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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.01.2009 - 18 B 1914/08 - asyl.net: M14880
https://www.asyl.net/rsdb/M14880
Leitsatz:

1. Eine Doppelehe entfaltet zugunsten eines Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht.

2. Das Verwaltungsgericht ist zu einer eigenständigen Bewertung der Ehe als ausländerrechtlich schützenswert befugt.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Deutschverheiratung, Doppelehe, Scheidung, Glaubhaftmachung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

1. Eine Doppelehe entfaltet zugunsten eines Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht.

2. Das Verwaltungsgericht ist zu einer eigenständigen Bewertung der Ehe als ausländerrechtlich schützenswert befugt.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

I. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auf Erteilung einer Duldung nicht glaubhaft gemacht hat. [...]

1. Mit der Beschwerde hat der Antragsteller die überzeugenden und eingehenden Feststellungen (unter anderem) des Verwaltungsgerichts dazu, dass und aufgrund welcher Zusammenhänge anzunehmen ist, dass die in Nigeria geschlossene Ehe des Antragstellers noch nicht geschieden ist, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Auf diese wird Bezug genommen. Erst recht ist nicht - wie im vorliegenden Verfahren gemäß § 123 VwGO erforderlich - glaubhaft gemacht, dass die in Nigeria geschlossene Ehe geschieden ist. [...]

2. Dies zugrunde gelegt steht die Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit Frau ... nicht unter dem Schutz des Art. 6 GG. Sofern die in Dänemark geschlossene Ehe überhaupt wirksam ist, handelt es sich um eine Doppelehe. Eine solche entfaltet - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - die Ehe wäre nach deutschem Recht gemäß § 1314 Abs. 1 i.V.m. § 1306 BGB (nur) aufhebbar - zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21. August 2007 - 11 S 995/07 -, NJW 2007, 3453, und vom 15. August 2005 - 13 S 951/04 -, juris, sowie Urteil vom 11. Januar 2006 - 13 S 2345/05 -, AuAS 2006, 149, jeweils mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Beschluss vom 11. Dezember 2006 - 19 B 883/06 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 1998 Bs VI (VII) 213/95 ; VG Dessau, Urteil vom 7. Oktober 2003 3 A 76/03 -.)

Gesetzliche Regelungen, die wie § 28 AufenthG an diejenige Lebensgemeinschaft zwischen Frau und Mann anknüpfen, die als Ehe den Schutz der Verfassung genießt, müssen die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, die sich aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts und anderen Verfassungsnormen ergeben. Hierzu gehört unter anderem das Prinzip der Einehe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31,58; BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323; BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 -, BVerwGE 71, 228; OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2007 - 19 A 3047/06 - und vom 11. Dezember 2006 - 19 B 883/06 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. März 2004 - 10 A 11717/03.OVG - m.w.N.; Nds. OVG, Urteil vom 6. Juli 1992 - 7 L 3634/91 -).

Die Anwendung zu strenger oder zu geringer Voraussetzungen bei der Auslegung und Anwendung von an das Institut der Ehe anknüpfend gesetzlichen Regelungen ist mit den sich aus der Verfassung selbst ergebenden Strukturprinzipien unvereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31,58; BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323; auch BT-Drs. 11/6321, S. 60).

Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft des Verbotes der Doppelehe zeigt sich auch an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 172 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt vergleichbar mit dem Fall einer sog. Scheinehe, d.h. einer Ehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wird. Zwar liegt auch hier eine zivilrechtlich wirksame Eheschließung vor; dennoch ist etwa anerkannt, dass die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen einer Scheinehe zulässig ist und insbesondere nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil es sich (auch) dabei nicht um eine dem Schutz dieses Grundrechts unterfallende Ehe handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, FamRZ 2003, 1000).

Dass das Verwaltungsgericht zu einer eigenständigen Bewertung der Ehe als ausländerrechtlich schützenswert befugt ist und ein zivilgerichtliches Monopol zur Bewertung einer Ehe nicht besteht, zeigt neben dem Vergleich mit der Scheinehe auch der von den Strafgerichten zu prüfende Straftatbestand der Doppelehe. Dieser Straftatbestand kann verwirklicht sein, obwohl die zweite Ehe zivilrechtlich noch gültig ist. [...]