BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 14.10.2008 - 10 C 48.07 - asyl.net: M14826
https://www.asyl.net/rsdb/M14826
Leitsatz:

Vorlagefragen an den EuGH zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Bst. b der Qualifikationsrichtlinie.

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Anmerkung der Redaktion: Siehe Urteil des EuGH vom 9.11.2010, C-57/09 und C-101/09 [asyl.net, M17841].

Schlagwörter: EuGH, Vorlage, Vorlageverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Terrorismus, schwere nichtpolitische Straftat, Anerkennungsrichtlinie, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP, Liste terroristischer Organisationen, Wiederholungsgefahr, Verhältnismäßigkeit, Abschiebungshindernis, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Asylrecht, Türkei, Dev Sol, DHKP/C, Kämpfer (ehemalige), Genfer Flüchtlingskonvention, Sicherheitsrat, Terrorismusvorbehalt, Gefahr für die Allgemeinheit, Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
Normen: EG Art. 68 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. b; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. c; EMRK Art. 3; RL 2004/83/EG Art. 3; AsylVfG § 3 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; GFK Art. 1 F; GG Art. 16a
Auszüge:

[...]

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 vor, wenn der Antragsteller einer Organisation angehört hat, die im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist und terroristische Methoden anwendet, und der Antragsteller den bewaffneten Kampf dieser Organisation aktiv unterstützt hat?

2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG voraus, dass von dem Antragsteller weiterhin eine Gefahr ausgeht?

3. Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus?

4. Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:

a) Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Abschiebungsschutz nach Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 oder nach nationalen Bestimmungen genießt?

b) Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen unverhältnismäßig?

5. Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG mit der Richtlinie zu vereinbaren, dass der Antragsteller trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie einen Anspruch auf Asyl nach nationalem Verfassungsrecht hat?

[...]

1. Der Kläger erfüllt die positiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

Sind damit die positiven Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung gegeben, ist der Kläger dennoch kein Flüchtling, wenn einer der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG) vorliegt. Mit diesen seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensgesetz geregelten Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG, der seinerseits auf die schon in Art. 1 Abschnitt F Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt. [...]

1. Vorlagefrage:

a) Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger schon in seiner Jugend durch seinen Bruder in das Umfeld der verbotenen linksextremistischen Organisation Dev Sol geraten. Im Alter von 18 Jahren schloss er sich der Guerilla ihrer Nachfolgeorganisation, der DHKP/C, an (UA S. 18). Diese Organisation ist seit 2002 auf der europäischen Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.27 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 17. Juni 2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160 vom 18. Juni 2006 S. 32) und wendet nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch terroristische Methoden an. Sie verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch einen bewaffneten Volkskrieg zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten (UA S. 20). Auch wenn der Kläger selbst nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen haben will, hat er die Kampftruppen in vielfältiger Weise unterstützt: [...]

b) Nach Auffassung des Senats erfüllt ein derartiges Verhalten den Tatbestand einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG. [...]

Wie bei Art. 1 Abschnitt F Buchst. b GFK rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Der Straftat muss zunächst ein gewisses Gewicht zukommen. Dabei sind internationale und nicht lokale Standards maßgeblich (vgl. Abs. 14 der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln: Art. 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 4. September 2003 zur Anwendung der Ausschlussklauseln - HCR/PIP/03/05 - nachfolgend: UNHCR-Richtlinien). Es muss sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird.

Zugleich muss es sich um eine nichtpolitische Tat handeln. Nach Abs. 15 der UNHCR-Richtlinien ist ein schweres Verbrechen als nichtpolitisch anzusehen, wenn es überwiegend aus anderen Motiven (etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben) begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe. Nach Art. 12 Abs. 2 Buchst b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG können insbesondere grausame Handlungen als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, regelmäßig der Fall (vgl. Abs. 15 der UNHCR-Richtlinien). Dieser Begriff beinhaltet mangels einer völkerrechtlich anerkannten Definition des Terrorismus zwar eine gewisse Unschärfe. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht geklärt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Verfolgung politischer Ziele anzusehen sind (vgl. Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 20> unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 339>; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 129 f.>). Auf Gemeinschaftsebene kann bei der Abgrenzung einer terroristischen von einer politischen Straftat zudem auf die Definition zurückgegriffen werden, auf die sich die Mitgliedstaaten im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus geeinigt haben. Danach werden bestimmte vorsätzliche Handlungen (etwa Anschläge auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einer Person) dadurch zu "terroristischen Handlungen", das sie - erstens - durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert sind und sie - zweitens - mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören (vgl. Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2001/931/GASP - ABl EG Nr. L 344 vom 28. Dezember 2001 S. 93).

Vor allem bei Aktivitäten terroristischer Organisationen stellt sich zudem die Frage der Zurechnung. Nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG finden die Ausschlussgründe auch Anwendung auf Personen, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen. Der Schutzsuchende muss die schwere nichtpolitische Straftat damit nicht selbst begangen haben, er muss für sie aber persönlich verantwortlich sein. Hiervon ist im Allgemeinen auszugehen, wenn eine Person die Straftat persönlich begangen hat oder in dem Bewusstsein, dass ihre Handlung oder Unterlassung die Ausübung des Verbrechens erleichtern würde, wesentlich zu ihrer Durchführung beigetragen hat (vgl. Abs. 18 der UNHCR-Richtlinien). Erfasst werden damit nicht nur aktive Terroristen und Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne, sondern auch Personen, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 a.a.O. zu den Grenzen des Asylgrundrechts).

Alle drei Tatbestandsvoraussetzungen sind nach Auffassung des Senats bei einer Person erfüllt, die den bewaffneten Kampf einer terroristischen Organisation aktiv unterstützt hat, so dass Frage 1 zu bejahen sein dürfte.

c) Zugleich kommt in Betracht, dass das aufgezeigte Verhalten auch dem Ausschlussgrund des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG unterfällt, weil es den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderläuft.

Auch dieser Ausschlussgrund findet sich schon in der Genfer Flüchtlingskonvention. [...] In der Staatenpraxis ist auch heute noch ungeklärt, welcher Personenkreis in den Anwendungsbereich der Klausel fallen kann, insbesondere, ob nur bei der Ausübung staatlicher oder staatsähnlicher Gewalt im Sinne der Ausschlussklausel den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 - InfAuslR 2008, 263 m.w.N.). Nach Auffassung des UNHCR erfordert die Ausschlussklausel eine internationale Dimension und erfasst grundsätzlich nur Personen, die eine Machtposition in einem Staat oder einem staatenähnlichen Gebilde innehatten (vgl. Abs. 17 und 26 der UNHCR-Richtlinien). Auch das Bundesverwaltungsgericht ist in einer älteren Entscheidung davon ausgegangen, dass die Ausschlussbestimmung des Art. 1 Abschnitt F Buchst. c GFK nur Handlungen erfasst, die dem zwischenstaatlichen (internationalen) Frieden und der zwischenstaatlichen Völkerverständigung zuwiderlaufen (vgl. Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 C 44.68 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 9). Andere Staaten wenden die Ausschlussklausel des Art. 1 Abschnitt F Buchst. c GFK dagegen auch auf Personen an, die keinerlei staatliche Macht ausübten (vgl. etwa Urteil des britischen Immigration Appeal Tribunal vom 7. Mai 2004, KK

Turkey [2004] UKIAT 00101 Rn. 20; Supreme Court of Canada in der Sache Pushpanathan v Canada [1999] INLR 36). Fraglich ist, ob dieser weiten Auslegung - nicht zuletzt auf der Grundlage der inzwischen ergangenen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen - zuzustimmen ist. Sollte die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufende Handlung eine internationale Dimension haben müssen, wäre zu klären, wann diese Voraussetzung bezogen auf eine Einzelperson gegeben ist (etwa bei Verstrickung in den internationalen Terrorismus).

Gemäß Art. 24 der Charta der Vereinten Nationen trägt der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und handelt bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Verpflichtungen im Namen der Mitglieder und im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der UN aufgrund der Charta der Vereinten Nationen haben aus völkerrechtlicher Sicht Vorrang vor allen anderen Verpflichtungen des innerstaatlichen Rechts oder des Völkervertragsrechts. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen, dass nach Art. 24 der UN-Charta der Sicherheitsrat, indem er Resolutionen aufgrund von Kapitel VII der Charta beschließt, die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist. Das schließt die Befugnis des Sicherheitsrats ein, zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt (EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 3. September 2008 - Rs. C-402/05 P und Rs. C-415/05 P - Kadi und Al Barakaat - Slg. 2008 Rn. 294).

In Bezug auf terroristische Aktivitäten hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der einführenden Erläuterung zur Resolution 1269 vom 19. Oktober 1999 darauf hingewiesen, dass die Unterdrückung von Akten des internationalen Terrorismus, einschließlich derjenigen, an denen Staaten beteiligt sind, einen wesentlichen Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt. In der einführenden Erläuterung zur Resolution 1373 vom 28. September 2001 hat er nochmals bekräftigt, dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, und hat sodann "tätig werdend nach Kapitel VII" erklärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen, ebenso wie die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu (vgl. Ziff. 5 der Resolution 1373). Dem ist zu entnehmen, dass der Sicherheitsrat ersichtlich davon ausgeht, dass Handlungen des internationalen Terrorismus, unabhängig von der Beteiligung eines Staates, generell den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Auf diesen Aspekt verweist auch der 22. Erwägungsgrund zur Richtlinie 2004/83/EG.

2. Vorlagefrage:

a) Ist Frage 1 zu bejahen, stellt sich entscheidungserheblich die Frage, ob der jeweilige Ausschlussgrund zusätzlich voraussetzt, dass von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgeht (Frage 2). Der Kläger hat nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts glaubhaft vorgetragen, dass er - getragen von der Überzeugung, dass der von der DHKP/C eingeschlagene Weg falsch ist - jeden Kontakt zu der Organisation abgebrochen und sich von deren Zielen distanziert hat. Jedenfalls mit der Ausreise nach Deutschland hat er mit der Vergangenheit gebrochen und einen neuen Lebensabschnitt begonnen, in dem extremistische Aktivitäten und Gewalt keinen Platz mehr haben sollen (UA S. 21). Von ihm geht daher keine Gefahr mehr aus (UA S. 53).

b) Nach Auffassung des Senats ist Frage 2 zu verneinen. Für die Anwendung der Ausschlussklauseln genügt die bloße "Schutzunwürdigkeit" aufgrund früheren Handelns; nicht erforderlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin Gefahren ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert haben.

Bereits der Wortlaut der Ausschlussklauseln spricht dafür, dass es keiner Wiederholungsgefahr bedarf. Die in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG aufgeführten Ausschlussgründe knüpfen mit der Formulierung "begangen hat" bzw. "zuschulden kommen ließ" ebenso wie Art. 1 Abschnitt F GFK ausschließlich an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten an. Nicht nur vom Wortlaut, sondern auch nach Sinn und Zweck unterscheiden sich die Ausschlussklauseln von den in Art. 33 Abs. 2 GFK niedergelegten Ausnahmen vom flüchtlingsrechtlichen Verbot des Refoulement. Letztere verlangen ausdrücklich eine (aktuelle) Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit des Aufnahmestaates. Sie bezwecken den Schutz des Aufnahmelandes und erfordern daher, dass von dem Betroffenen eine gegenwärtige oder zukünftige Gefahr ausgeht. Sie berücksichtigen damit den im Völkergewohnheitsrecht anerkannten Grundsatz, dass jeder Staat dem Schutz seiner eigenen Sicherheit Vorrang vor fremdenrechtlichen Verpflichtungen einräumen darf. Demgegenüber knüpfen die Ausschlussklauseln an ein in der Vergangenheit liegendes Handeln an. Sie beruhen auf der Überlegung, dass bestimmte Personen keinen internationalen Flüchtlingsschutz "verdienen" (vgl. Abs. 2 der UNHCR-Richtlinien und Abs. 140 des UNHCR-Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979, Neuauflage UNHCR Österreich Dezember 2003 - nachfolgend: UNHCR-Handbuch; ebenso die Empfehlung des Ministerrats vom 23. März 2005 - Rec 2005> 6 -), und verfolgen zwei Zwecke: Sie sollen den Flüchtlingsstatus vor Missbrauch schützen, indem eine Gewährung an unwürdige Antragsteller vermieden wird. Außerdem sollen sie sicherstellen, dass diese Personen sich ihrer strafrechtlichen Verfolgung nicht entziehen (vgl. Gilbert, Current issues in the application of the exclusion clauses, 2001, S. 2; s.a. Abs. 2 der UNHCR-Richtlinien). Aus diesen unterschiedlichen Schutzrichtungen ergibt sich, dass der Schutz des Aufnahmestaates bei den Ausschlussgründen - anders als bei den Ausnahmen vom Verbot des Refoulements - nur eine Nebenfolge darstellt.

Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention. [...] Auch im Richtlinienvorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften wird nur der Missbrauchsgedanke aufgegriffen, indem darauf hingewiesen wird, dass die Mitgliedstaaten zur Wahrung der Integrität und Glaubwürdigkeit der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet sind, Antragstellern, auf die Art. 1 Abschnitt F GFK Anwendung findet, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen (vgl. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, vom 12. September 2001, KOM(2001) 510 endgültig, S. 29 - nachfolgend: Richtlinienvorschlag der Kommission -). Entsprechend trennt die Richtlinie 2004/83/EG sowohl bei der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus klar zwischen dem Ausschluss wegen früherer Handlungen (für den Flüchtlingsschutz vgl. Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie; für den subsidiären Schutz vgl. Art. 17 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie) und der nachträglichen Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie) bzw. dem Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes (vgl. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d und Art. 19 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie) bei Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemeinheit des Aufnahmestaats darstellen.

3. und 4. Vorlagefrage:

a) Ist Frage 2 zu verneinen, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG zumindest eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, welche Kriterien hierbei zu berücksichtigen sind und welcher Maßstab anzulegen ist. Bedarf es keiner einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung und ist Frage 3 deshalb zu verneinen, ist der Kläger (bei gleichzeitiger Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2) von der Flüchtlingsanerkennung zwingend ausgeschlossen. Bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, hängt die Flüchtlingsanerkennung dagegen von der Beantwortung der Frage 4 nach den Kriterien und Maßstäben für diese Prüfung ab.

b) Nach Auffassung des Senats sind die Ausschlussklauseln grundsätzlich zwingend und belassen den zuständigen Behörden keinen Ermessensspielraum. Den Tatbestandsvoraussetzungen liegt eine abstrakte Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist davon auszugehen, dass der Betroffene keinen Flüchtlingsschutz verdient. Dennoch darf die Anwendung der Ausschlussklauseln im Einzelfall nicht dem im Völker- und im Gemeinschaftsrecht anerkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen. Dieser Grundsatz erfordert, dass jede Maßnahme geeignet und erforderlich und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht. Frage 3 ist nach Auffassung des Senats daher im Grundsatz zu bejahen (auch der UNHCR fordert "regelmäßig" eine Verhältnismäßigkeitsprüfung <vgl. Abs. 24 der UNHCR-Richtlinien>; andere Staaten lehnen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Teil generell ab, vgl. etwa das britische Immigration Appeal Tribunal, Urteile vom 7. Mai 2004, KK