VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 03.09.2008 - A 5 K 776/02 - asyl.net: M14695
https://www.asyl.net/rsdb/M14695
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Überwachung im Aufnahmeland, Ankettungsaktion, Moschee, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. [...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG. Ein solcher Anspruch ist im vorliegenden Fall aufgrund der Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. [...]

Die in § 28 Abs. 2 AufenthG genannten Voraussetzungen für einen Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung werden von dem Kläger erfüllt, da er sich in dem vorliegenden Asylfolgeverfahren auf seine exilpolitischen Betätigungen und somit auf Umstände, die er nach unanfechtbarem Abschluss seines Erstverfahrens selbst geschaffen hat, beruft. Besondere Umstände, die eine Ausnahme von der in § 28 Abs. 2 AufenthG genannten Regel rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere stellen sich die von dem Kläger entfalteten exilpolitischen Betätigungen nicht als Fortsetzung einer bereits im Iran bestehenden Überzeugung dar. Aus dem Vorbringen des Klägers bei seiner Anhörung bei dem Bundesamt ergibt sich nicht, dass der Kläger sich bereits im Iran politisch betätigt hat. [...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt. [...]

Im vorliegenden Fall besteht für den Kläger bei einer Rückkehr in den Iran wegen der von ihm entfalteten exilpolitischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland die konkrete Gefahr, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden.

Die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Aktivitäten und somit die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung für den Betroffenen ist nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind und anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden diese Tätigkeiten als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivitäten bewerten. Die private oder öffentliche Äußerung von Unzufriedenheit und Kritik an der Regierung oder der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage löst keine staatlichen Zwangsmaßnahmen aus, solange diese die Werte der islamischen Revolution und der schiitischen Glaubensrichtung nicht verunglimpft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran vom 24.03.2006). Eine nach außen wirksame aktive politische Betätigung, die erkennbar den Sturz des Regimes oder des islamischen Systems zum Ziel hat, wird mit strafrechtlichen Maßnahmen direkt verfolgt. Die politische Betätigung von im Ausland lebenden Iranern unterliegt einer umfassenden Kontrolle des iranischen Geheimdienstes. Ob die iranischen Behörden jedoch einen exilpolitisch tätigen Flüchtling als Regimegegner einstufen, hängt maßgeblich davon ab, welches Gefahrenpotential für das Regime der jeweiligen Organisation, für die sich der Asylsuchende engagiert, beigemessen wird und in welchem Umfang sich dieser für die Organisation engagiert. Die iranischen Stellen bewerten exilpolitische Aktivitäten nur dann als erhebliche, den Bestand des iranischen Staates gefährdende oppositionelle Tätigkeiten, wenn sich der Betroffene bei seinen Aktivitäten persönlich exponiert, also im organisatorischen Bereich aufgefallen oder sonst namentlich in Erscheinung getreten ist, oder wenn diese Aktivitäten geeignet sind, das Ansehen des Iran im Ausland zu schädigen (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz vom 25.05.2004 an das Verwaltungsgericht Leipzig). [...]

Wie vorstehend ausgeführt wurde, führt nicht jede exilpolitische Betätigung eines Iraners zu einer politischen Verfolgung und damit zu unmenschlicher Behandlung durch die iranischen Sicherheitskräfte. Durch sein Anketten an die schiitische Moschee am ... hat sich der Kläger jedoch in öffentlichkeitswirksamer Weise als politischer Gegner des iranischen Regimes zu erkennen gegeben. In einer Broschüre des Komitees zum 11. September 2001 zu der Protestaktion am ... in ... wird der Kläger mit Angabe des Wohnortes als einer der Beteiligten an der Protestaktion vom ... genannt. Bei der Protestaktion haben Polizisten die Ketten der Demonstranten mit Bolzenschneidern durchtrennt. Es wurden die Personalien der Demonstranten aufgenommen und seitens der Moscheeangehörigen Anzeige erstattet. Es ist daher davon auszugehen, dass den iranischen Sicherheitsbehörden über die Moscheeangehörigen sowohl der Name des Klägers als auch dessen Aktivitäten bekannt geworden sind. Ebenso ist davon auszugehen, dass die Ankettungsaktion besondere Beachtung in der breiten Öffentlichkeit gefunden hat und dies auch von den iranischen Sicherheitskräften wahrgenommen wurde. Zwar mag das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Ankettungsaktionen in den Folgejahren nachgelassen haben, da es in den Folgejahren mehrfach jährlich zu Wiederholungen derartiger Ankettungsaktionen gekommen ist. In den Jahren ... und ... waren diese Ankettungsaktionen jedoch auffällig und spektakulär. Dem Kläger ist es durch diese spektakuläre Aktion gelungen, sich in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zu bringen und als exponierter Gegner des iranischen Staates auf sich und seine exilpolitischen Anliegen aufmerksam zu machen. Die Aktion ist wegen der erzielten Öffentlichkeitswirkung geeignet, das Ansehen des Iran verächtlich zu machen und ihm zu schaden. Es ist nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden eine solche Aktion auf sich beruhen lassen. Gefahr erhöhend kommt hinzu, dass der Kläger auch an zahlreichen anderen exilpolitischen Aktivitäten, die für sich allein nicht geeignet sind, eine Rückkehrgefahrdung zu begründen, teilgenommen hat. Aufgrund dessen drohen ihm bei einer Rückkehr in den Iran Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Bei einer Rückkehr würde ihm Verhaftung und eine mit Folter verbundene Vernehmung drohen. Aufgrund seiner in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten exilpolitischen Tätigkeiten würden Sicherheitskräfte versuchen, ihn zur Preisgabe von Namen weiterer exilpolitischer Aktivisten zu zwingen. Im Rahmen der Auskundschaftungen durch die dazu berufenen Sicherheitskräfte wäre in jedem Falle Folter zu befürchten, die mit gravierenden Folgen für Leib und Leben enden könnten.

Nach alledem hat der Kläger einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 vorliegt.

Da dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran Folter droht, hat er auch einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.

Da der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit Gefahren für Leib und Leben rechnen muss, hat er auch einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. [...]