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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.2008 - 26 K 6338/08.A - asyl.net: M14713
https://www.asyl.net/rsdb/M14713
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei wegen PKK-Tätigkeit.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, PKK, Mitglieder, Strafurteil, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Folter, Reformen, politische Entwicklung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei wegen PKK-Tätigkeit.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. [...]

Voraussetzung für den Widerruf der Feststellung der Flüchtlingsanerkennung ist, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -, a.a.O.).

Der Kläger erfüllt ausweislich des Anerkennungsbescheides des Bundesamtes vom 27. November 1996 die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und hält sich aus begründeter Furcht vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung außerhalb seines Herkunftsstaates, der Türkei, auf. Das Bundesamt hat weiter ausgeführt, dass für den Fall einer Rückkehr des Klägers davon auszugehen sei, dass er aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung in der Türkei wegen PKK-Tätigkeiten der konkreten Gefahr der Folter ausgesetzt sein würde. Diese Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei dem Kläger ist bestandskräftig. Die Voraussetzungen, die zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG im Jahre 1996 geführt haben, liegen weiterhin vor. Dem Kläger darf die Rechtsstellung als Konventionsflüchtling nicht entzogen werden, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Letzteres ist hier der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich die Gefährdung des Klägers durch staatliche Sicherheitskräfte wegen seiner Beziehung zu Angehörigen der PKK bei seiner Rückkehr in die Türkei in maßgeblicher Weise verringert hätte. Die türkische Reformpolitik hat bislang nicht dazu geführt, dass es asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei nicht mehr gibt. Vielmehr kommt es nach derzeitiger Erkenntnislage weiterhin zu solchen Übergriffen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2008, S. 25: "Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen und trotz einiger Verbesserungen ist es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Mißhandlung vollständig zu unterbinden, 2007 ist sogar nach übereinstimmenden Aussagen von Menschenrechtsorganisationen wieder eine Zunahme der Foltervorwürfe zu verzeichnen"), weshalb auch gegenwärtig vorverfolgt ausgereiste Flüchtlinge vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 21 ff.; Beschluss vom 1. Dezember 2005 - 8 A 4037/05.A -; Urteil vom 19. Dezember 2005 - 8 A 4008/04.A -; Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 4728/05.A -, S. 21 ff. des Originals, in juris, jeweils m.w.N.).

Das Gericht teilt diese Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, welches in den vorstehend genannten Entscheidungen die türkische Reformpolitik der jüngeren Vergangenheit eingehend unter Berücksichtigung der Erkenntnislage gewürdigt und umfassend dargelegt hat, dass eine veränderte Gefährdungsprognose derzeit nicht erkennbar sei, und macht sich dessen Begründungen zu eigen.

Erkenntnisse, die zu einer erneuten Überprüfung dieser Rechtsprechung Anlass geben, sind weder von der Beklagten dargetan noch ersichtlich. Im Gegenteil zeigen die jüngsten Ereignisse in der Türkei - Gefechte der PKK nahe der Grenze zum Nordirak -, dass die Kurden keinesfalls sicher in der Türkei sind. Im Gegenteil gehen mit den aktuellen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Rebellen eine verschärfte asylrelevante Sicherheitslage für kurdische Asylbewerber einher. Mag der Kläger auch keinen Strafverfolgungsmaßnahmen mehr ausgesetzt sein, weil das neue Türkische Strafgesetzbuch entgegensteht, so bleibt doch der Vorwurf separatistischen Verhaltens und Unterstützung der PKK in der Vergangenheit bestehen und setzt den Kläger wiederum Verhören - wahrscheinlich unter massiver Folter - aus.

Auch hat zum Beispiel das Schweizerische Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement/Bundesamt für Migration unter dem 24. April 2006 in seinem "Kurzbericht Dienstreise Türkei" festgestellt, dass die Umsetzung der neuen Gesetze in der Türkei sich oft problematisch gestaltet und Justiz und Militär sowie gewisse als "Staat im Staat" bezeichnete Kreise sich noch immer weitgehend dem Einfluss von Parlament und Regierung entziehen. Auch sind danach seit Ende des Jahres 2005 Fälle von Menschenrechtsverletzungen - wenn auch mit subtileren Methoden begangen - wieder angestiegen. [...]