Abschiebungsverbot nach Nigeria wegen Niereninsuffizienz.
Abschiebungsverbot nach Nigeria wegen Niereninsuffizienz.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die noch anhängige Klage des Klägers ist begründet.
Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 12. April 2006 ist rechtswidrig, soweit mit Ziffer 3 des Bescheides das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – für die Person des Klägers verneint wird und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. [...]
Nach diesen Maßstäben besteht für den Kläger auf Grund seiner Erkrankung eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und/oder Leben, weil nach den besonderen Umständen seines Falles beachtlich wahrscheinlich ist, dass es bei einer Rückkehr nach Nigeria in naher Zukunft zu einer schwerwiegenden und wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes kommt.
Nach den vorgelegten ärztlichen Attesten und Bescheinigungen leidet der Kläger an einer chronischen Niereninsuffizienz, die sich bereits im Stadium IV befindet, verbunden mit einer schweren renalen arteriellen Hypertonie und großer Proteinurie. Die Erkrankungen stehen in einem direkten Zusammenhang und erfordern die ständige Einnahme zahlreicher Medikamente sowie regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen. Mit der Einnahme der Medikamente kann derzeit nach dem ärztlichen Attest vom 27. September 2009 eine Dialyse-Behandlung noch etwas verzögert werden, auf Dauer wird dies jedoch nicht möglich sein. Dies ist auf Grund des Stadiums der Nierenerkrankung für das Gericht auch ohne weiteres nachvollziehbar, da auf das Stadium IV – Nierenkrankheit mit schwerer Nierenfunktionseinschränkung – lediglich noch das Stadium V – Chronisches Nierenversagen – folgt, in dem mit einem Nierenersatzverfahren begonnen wird. Zudem neigen chronische Nierenerkrankungen zu einer kontinuierlichen Verschlechterung, weshalb Ziel der Behandlung daher grundsätzlich die Progressionshemmung ist (vgl. dazu auch "Chronisches Nierenversagen" in Wikipedia – de.wikipedia.org/., Stand: 3. Dezember 2008).
Eine Unterbrechung oder ein Ausbleiben der regelmäßig einzunehmenden Medikamente würde auf Grund der bereits weit fortgeschrittenen Erkrankung in kurzer Zeit zu einer erheblichen und lebensbedrohlichen Verschlechterung der Erkrankungen führen. Dabei ist auch beachten, dass der Kläger ausweislich der ärztlichen Bescheinigungen an einer schwer einstellbaren renalen Hypertonie leidet und Haupttodesursache für alle Patienten mit chronischen Nierenversagen die Herz-Kreislauf-Krankheiten sind. Ferner ist auch das Risiko eines akuten Nierenversagens bereits ab dem Stadium III erhöht, insbesondere wenn zusätzlich Bluthochdruck oder eine erhöhte Eiweißausscheidung vorliegt (vgl. auch "Chronisches Nierenversagen" in Wikipedia, a.a.O.).
Dem Kläger wäre es im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht möglich die medikamentöse Behandlung bzw. die sich abzeichnende Dialyse-Behandlung sowie die regelmäßig erforderlichen ärztlichen Untersuchungen dauerhaft sicherzustellen.
Bereits die Gesundheitsversorgung in Nigeria ist, vor allem auf dem Lande, mangelhaft. Zwar finden Rückkehrer in den Großstädten eine ausreichende medizinische Versorgung vor, da es sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser gibt und auch aufwendigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV, möglich sind. Die Behandlung kann jedoch von einem Großteil der Bevölkerung nicht finanziert werden, da das öffentliche Gesundheitssystem in Nigeria in einem schlechten Zustand ist. Die eingeführte allgemeine Krankenversicherung funktioniert schlecht. Sie erfasst zudem nur die Beschäftigten im "formalen Sektor" und kommt nur 10 % der Bevölkerung zu Gute. Hilfsorganisationen, die Kosten für Not leidende Patienten übernehmen, sind nicht bekannt. Eine medizinische Behandlung ist daher abhängig von der finanziellen Situation der des Patienten. Da 70 % der Bevölkerung am Existenzminimum bzw. 50 – 70 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag leben, sind kranke, arme und alte Menschen auf Familienhilfe angewiesen, vgl. AA, Lagebericht Nigeria vom 6. November 2007, S. 23, 6; SFH, Nigeria: Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit HIV/AIDS, Gutachten vom 12. Juli 2006 und Behandlung von Epilepsie vom 18. November 2008 (jeweils auch zum Gesundheitssystem allgemein) sowie Nigeria, Update vom 18. Dezember 2006; Deutsche Botschaft M., Auskunft an das VG Stuttgart vom 27. April 2006 (zum Gesundheitssystem im Zusammenhang mit HIV) und vom 14. November 2003 an das VG München (zur Dialyse-Behandlung).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger die finanziellen Mittel für eine Fortsetzung der lebenserhaltenen medikamentösen Therapie – mit einer erheblichen Zahl von Medikamenten – bzw. den Beginn einer – dann lebenslangen – Dialyse-Behandlung sowie die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen in Nigeria nicht zur Verfügung stehen werden. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, der seinen Angaben zufolge bereits vor seiner Ausreise seinen Unterhalt lediglich als Tagelöhner bei Ölfirmen bzw. als Fischer verdient hat, die erforderlichen Behandlungskosten nicht durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird bestreiten können. Zum einen ist bereits sehr zweifelhaft, ob der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustandes überhaupt noch eine derartige Tätigkeit ausüben könnte, da das chronische Nierenversagen im fortgeschrittenen Stadium 4 und Stadium 5 mit einer zunehmenden Einschränkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit einhergeht, wie der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat (vgl. dazu auch "Chronisches Nierenversagen" in Wikipedia, a.a.O.).
Zum anderen ist auch angesichts der in Nigeria herrschenden Arbeitslosigkeit sehr fraglich, ob der Kläger eine Beschäftigung mit seiner Erkrankung überhaupt findet. Auch dürfte auf Grund der Einkommenssituation in Nigeria ein mit einer Tätigkeit als Tagelöhner erzieltes Einkommen nicht ausreichen, um die für den Kläger erforderlichen Behandlungen und Untersuchungen zu finanzieren. Das Gericht geht ferner davon aus, dass der Kläger, dessen Eltern bereits verstorben sind, nicht auf eine ihn unterstützende Familienstruktur in seinem Heimatland zurückgreifen kann. Zwar sind die Angaben des Klägers zu seinem familiären Verhältnissen nicht frei von Ungereimtheiten und ist davon auszugehen, dass noch seine vier Geschwister und seine ca. sechs Jahre alte Tochter bei einem Onkel in seinem Heimatort leben. Der Kläger hat jedoch glaubhaft dargelegt, dass bereits seine Geschwister und auch seine Tochter von der Rente des Onkels unterhalten werden. Unabhängig von der Frage, ob die Familie den kranken Kläger überhaupt aufnehmen würde, kann angesichts der Erkenntnislage zur wirtschaftlichen und sozialen Situation in Nigeria nicht davon ausgegangen werden, dass die in Nigeria lebenden Angehörigen des Klägers in der Lage wären, auch noch die erheblichen Behandlungskosten des Klägers (mit-) finanzieren zu können. [...]