Keine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Roma in Serbien.
Keine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Roma in Serbien.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigte oder auf die begehrten Feststellungen durch die Beklagte. [...]
Es ist ständige Rechtsprechung der Kammer, dass Roma in Serbien - trotz ihrer prekären Lebenssituation - nicht politisch verfolgt werden (vgl. etwa Urteile der Kammer vom 11. Februar 2005, VG 37 X 82.04 vom 9. September 2005, VG 37 X 142.03). [...]
Die von den Klägern behaupteten tagtäglichen und vom serbischen Staat nicht nur geduldeten, sondern geförderten gewalttätigen Übergriffe von Polizisten und Privatpersonen sind nach wie vor nicht glaubhaft und widersprechen den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung der in Serbien lebenden Roma liegen in keiner Weise vor. Die Roma gehören zwar auch heute noch überwiegend den untersten sozialen Schichten der Bevölkerung an, ihre Lage ist durch Armut und schlechte Wohnverhältnisse gekennzeichnet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. April 2007, 1.3.4). Bereits in der Rechtsprechung zum früheren Jugoslawien bildete es aber eine gefestigte Erkenntnis, dass Angehörige des Volkes der Roma zwar mit Diskriminierungen, insbesondere mit erheblichen Benachteiligungen im beruflichen Bereich, zu rechnen hatten, dass diese aber nicht die Schwelle der politischen Verfolgung erreichten. Die unzureichende Integration der Roma in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Leben im früheren Jugoslawien beruhte vielfach auf deren niedrigem Ausbildungsniveau und den Eigentümlichkeiten ihres Lebensstils sowie auch auf den Vorurteilen der Angehörigen anderer Volksgruppen, sie war dagegen nicht Folge einer gezielten, systematischen Diskriminierungspolitik der staatlichen Organe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 18.11.1991 - A 13 S 1711/91 -, vom 02.12.1991 - A 13 S 1816/91 - vom 16.12.1991 - A 13 S 1939/91 - und vom 14. Juni 1994 - A 14 S 1990/93 -, VGH BW-Ls 1994, Beilage 9, B4 - JURIS). Eine wesentliche Änderung dieser Sachlage ist auch im Jahre 2007 nicht zu verzeichnen. Bei den in jüngerer Zeit dokumentierten Übergriffen aus der Bevölkerung gegen Minderheiten wie die Roma etwa in der Vojvodina (vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 21.01.2004: Übergriffe auf Minoritäten in der Vojvodina; Neue Zürcher Zeitung vom 31. 08.2004: Belgrad ignoriert Gewalt in der Vojvodina) handelte es sich zwar um sich häufende drastische Einzelfälle. Von pogromartigen Ausschreitungen ist dem Gericht nichts bekannt. Im Übrigen fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der serbische Staat das rechtswidrige Vorgehen von Teilen der Bevölkerung gegen die Roma und andere Minoritäten duldet oder gar unterstützt, zumal in der Presse (a.a.O.) auch davon berichtet wurde, dass sich Ministerpräsident Kostunica sowie der Minister für Menschen- und Minderheitenrechte aufgrund der geschilderten Vorfälle bereit erklärt haben, mit einer Reise in die betroffenen Gebiete ein Zeichen gegen religiösen und rassischen Hass zu setzen.
Erst recht fehlen Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm, das auf die gewaltsame Vertreibung oder gar Vernichtung der Roma in Serbien gerichtet war bzw. ist. Dass der serbische Staat die Auswanderung eines Teils der Roma als Folge der von der Bevölkerung und einzelnen Staatsbediensteten ausgehenden - für sich genommen aber nicht asylerheblichen - Diskriminierungen seinerzeit billigend in Kauf genommen haben mag, reicht für die Annahme eines solchen Verfolgungsprogramms nicht aus (vgl. BVerwG, DVBl. 1994, S. 1409 [1411] zur sog. "stillen ethnischen Säuberung").
Es sind Bestrebungen der serbischen Regierung zu erkennen, die Lage der Roma durch eine aktive Minderheitenpolitik zu verbessern (AA, Lagebericht v. 23. April 2007, 1.3.4.), auch wenn es an der praktischen Implementierung der neuen Regelungen zum Minderheitenschutz noch mangelt. Schon die damalige Bundesrepublik Jugoslawien hat im Frühjahr 2001 das Rahmenabkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten ratifiziert (FAZ v. 12.05.2001) und das jugoslawische Parlament hat am 26. Februar 2002 ein Gesetz zum Schutz der nationalen Minderheiten verabschiedet, das erstmals auch den Roma den Status einer nationalen Minderheit zuerkennt (Presseberichte: NZZ, FR v. 28.02. 2002). Das Gesetz soll neben der proportionalen Vertretung der Minderheiten in öffentlichen Ämtern außerdem vorsehen, dass auf Bundesebene ein Rat der nationalen Minderheiten und eine Minderheitenstiftung für ethnische Gruppen gebildet werden. Vorgesehen ist auch ein Anspruch der Minderheiten, d.h. auch der Roma, auf Betreiben eigener Radio- und TV-Stationen (AA, Lagebericht vom 6. Februar 2002, 1.2.1). Nach langen und heftigen internen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Roma-Gruppen konnte im Frühjahr 2003 der Nationalrat der Roma gewählt werden (AA, Lagebericht vom 23. April 2007, a.a.O.).
Eine unmittelbar politische Verfolgung von Roma auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit kann daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Gleiches gilt hinsichtlich einer mittelbaren Verfolgung (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG). Es ist in der Vergangenheit zwar zu einer Reihe zum Teil gewalttätiger Übergriffe auf Roma durch Privatpersonen, insbesondere durch Angehörige rechtsgerichteter Gruppen, sog. Skinheads, gekommen (AA, Lagebericht v. 6.2.02, S. 15, 2.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O. S. 17, sowie die oben bereits zitierten Berichte aus der Vojvodina). Für die Annahme einer - mittelbaren - Gruppenverfolgung fehlt es aber bereits an dem zentralen Merkmal der erforderlichen "Verfolgungsdichte".
Im Übrigen ließe sich aus etwaigen Übergriffen durch Angehörige der serbischen Mehrheitsbevölkerung oder einzelne Amtswalter auch weder ein Asylanspruch noch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG, auch nicht nach Satz 4 lit. c der Vorschrift herleiten. Gem. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) des AufenthG kann eine politische Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter Buchstaben a) und b) genannten Akteure - Staat oder Parteien bzw. Organisationen, die den Staat beherrschen - einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Hierzu bedarf es zumindest dann, wenn eine generelle, an die Ethnie anknüpfende Schutzverweigerung des Staates behauptet wird, konkreter und gesicherter Anhaltspunkte dafür, dass der Staat keine zureichenden Vorkehrungen zur Eindämmung privater Gewalt gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen getroffen hat bzw. seine Machtmittel zur Ahndung gewaltsamer Übergriffe nicht ausreichen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 7 UE 1365/05.A, Urteil vom 20. Oktober 2005, juris-Abdruck, S. 17). Der Umstand allein, dass die staatlichen Organe trotz prinzipieller Schutzbereitschaft nicht immer in der Lage sind, die Betroffenen vor derartigen Übergriffen wirkungsvoll zu schützen, reicht hierfür nicht aus (vgl. hierzu auch die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391; Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90, InfAuslR 1991, 363). Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder "Pannen" sonstiger Art einschließlich sog. Amtswalterexzesse oder bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb lässt weder eine Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch eine im Einzelfall von den Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit entfallen. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-) Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1/94, a.a.O.). Dies war jedenfalls in Jugoslawien seit Übernahme der Regierungsgewalt durch das Bündnis der demokratischen Opposition Serbiens (DOS) im Oktober 2000 der Fall. Dass sich dies nach dem Sieg der Serbischen Radikalen Partei bei den letzten Parlamentswahlen im Frühjahr 2007 grundlegend geändert hat, ist nicht ersichtlich. [...]