VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 28.01.2009 - 11 A 1756/07 - asyl.net: M15004
https://www.asyl.net/rsdb/M15004
Leitsatz:

Die Qualifikationsrichtlinie schließt eine Wohnsitzauflage für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen sowie für Personen, die subsidiären Schutz genießen, aus; ein verspäteter Verlängerungsantrag löst nicht die Fortgeltungsfiktion gem. § 81 Abs. 4 AufenthG aus.

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, subsidiärer Schutz, Wohnsitzauflage, Erledigung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Verlängerungsantrag, verspätete Antragstellung, Fortgeltungsfiktion, Konventionsflüchtlinge, Sozialhilfebezug, Genfer Flüchtlingskonvention, Anerkennungsrichtlinie, Familienangehörige, Lebenspartner, Ermessen
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 12 Abs. 2; GFK Art. 25; GFK Art. 23; RL 2004/83/EG Art. 32; RL 2004/83/EG Art. 28; RL 2004/83/EG Art. 23 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 2 Bst. h; RL 2004/83/EG Art. 18
Auszüge:

Die Qualifikationsrichtlinie schließt eine Wohnsitzauflage für Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen sowie für Personen, die subsidiären Schutz genießen, aus; ein verspäteter Verlängerungsantrag löst nicht die Fortgeltungsfiktion gem. § 81 Abs. 4 AufenthG aus.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

1. Die Klage ist bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) nicht mehr als Klage auf Verpflichtung, die Wohnsitzauflage des Klägers zu streichen, zulässig, sondern in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage.

Die Wohnsitzauflage des Klägers gilt gem. § 51 Abs. 6 AufenthG zwar auch nach dem Ablauf seines Aufenthaltstitels fort. Dennoch hat sich sein Begehren auf Streichung der Wohnsitzauflage zum Zwecke des Umzuges nach L. erledigt. Der Kläger ist nämlich derzeit vollziehbar ausreisepflichtig, so dass sein Aufenthalt kraft Gesetzes auf das Land Niedersachsen beschränkt ist (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Er ist ausreisepflichtig, weil er nicht mehr über den erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt (§ 50 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Seine Aufenthaltserlaubnis war bis zum 23. August 2007 befristet. Diese Ausreisepflicht ist nicht durch seinen erneuten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 3. September 2007 entfallen. Zwar gilt der bisherige Aufenthaltstitel gem. § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend, wenn die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt wird. Dies setzt aber nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift voraus, dass der Antrag vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis gestellt worden ist.

Anderenfalls liegt nämlich schon begrifflich eine Verlängerung nicht vor. In systematischer Hinsicht ist außerdem zu berücksichtigen, dass in § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Regelung für verspätete Anträge von Personen, die sich ohne Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, besteht. In § 81 Abs. 4 AufenthG ist hierüber dagegen gerade keine Bestimmung getroffen worden. Hinzu kommt, dass nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung einiges dafür sprach, dass die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis auch noch nach Ablauf der Geltungsdauer beantragt werden konnte. Durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I. S. 1970) sind die Worte "nach Ablauf der Geltungsdauer" jedoch gestrichen worden. In der amtlichen Begründung ist dazu ausgeführt worden, dass gem. § 81 Abs. 4 AufenthG die Verlängerung nach Ablauf der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nicht möglich sei (BT-Drs. 16/5065, S. 184). Auch Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sprechen dafür, dass verspätete Verlängerungsanträge keine Fiktionswirkungen entfalten können (vgl. auch Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2008, Rn. 42 ff. zu § 81; Albrecht in: Storr u. a., Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, Rn. 21 zu § 81; VG München, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - M 10 S 08.3029 u. a. - <juris>; VG Kassel, Beschluss vom 15. September 2008 - 4 L 1259/08.Ks - <juris>; VG Berlin, Urteil vom 12. August 2008 - 38 V 26.08 - <juris>; tendenziell auch: VGH München, Beschluss vom 5. März 2007 - 24 Cs 07.207 - <juris>). Die Auffassung des OVG Münster (Beschluss vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 - InfAuslR 2006, 448 ff.), wonach auch ein verspäteter Antrag die Fortgeltungsfiktion auslösen kann, wenn ­ wie hier ­- noch ein innerer Zusammenhang mit dem Ablauf des Titels besteht, vermag die Kammer daher nicht zu folgen. Die Ausreisepflicht des Klägers ist gem. § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch vollziehbar, weil keine erstmalige Antragstellung und nach den obigen Ausführungen auch kein Verlängerungsantrag vorliegt, da dieser erst nach Ablauf des alten Aufenthaltstitels gestellt worden ist (vgl. Funke-Kaiser a. a. O., Rn. 12.1 zu § 58 und Rn. 34 und 49 zu § 81; Wenger in: Storr u. a., a. a. O., Rn. 9 zu § 58). Daran ändert auch der Umstand, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG vorliegt, nichts. Dies führt lediglich zu einer Einschränkung der Abschiebungsandrohung (§ 59 Abs. 3 AufenthG).

Wegen der angesprochenen gesetzlichen räumlichen Beschränkung des Aufenthalts des Klägers nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Beklagte nach ständiger Rechtsprechung der Kammer nicht berechtigt, einen Zuzug außerhalb des Landes Niedersachsen zuzulassen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Oktober 2002 - 8 ME 142/02 - NVwZ-Beil. 2003, 22 f.; Urteil vom 28. September 2006 - 11 LB 193/06 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 15. September 2004 - 3 Bs 257/04 - NordÖR 2005, 344 345>). Der Kläger muss vielmehr nunmehr eine (sog. zweite) Duldung am Zuzugsort, also bei dem Beigeladenen, beantragen.

Es besteht ein berechtigtes Interesse des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Streichung der Wohnsitzauflage feststellen zu lassen. Wegen des Fortbestehens des genannten Abschiebungsverbotes ist nämlich davon auszugehen, dass ihm in Zukunft wieder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt werden wird.

2. Die so verstandene Klage ist auch begründet. Der Kläger hatte einen Anspruch auf Streichung seiner Wohnsitzauflage.

Rechtliche Grundlage für die Erteilung von Wohnsitzauflagen ist § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach steht dies und entsprechend auch die Streichung einer Wohnsitzauflage im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde, welches gem. § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und von dem Ermessen in einer dem Zweck entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dabei ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sich die Ausländerbehörde auf generelle Regelungen in Verwaltungsvorschriften bezieht (hier die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblichen Nr. 12.2.1 ff. der Vorl. Nds. VV zum AufenthG vom 30. November 2005). Die hierdurch bewirkte Ermessensbindung findet ihre Grenze allerdings dort, wo wesentliche Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr hinreichend Rechnung getragen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 - 1 C 17.07 - InfAuslR 2008, 268 f.).

Der Beklagte und der Beigeladene haben die Streichung der Wohnsitzauflage mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nimmt (vgl. auch Nr. 12.2.3.1 der hier maßgeblichen Vorl. Nds. VV zum AufenthG). Die damit erstrebte gleichmäßige Verteilung der Sozialhilfelasten zwischen den Kommunen und Ländern ist ein grundsätzlich rechtlich nicht beanstandender Zweck (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. August 2007 - 1 ME 221/07 - <juris>). Hier standen dem Fortbestand der den Kläger betreffenden Wohnsitzauflage jedoch vorrangige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen entgegen.

Zum einen folgte dies aus der Flüchtlingsanerkennung des Lebenspartners des Klägers. Nach dem erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Januar 2008 (a. a. O.) ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 23 und 26 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dass anerkannte Flüchtlinge nicht allein im Hinblick auf die angemessene Verteilung der Sozialhilfelasten eine Wohnsitzauflage erhalten dürfen. Art. 26 GFK sieht vor, dass Flüchtlinge ihren Aufenthalt frei wählen und sie sich frei bewegen können, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Bedingungen Anwendung finden. Art. 23 GFK bestimmt, dass Flüchtlinge, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der Fürsorge die gleiche Behandlung wie die eigenen Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates erhalten. Es darf deshalb keine Schlechterstellung gegenüber deutschen Sozialhilfeempfängern erfolgen, die Freizügigkeit im Bundesgebiet genießen (vgl. Art. 11 Abs. 1 GG).

In der GFK finden sich allerdings keine Regelungen für Familienangehörige der Flüchtlinge. Entsprechende Bestimmungen enthält aber die sog. Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates) ­ QRL ­ deren Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 abgelaufen ist (Art. 38), so dass sie unmittelbare Anwendung findet.

Nach Art. 32 QRL ist die Bewegungsfreiheit von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, unter den gleichen Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, gewährleistet. Gem. Art. 28 QRL ist die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörigen des Mitgliedsstaates zu gewähren. Die Regelungen entsprechen damit im Wesentlichen den Art. 23 und 26 GFK, nach denen die Freizügigkeit von Flüchtlingen nicht aus Gründen des Sozialhilfebezuges eingeschränkt werden darf (so wohl auch BVerwG a. a. O., S. 271). Es ist auch nicht erkennbar, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber hinter den Regelungen der GFK zurückbleiben wollte. In der Begründungserwägung Nr. 3 ist nämlich ausgeführt, dass die GFK wesentlicher Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für Flüchtlinge sei.

Nach Art. 23 Abs. 2 1. Unterabsatz QRL haben auch die Familienangehörigen der Personen, die als Flüchtling anerkannt wurden, einen Anspruch auf die in Art. 24 ­ 34 QRL genannten Vergünstigungen, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.

Der von dem Beigeladenen angesprochene Erwägungsgrund 29 betrifft lediglich Familienangehörige von Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus nach Art. 18 QRL zuerkannt wurde. Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht, dass der Flüchtling mittelbar in seiner Freizügigkeit eingeschränkt würde, wenn seine Familienangehörigen Auflagen zur Wohnsitznahme hätten. Hierauf deutet auch hin, dass nach Nr. 12.2.1 der Vorl. Nds. VV zum AufenthG in der Fassung vom 31. Juli 2008 Ehegatten und minderjährigen Kinder von Flüchtlingen wie diesen selbst Aufenthaltserlaubnisse ohne Wohnsitzauflagen erteilt werden.

Nach Art. 2 lit. h 1. Spiegelstrich QRL sind Familienangehörige auch unverheiratete Partner, die nach dem Ausländerecht des Mitgliedsstaates in vergleichbarer Weise wie ein Ehegatte behandelt werden. In § 27 Abs. 2 AufenthG sind Lebenspartnerschaften der Ehe aufenthaltsrechtlich gleichgestellt (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 81; Marx in: GK-AufenthG, Stand: Mai 2008, Rn. 231 ff. zu § 27).

Darüber hinaus folgt der Anspruch des Klägers auch aus eigenem Recht, denn er ist subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des Art. 18 QRL. Nach dem Bescheid des Bundesamtes vom 26. Februar 2003 i. V. m. dem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 15. November 2002 besteht bei dem Kläger wegen der Gefahr der Todesstrafe ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 2 AuslG (= § 60 Abs. 3 AufenthG). Gem. Art. 15 lit. a QRL ist die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe ein ernsthafter Schaden, der zum subsidiären Schutz berechtigt. Art. 32 und 28 QRL gelten nach dem nicht zweifelhaften Wortlaut der Bestimmungen auch für subsidiär Schutzberechtigte (vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 3. März 2008 - W 7 K 07.683 und 981 - <juris>). Art. 28 Abs. 2 QRL sieht zwar Beschränkungen der Sozialhilfe bei Personen mit subsidiärem Schutzstatus auf Kernleistungen vor. Dies ist aber nur im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige möglich. [...]