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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 26.11.2008 - 2 L 1735/08 - asyl.net: M14741
https://www.asyl.net/rsdb/M14741
Leitsatz:

Es besteht kein generelles öffentliches Interesse am Sofortvollzug einer nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, nachträgliche Befristung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sofortvollzug, Begründungserfordernis, öffentliches Interesse
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 3; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4; AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Es besteht kein generelles öffentliches Interesse am Sofortvollzug einer nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der nachträglichen Beschränkung der befristeten Aufenthaltserlaubnis genügt nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO; ein im vorliegenden Einzelfall bestehendes überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung ist weder in dem angefochtenen Bescheid dargelegt noch ersichtlich.

Die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im überwiegenden öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO darf grundsätzlich nur dann angeordnet werden, wenn für den Sofortvollzug des Verwaltungsaktes gerade im Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. An dieses – durch die Behörde gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu begründende – besondere öffentliche Interesse sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender die dem Bürger durch den Verwaltungsakt auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Die nachträgliche Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Androhung der Abschiebung ist in jedem Fall eine schwerwiegende Maßnahme, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers eingreift. Von daher ist das Vorliegen eines den vorgenannten Kriterien entsprechenden besonderen öffentlichen Interesses auch bei der hier in Rede stehenden nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer dem Ausländer erteilten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erforderlich. Von dem Erfordernis eines den Sofortvollzug rechtfertigenden besonderen öffentlichen Interesses kann nicht etwa deshalb abgesehen werden, weil schon die nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu treffende ausländerbehördliche Entscheidung die Notwendigkeit indizieren würde, diese Beschränkung im überwiegenden öffentlichen Interesse umgehend durchzusetzen und es deshalb ausnahmsweise Feststellungen bezüglich eines besonderen öffentlichen Interesses nicht bedürfe. Ein solches dem Verwaltungsakt immanentes Vollzugsinteresse kann im Falle der zeitlichen Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zunächst nicht daraus hergeleitet werden, dass mit dieser Entscheidung alsbald konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abgewehrt werden müssten. Die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der einem Ausländer erteilten Aufenthaltserlaubnis dient nicht dazu, Gefahren, die mit dem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet verbunden sein könnten, auszuräumen, sondern dazu, den durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis legitimierten Aufenthalt des Ausländers vorzeitig beenden zu können, weil eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Die Vollziehung einer von der Ausländerbehörde nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verfügten nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis ist auch nicht deshalb notwendig eilbedürftig, weil grundsätzlich eine besonderes öffentliches Interesse daran bestünde, Ausländer, die offensichtlich die Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels nicht mehr erfüllen, alsbald zur Ausreise zu verpflichten. Ein derartiges Verständnis würde den detaillierten Regelungen des Gesetzgebers im Aufenthaltsgesetz nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat in § 84 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ausdrücklich geregelt, dass die nach § 80 Abs. 1 VwGO im Regelfall bestehende aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage dann nicht eintritt, wenn sich die Rechtsbehelfe gegen die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung richten. Demgegenüber wird in § 84 Abs. 2 AufenthG nochmals klargestellt, dass es im Falle der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes beendet – beispielsweise der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG – bei der gesetzlichen Regelung des § 80 Abs. 1 VwGO verbleiben soll, wonach Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben (vgl. zu alledem Hess. VGH, Beschluss vom 30.07.2007 – 9 TG 1360/07 -; Bay. VGH, Beschluss vom 19.01.2005 – 10 CS 04.2335 -; VG Augsburg, Beschluss vom 24.08.2007 – Au 1 S 07.952 -; jeweils mit weiteren Nachweisen und dokumentiert bei juris). [...]

Soweit zur Begründung der sofortigen Vollziehung im angefochtenen Bescheid zunächst ausgeführt ist, dass die Androhung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ansonsten aufgrund langwieriger Rechtsmittelverfahren weitgehend ins Leere liefe, rechtfertigt dies ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht. Zum einen trifft dieses Argument auf nahezu jede nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis zu. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Einzelfall kann damit also gerade nicht gerechtfertigt werden. Zum anderen verfehlt eine Maßnahme nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ihren Zweck bzw. läuft nicht ins Leere, da nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die rechtsgestaltenden Wirkungen der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis unbeschadet der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs eintreten (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30.07.2007 – 9 TG 1360/07 -, a.a.O.; sowie Bay. VGH, Beschluss vom 19.01.2005 – 10 Cs 04.2335 -, a.a.O.). [...]

Nichts anderes gilt für das Argument des Antragsgegners, dass der Antragsteller durch die Ausschöpfung des Rechtswegs seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hinauszögern und dadurch weiterhin in den Genuss von Vergünstigungen kommen könne, die ihm im allgemeinen öffentlichen Interesse nicht mehr zustünden. Denn diese möglichen Folgen hat der Gesetzgeber mit dem in § 80 Abs. 1 VwGO verankerten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis für den Regelfall in Kauf genommen. In welchen Fällen es generell nicht hinnehmbar ist, dass ein Ausländer seinen Aufenthalt im Bundesgebiet unter Ausnutzung von Rechtsbehelfen verlängert, hat der Gesetzgeber in § 84 Abs. 1 AufenthG geregelt, von dessen Geltungsbereich die nachträgliche Verkürzung einer befristet erteilten Aufenthaltsgenehmigung jedoch nicht umfasst ist.

Die weitere Erwägung des Antragsgegners, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei angezeigt, weil der Grund des bisherigen Aufenthalts zwischenzeitlich entfallen sei und vom Antragsteller auch kein anderer, auf einen Verbleib im Bundesgebiet gerichteter Anspruch geltend gemacht worden sei, überzeugt ebenfalls nicht. Mit dieser Argumentation wird nur dargetan, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Bescheides nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorliegen. Dies rechtfertigt zwar die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis als solche, begründet aber kein darüber hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, da dies für alle Fälle der Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis zutrifft.

Soweit der Antragsgegner in der Antragserwiderung vom 12.11.2008 schließlich geltend gemacht hat, dass hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit maßgeblich auf die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren abzustellen sei, rechtfertigt auch dies keine andere Bewertung. Die Annahme einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der nachträglichen zeitlichen Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis ist zwar ein wesentliches Element der bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung, kann aber die Prüfung, ob überhaupt ein besonderes öffentliches Interesse an dem angeordneten Sofortvollzug besteht, nicht ersetzen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 19.01.2005 – 10 Cs 04.2335 -, a.a.O.). [...]