BlueSky

OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.09.2008 - 19 A 626/04 - asyl.net: M14867
https://www.asyl.net/rsdb/M14867
Leitsatz:

Einbürgerung ukrainischer Staatsangehöriger unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, da die Ausbürgerung von unzmutbaren Bedingungen abhängig gemacht wird.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Mehrstaatigkeit, Ausbürgerung, Zumutbarkeit, Verfahrensdauer, Ukraine
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 4; StAG § 12 Abs. 1; AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

Einbürgerung ukrainischer Staatsangehöriger unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, da die Ausbürgerung von unzmutbaren Bedingungen abhängig gemacht wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht mit dem Hauptantrag stattgegeben. [...]

Denn jedenfalls erfüllt der Kläger die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG, der auf den Einbürgerungsantrag des Klägers vom 28. Dezember 1999 in seiner vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung anzuwenden ist, soweit er günstigere Bestimmungen enthält (§ 40 c StAG in der Fassung des Art. 5 Nr. 23 des EU-Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970, 2007). [...]

Der Kläger erfüllt schließlich auch die Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG, die inhaltlich seit der Antragstellung unverändert geblieben ist (damals § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG) und bei der es sich um diejenige Einbürgerungsvoraussetzung handelt, die seit der Erteilung der Einbürgerungszusicherung den Kern des Streits zwischen den Beteiligten bildet. Nach dieser Vorschrift setzt die Einbürgerung voraus, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Der Kläger verliert seine ukrainische Staatsbürgerschaft nicht kraft Gesetzes im Zeitpunkt seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband, sondern erst dann, wenn der Präsident der Ukraine auf seinen Antrag hin seine ukrainische Staatsbürgerschaft für beendet erklärt (A.). Die Stellung eines solchen Antrags ist ihm im Sinne des § 12 Abs. 1 StAG unzumutbar (B.).

A. Der Kläger verliert seine ukrainische Staatsbürgerschaft nicht kraft Gesetzes im Zeitpunkt seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. [...]

Nach den hier einschlägigen ukrainischen Vorschriften bewirkt die Einbürgerung eines ukrainischen Staatsbürgers in den deutschen Staatsverband nicht schon kraft Gesetzes das Erlöschen seiner ukrainischen Staatsbürgerschaft. Diese Rechtswirkung tritt vielmehr erst dann ein, wenn bezüglich des Staatsbürgers der Ukraine eine Eingabe betreffend den Verlust der Staatsbürgerschaft bei der Kommission für Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft beim Präsidenten der Ukraine gemacht wird, diese dem Präsidenten der Ukraine den Verlust vorschlägt und der Präsident die Entscheidung über die Beendigung der Staatsbürgerschaft der Ukraine trifft (Art. 20, 22, 23 ukrStBG, zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderabschnitt Ukraine). Dieser Vorgang ist im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG als Aufgabe, nicht als Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit zu qualifizieren.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Klägers enthält das ukrainische Staatsbürgerschaftsrecht einen Verlusttatbestand im Sinne der §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 12 StAG für den Fall der Einbürgerung in einen fremden Staatsverband insbesondere nicht in Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 ukrStBG. [...]

Mit dieser Auslegung des ukrainischen Staatsbürgerschaftsrechts stimmt auch die Rechtspraxis der ukrainischen Behörden überein. [...]

Unabhängig von allem Vorstehenden kann sich der Senat die notwendige Überzeugungsgewissheit für eine Bejahung der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG jedenfalls deshalb nicht verschaffen, weil dem die ihm vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen ukrainischer Auslandsvertretungen zur Verwaltungspraxis bei Beendigungsverfahren entgegenstehen. [...]

B. Kann der Kläger seine ukrainische Staatsbürgerschaft hiernach nur durch ein Entlassungsverfahren bei den ukrainischen Behörden aufgeben, so ist ihm dessen Durchführung nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen möglich, weil der ukrainische Staat seine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht (2. Alternative des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG). Die ukrainischen Auslandsvertretungen in Frankfurt und Bonn knüpfen die Entgegennahme eines Entlassungsantrags an die konsularische Registrierung des Klägers als Auslandsukrainer (Schreiben der Außenstelle Bonn der Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Februar 2000). Diese Registrierung wiederum kann er, wie die Beweisaufnahme des Senats ergeben hat, weder bei den ukrainischen Auslandsvertretungen noch bei ukrainischen Inlandsbehörden mit zumutbaren Mitteln erreichen.

Zunächst ist es dem Kläger mit zumutbaren Mitteln nicht möglich, seine Registrierung als Auslandsukrainer im Bundesgebiet zu erreichen. Maßgeblich ist auch insoweit die tatsächliche Handhabung der Registrierung durch die ukrainischen Auslandsvertretungen, nicht hingegen die abstrakte Gesetzeslage nach ukrainischem Staatsangehörigkeitsrecht und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen. Rechtslage und Staatspraxis der Ukraine weichen in dieser Hinsicht nach den Feststellungen des Senats in erheblichem Umfang voneinander ab:

Nach Nr. 4 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen sind die ukrainischen Auslandsvertretungen für Entlassungsanträge von Auslandsukrainern grundsätzlich zuständig. Sie führen auch das "Abmeldungsverfahren" durch, das zur Registrierung als Auslandsukrainer führt (telefonische Auskunft der Abteilungsleiterin für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten des Außenministeriums Frau Protasowa gegenüber der deutschen Botschaft in Kiew, mitgeteilt mit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2007). In der Praxis hingegen nehmen die ukrainischen Auslandsvertretungen in Deutschland diese rechtlichen Vorgaben nicht einmal zur Kenntnis und behandeln ihre eigenen Staatsbürger im Übrigen so willkürlich und schikanös, dass die Durchführung des "Abmeldungsverfahrens" bei diesen Stellen für den Personenkreis der nicht registrierten Auslandsukrainer als praktisch unmöglich eingestuft werden muss. Diesen Schluss zieht der Senat aus dem Verhalten des ukrainischen Generalkonsulats in Frankfurt/Main gegenüber der Klägerin des Parallelverfahrens 19 A 1221/04 anlässlich ihrer dortigen Vorsprache auf Veranlassung des Senats am 17. Juli 2007. Bei dieser Vorsprache hat sie ausdrücklich auf die soeben erwähnte telefonische Auskunft der Abteilungsleiterin für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten des Außenministeriums Frau Protasowa gegenüber der deutschen Botschaft in Kiew Bezug genommen und den Bediensteten des Konsulats die Auskunft des Auswärtigen Amtes vorgelegt, in der die Äußerung von Frau Protasowa wiedergegeben ist. Unter Bezugnahme auf dieses amtliche Dokument hat sie ausdrücklich erklärt, eine Genehmigung zum ständigen Aufenthalt im Ausland beantragen zu wollen, um von Deutschland aus den Entlassungsantrag aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft stellen zu können.

Dieses Begehren der Klägerin des Parallelverfahrens 19 A 1221/04 hat Vizekonsul S. Malinovskyi mit der Begründung abgelehnt, sie habe keine Genehmigung von der zuständigen Behörde der Ukraine erhalten, den ständigen Wohnsitz in Deutschland zu nehmen. Diese Begründung ist am Maßstab rechtsstaatlicher Grundsätze willkürlich. Selbst wenn das Generalkonsulat bis zum Zeitpunkt der Vorsprache der Klägerin des Parallelverfahrens 19 A 1221/04 entgegen Nr. 4 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen die Rechtsauffassung vertreten haben sollte, dass nur inländische ukrainische Behörden für die Registrierung von Auslandsukrainern zuständig seien, hätten die vorgelegten amtlichen Dokumente dem Vizekonsul bei Anlegung rechtsstaatlicher Maßstäbe zumindest Veranlassung geben müssen, eine Weisung der vorgesetzten Dienststelle, etwa des ukrainischen Außenministeriums in Kiew, zu dieser Rechtsfrage des ukrainischen Rechts einzuholen. Stattdessen hat Vizekonsul S. Malinovskyi der Klägerin des Parallelverfahrens 19 A 1221/04 schriftlich seine Nichtzuständigkeit für die Ausstellung von Pässen an nicht konsularisch erfasste Auslandsukrainer bescheinigt und damit (wie nach den Begleitumständen angenommen werden muss, bewusst) ignoriert, dass jene Klägerin eben diese konsularische Erfassung begehrte.

Der Senat hat keinen Anlass, den Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Klägerin des Parallelverfahrens 19 A 1221/04 anzuzweifeln. [...]

Ebenso wenig hat der Senat Veranlassung anzunehmen, bei der willkürlichen Ablehnung ihres Begehrens handele es sich um einen Einzelfall, dem die Repräsentativität für das Verhalten ukrainischer Auslandsvertretungen in Deutschland oder auch nur für das generelle Verhalten des Generalkonsulats Frankfurt/Main gegenüber nicht registrierten Auslandsukrainern fehle. Vielmehr lässt sich der gegenteilige Schluss aus dem Antwortverhalten des ukrainischen Außenministeriums in Kiew im Rahmen der Beweisaufnahme des Senats ziehen. Dieses hat auf die acht konkreten Fragen aus dem Beweisbeschluss vom 16. Oktober 2006 mit seiner ersten Verbalnote vom 25. Dezember 2006 überhaupt keine auf den Einzelfall des Klägers bezogene konkrete Antwort gegeben, sondern sich damit begnügt, dem Senat ein allgemein gehaltenes Informationsblatt mit dem Titel "Informationen zur gesetzlichen Regelung des Verlustes der ukr. Staatsangehörigkeit" zu übersenden. Auch auf die Konkretisierungsbitte des Senats vom 20. März 2007 hat es mit Verbalnote vom 21. Mai 2007 keinen konkreten und praktikablen Weg aufgezeigt, auf dem der Kläger seine konsularische Registrierung als Auslandsukrainer erreichen kann. Es hat vielmehr lediglich mitgeteilt, die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Ukraine nähmen Ausbürgerungsanträge konsularisch nicht registrierter Auslandsukrainer nicht entgegen, und stattdessen auf die Zuständigkeit des Innenministeriums der Ukraine verwiesen, bei deren Hauptverwaltung der Antragsteller seinen Antrag sowie sonstige Unterlagen persönlich einzureichen habe. Diese Mitteilung hilft dem Kläger für die praktische Umsetzung seines Begehrens nicht weiter, weil sie sich ausdrücklich nur auf "Ausbürgerungsanträge" bezieht, nicht aber auf die hier in Frage stehende konsularische Registrierung als Auslandsukrainer. Sollte sie entgegen ihrem Wortlaut auch oder nur auf diese konsularische Registrierung bezogen sein, stünde sie im Widerspruch zur bereits zitierten Auskunft der Frau Protasowa, die, wie erwähnt, auch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Ukraine in Deutschland für diese konsularische Registrierung für zuständig hält (vorausgesetzt, dass mit dem "Abmeldungsverfahren" eben diese konsularische Registrierung gemeint ist). Auch die deutsche Botschaft in Kiew hat sich in ihrer Auskunft vom 29. November 2006 an Rechtsanwalt Christ in diesem Sinn geäußert, dass nämlich der fragliche Personenkreis die "Genehmigung für die ständige Wohnsitznahme in Deutschland" bei der zuständigen Auslandsvertretung der Ukraine in Deutschland beantragen könne.

Angesichts der pauschalen und in entscheidenden Punkten widersprüchlichen Auskünfte des ukrainischen Außenministeriums ist dem Kläger auch eine Rückreise in die Ukraine zum Zweck der Registrierung oder/und Stellung eines Entlassungsantrags aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft unzumutbar. Er muss sich nicht auf ein Entlassungsverfahren im Heimatland verweisen lassen, bei dem ungewiss ist, wie lange es dauern wird und ob die Staatsangehörigkeitsbehörden in der Ukraine es ebenso willkürlich handhaben wie die ukrainischen Auslandsvertretungen in Deutschland, insbesondere kann die Stellung eines Entlassungsantrags im Heimatland allein schon deswegen unzumutbar sein, weil längere, unter Umständen mehrjährige Verfahrenszeiten zu erwarten sind (BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 5 C 3.06 -, BVerwGE 129, 20, juris, Rdn. 22).

Ob auch im Fall des Klägers allein schon die zu erwartende Verfahrensdauer die Unzumutbarkeit der Stellung eines Entlassungsantrags in der Ukraine begründet, kann offenbleiben. Denn hier ergibt sich die Unzumutbarkeit jedenfalls im Zusammenwirken mit den übrigen genannten Gesichtspunkten. Gleichwohl ist auch in diesem Zusammenhang auffällig, dass das ukrainische Außenministerium die Frage nach der Verfahrensdauer im Beweisbeschluss des Senats vom 16. Oktober 2006 nicht beantwortet hat (letzte Frage zu g)). Mangels Beantwortung dieser Frage kann der Senat hierzu nur auf die Mitteilung der Außenstelle Remagen-Oberwinter der ukrainischen Botschaft in deren Merkblatt aus dem Jahr 1997 zurückgreifen. Danach ist für die Prüfung eines Antrags auf Genehmigung der ständigen Wohnsitznahme im Ausland durch die ukrainischen Inlandsbehörden "mit einer Bearbeitungszeit von etwa einem Jahr zu rechnen" (Blatt 603 - 605 der Beiakte Heft 4). Eine solche Verfahrensdauer hält der Senat im Fall des Klägers am Maßstab des Art. 6 GG für unzumutbar, weil er deutschverheiratet ist, für die Antragstellung persönlich in die Ukraine zurückkehren müsste (Verbalnote vom 21. Mai 2007) und zu befürchten ist, dass er für diesen Zeitraum dort auch anwesend sein muss.

Nichts Gegenteiliges ergibt sich schließlich aus den Referenzfällen aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft entlassener Auslandsukrainer, auf die sich der Beklagte und der Oberbürgermeister Aachen im Parallelverfahren 19 A 1221/04 berufen haben. Den hierzu vorgelegten Akten kann der Senat nur entnehmen, dass der Präsident der Ukraine die dortigen Einbürgerungsbewerber wenige Monate nach Antragstellung und Vorlage der deutschen Einbürgerungszusicherung bei der zuständigen ukrainischen Auslandsvertretung in Deutschland aus der ukrainischen Staatsbürgerschaft entlassen hat. Aus den Verwaltungsvorgängen dieser erfolgreichen Entlassungsverfahren ergibt sich jedoch nicht, ob diese ukrainischen Einbürgerungsbewerber auch zu dem hier in Rede stehenden Personenkreis der konsularisch nicht registrierten Auslandsukrainer gehört haben. [...]