9.1999 - 2 L 666/98 und 2 L 670/98 -; Urt. v. 14.7.1999 a.a.O.; Urt. v. 27.3.2001 - 2 L 5117/97 -). Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe der genannten Entscheidungen Bezug genommen. Bedarf es für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung grundsätzlich der Feststellung einer bestimmten Verfolgungsdichte, stellt sich vorab die Frage, von welchem Verfolgungsgebiet bzw. von welcher Personengruppe als Bezugsgröße auszugehen ist.

Der Senat sieht in Übereinstimmung mit der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung (Nds. OVG, Urt. v. 27.3.2001, a.a.O.; OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.5.1999, a.a.O.; OVG NRW, Urt. v. 21.4.1998, a.a.O.) den Nordosten Syriens (Provinz Hassake) als räumlich abgrenzbaren Teil des syrischen Staatsgebiets an, in dem sich ein Verfolgungsgeschehen unter den dortigen ethnischen und historischen Bedingungen nach eigenen Gesetzmäßigkeiten vollzieht.

Die Yeziden der Provinz Hassake stellen sich als eine diesem Landesteil zuzuordnende, durch ein eigenes Gruppenschicksal gekennzeichnete Minderheit dar. Dementsprechend ist auch die Würdigung des Verfolgungsgeschehens auf dieses Gebiet zu beschränken.

Eine weitere Begrenzung der Prüfung des Verfolgungsgeschehens auf einzelne Siedlungen oder Dörfer (so vormals Nds.OVG, Urt. v. 5.2.1997, a.a.O.) ist hingegen nicht geboten (vgl. OVG des Saarlandes, Urt. v. 28.5.1999, a.a.O.).

Bei einer quantitativen Relationsbetrachtung der yezidischen Bevölkerungszahlen in der Provinz Hassake einerseits und der Referenzfälle von Verfolgungsschläge ergibt sich folgendes Bild: Im Gutachten des Yezidischen Kulturforums vom 19. November 2000 wird die Zahl der im Distrikt Hassake (mit vier Kreisen) lebenden Yeziden für das Jahr 1990 mit 12.232 Yeziden angegeben, wobei die Bevölkerungszahl bis September 2000 durch Abwanderungen auf 4.093 zurückgegangen sein soll (vgl. S. 2 d. Gutachtens)...

Setzt man - von den Zahlen des Yezidischen Kulturforums ausgehend - die Anzahl der Verfolgungsschläge in den Jahren 1990 bis 2000 ins Verhältnis zur Kopfstärke der yezidischen Bevölkerung, so ergibt sich bei 77 Verfolgungsschlägen in 10 Jahren ein Durchschnittswert von 7,7 pro Jahr. Dem steht eine Bevölkerungszahl von 12.232 Yeziden im Jahre 1999 bzw. von 4.093 Yeziden im Jahr 2000 gegenüber. Rein rechnerisch waren damit bezogen auf das Jahr 1990 0,06 v. H. Yeziden, bezogen auf das Jahr 2000 0,19 v. H. Yeziden von asylerheblichen Übergriffen betroffen. Dies erreicht nicht die für eine Gruppenverfolgung nötige Verfolgungsdichte.

Dem Kläger droht auch in absehbarer Zukunft nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung in Form einer mittelbaren Gruppenverfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Yeziden. Bei der gebotenen prognostischen Beurteilung kann allerdings nicht von statischen Verhältnissen in der Provinz Hassake ausgegangen werden. Vielmehr ist in Rechnung zu stellen, daß die Gruppe der Yeziden auch in Zukunft von Abwanderung betroffen sein wird und in absehbarer Zeit zu einer "äußerst kleinen Gruppe" i. S. der höchstrichterlichen Rechtsprechung absinkt. Eine asylerhebliche Gefährdungslage ist gleichwohl nicht anzunehmen.

Eine asylerhebliche Gefährdung der Yeziden aus der Provinz Hassake ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil das religiöse Existenzminimum in absehbarer Zeit nicht mehr gesichert sein könnte. Über gewalttätige Eingriffe der Moslems in die freie Religionsausübung der Yeziden wird nichts berichtet. Allerdings erfaßt die Abwanderungstendenz der Yeziden nicht nur Muriden, sondern auch Scheichs und Pirs, mithin die Priesterfamilien. Der religiöse Zusammenhalt wird damit zunehmend geschwächt (Wießner, Stellungnahme v. 17.9.1996 an Nds. OVG). Diese Abwanderung ist jedoch nicht durch eine dem syrischen Staats zuzurechnende Gruppenverfolgung bedingt. Sie beruht vielmehr auf der eigenen, asylrechtlich unerheblichen Willensentscheidung der Priesterfamilien (so auch Nds. OVG, Urt. v. 21.4.1998 - 9 A 6597/95.A -, S. 79 UA).

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Stellung eines Asylantrages und des mehrjährigen Auslandsaufenthaltes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Nur wenn besondere Umstände hinzutreten, die geeignet sind, bei den syrischen Behörden den Verdacht zu begründen, daß sich der Betreffende in

Syrien oder im Ausland gegen das syrische System politisch betätigt hat, besteht nach Einschätzung des Senats unter Würdigung des einschlägigen Erkenntnismaterials für Rückkehrer die Gefahr, politisch verfolgt zu werden (vgl. OVG NW, Urt. v. 21.4.1998, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.5.1998 - A 2 S 28/98 -; OVG Bremen, Urt. v. 12.4.2000, a.a.O.; Nds. OVG, Urt. v. 27.3.2001 - 2 L 5117/97 -).