OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.12.2008 - 1 AK 68/08 - asyl.net: M15058
https://www.asyl.net/rsdb/M15058
Leitsatz:

Es steht der Auslieferung nach Ruanda entgegen, dass dort kein rechtsstaatliches Strafverfahren zu erwarten ist; die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling und insbesondere die Aufhebung des Widerrufs der Anerkennung durch ein Verwaltungsgericht stellen gewichtige Indizien für ein Auslieferungshindernis dar.

 

Schlagwörter: Auslieferung, Auslieferungshaft, Ruanda, Auslieferungshindernis, Strafverfahren, faires Verfahren, fair trial, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Anerkennungsbescheid, Bindungswirkung, Widerruf, Anfechtungsurteil
Normen: IRG § 25 Abs. 2; IRG § 73; IRG § 6 Abs. 2; GG Art. 16a Abs. 1; AsylVfG § 4 S. 2
Auszüge:

Es steht der Auslieferung nach Ruanda entgegen, dass dort kein rechtsstaatliches Strafverfahren zu erwarten ist; die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling und insbesondere die Aufhebung des Widerrufs der Anerkennung durch ein Verwaltungsgericht stellen gewichtige Indizien für ein Auslieferungshindernis dar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

1. Ein Auslieferungshindernis, welches der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Ruanda mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegensteht (§ 15 Abs.2 IRG), ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nicht mit der Durchführung eines fairen Verfahrens rechnen kann (§ 73 Satz 1 IRG; vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 4. Aufl. 2006, § 73 Rn. 67 ff.). Wie die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda in ihrer Entscheidung vom 08.10.2008 in Sachen Yussuf Munyakazi (Case No. ICTR-97-36-R 11 bis) im Falle einer beantragten und von ihr abgelehnten Verweisung eines Strafverfahrens dieses Gerichtshofs an die nationale Justiz von Ruanda im Anschluss an einen vorhergehenden Beschluss der Strafkammer III des Internationalen Gerichtshofs von Ruanda vom 28.05.2008 festgestellt hat, ist die Rechtsstaatlichkeit eines in Ruanda geführten Strafverfahrens jedenfalls deshalb nicht gewährleistet, weil es als unwahrscheinlich anzusehen sei, dass vom Verfolgten im Gerichtsverfahren möglicherweise zu benennende Entlastungszeugen, sei es innerhalb oder außerhalb Ruandas, zu einer Hauptverhandlung erscheinen würden, weil diese mit Einschüchterungen, Bedrohungen, Belästigung, Folter, Festnahme und Tötung rechnen müssten. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit liege zudem darin, dass Entlastungszeugen mehrheitlich per Video vernommen werden müssten, während die meisten Zeugen der Anklage persönlich zur Aussage erscheinen würden.

Aufgrund dieser Entscheidung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda vom 08.10.2008, welche eine über den dort zu beurteilenden Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Aussage enthält und der sich der Senat anschließt, ist vom Bestehen eines Auslieferungshindernisses auszugehen, ohne dass es jedenfalls im vorliegenden Haftverfahren eigener Ermittlungen des Senats hierzu bedürfte (im Ergebnis ebenso im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Auslieferung nach Ruanda: OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 06.11.2008, 2 Ausl. A 175/07 und 2 Ausl. A 106/08).

2. Ein Auslieferungshindernis, welches der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Ruanda mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegensteht (§ 15 Abs.2 IRG), ergibt sich derzeit auch daraus, dass der Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2000 als Asylberechtigter anerkannt ist (§ 6 Abs.2 IRG i. V. m. Art. 16a Abs. 1 GG). Zwar ist diese Entscheidung für den Senat nicht bindend; vielmehr hat das Oberlandesgericht ausgehend von der Vorschrift des § 4 Satz 2 Alt. 1 AsylVfG im Auslieferungsverfahren selbst bei einer Anerkennung als politischer Flüchtling unabhängig von der Entscheidung der Verwaltungsbehörde selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob eine politische Verfolgung i. S. d. § 6 Abs. 2 IRG droht oder sonstige Auslieferungshindernisse bestehen (vgl. hierzu BVerfGE 60, 348 ff, 358 für den Fall eines noch nicht abgeschlossenen Asylanerkennungsverfahrens und BVerfGE 64, 46, 65 für den Fall einer nachträgliche Anerkennung als Asylberechtigter; Thüringer Oberlandesgericht NJW 2007, 1700 ff. für den Fall des Abschiebeschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG; ausdrücklich offen gelassen durch OLG Bamberg StV 1997, 649 ff. und OLG Celle StV 1984, 215 ff. für den Fall einer bereits erfolgten Anerkennung als Asylberechtigter unter Hinweis auf BVerfGE 60, 348 ff. 358 und BVerfGE 64, 46, 64 ff.; ablehnend Lagodny, Auslieferung trotz Flüchtlings- oder Asylanerkennung, Gutachten zur Vereinbarkeit von § 4 Satz 2 AsylVfG mit Völker, Europa- und Verfassungsrecht, erstattet für amnesty international am 05.02.2008 – abgedruckt im Internet unter: www.unisalzburg.; vgl. zur Thematik auch die Antwort der Bundesregierung vom 28.04.2008 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag, BT-Drucks. 16/8813 und 16/8988, Seite 2), zumal ein Verfolgter im Auslieferungsverfahren durch den dort geltenden Grundsatz der Spezialität (§ 11 IRG) im Einzelfall ausreichend vor politischer Verfolgung geschützt werden kann (vgl. BVerfGE 64, 46 ff.; vgl. hierzu auch Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O. § 6 Rn. 49 ff.). Allerdings kommt der Anerkenntnisentscheidung der Verwaltungsbehörde eine gewichtige indizielle Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 52, 391 ff., 407 für den Fall der Anerkennung als politischer Flüchtling durch einen anderen Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention; Senat NStZ-RR 2004, 218 f. für den Fall der Gewährung politischen Asyls in der Schweiz), insbesondere ist zur Vermeidung divergierender Entscheidungen eine solche Anerkennung dann von erheblichem indiziellen Belang, wenn die Verwaltungsbehörde dem Verfolgten in Kenntnis der diesem im ersuchenden Staat vorgeworfenen Straftaten Asyl oder Abschiebeschutz gewährt hat (Senat StV 2007, 652.f.).

Eine solche gewichtige indizielle und dem Erlass eines Auslieferungshaftbefehls entgegenstehende Wirkung ergibt sich vorliegend nicht nur aus der am 17.03.2000 in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten Anerkennung des Verfolgten als Asylberechtigten, sondern hier besteht zudem die Besonderheit, dass das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 13.12.2006 bereits über die Frage des Fortbestands des Asylrechts entschieden und den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration vom 22.02.2006 aufgehoben hat. Auch wenn dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist und das Auslieferungsersuchen der Republik Ruanda teilweise auch zeitlich vorgelagerte Vorwürfe zum Gegenstand hat, sieht der Senat – jedenfalls derzeit – keine zureichenden Anhaltspunkte, welche in tatsächlicher Hinsicht den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls rechtfertigen könnten. [...]