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VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 29.08.2008 - A 4 K 30158/06 - asyl.net: M14663
https://www.asyl.net/rsdb/M14663
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Bosnien und Herzegowina wegen posttraumatischer Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch und nach Vergewaltigung der Tochter; keine ausreichende Behandlungsmöglichkeit; jedenfalls ist die Behandlung für Angehörige der Roma nicht erreichbar.

 

Schlagwörter: Bosnien-Herzegowina, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Depression, posttraumatische Belastungsstörung, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Roma, Diskriminierung, Registrierung, alleinstehende Frauen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Bosnien und Herzegowina wegen posttraumatischer Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch und nach Vergewaltigung der Tochter; keine ausreichende Behandlungsmöglichkeit; jedenfalls ist die Behandlung für Angehörige der Roma nicht erreichbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet, denn der Klägerin steht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Bosnien-Herzegowina zu. [...]

Zur Überzeugung des Gerichts steht aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen, der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des persönlichen Eindrucks des Gerichts in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin fest, dass die Klägerin in ihrem Heimatland sexuell missbraucht wurde, die Vergewaltigung ihrer Tochter mit ansehen musste und in der Folge psychisch erkrankt ist. [...]

Die Klägerin bedarf einer dauerhaften medizinischen Behandlung durch eine Gesprächstherapie, die sie in Deutschland seit dem Jahr 2003 wahrnimmt, sowie einer medikamentösen Versorgung. Die erforderliche Behandlungsmöglichkeit ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand in Bosnien-Herzegowina nicht gegeben, jedenfalls für die Klägerin nicht erreichbar. Zur Behandlung traumatisierter Personen fehlt es weitgehend an ausreichend qualifizierten Ärzten und an klinischen Psychologen und Sozialarbeitern. Eine sinnvolle Therapie Traumatisierter ist in Bosnien-Herzegowina kaum möglich, auch fur die Behandlung von Opfern sexueller Gewalt fehlt es an personellen und materiellen Kapazitäten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 27.5.2008 S. 24). Erschwerend kommt hinzu, dass die Klägerin als Roma-Angehörige zusätzlichen Schwierigkeiten ausgesetzt ist. So bereiten die staatlichen Stellen Angehörigen der Roma auch im Vergleich zu anderen Minderheiten besondere Schwierigkeiten bei der Erhaltung von Sozialleistungen und einer Krankenversicherung, beim Zugang zu Personaldokumenten und bei Fragen der Unterkunft und Ansiedlung (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht a.a.O. S. 11). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist Roma-Angehörigen häufig verwehrt, zumal sie sich oft wegen fehlender Identitätsdokumenten nicht registrieren lassen können. Die Klägerin hat bereits vor ihrer Ausreise gemeinsam mit ihrer Tochter in einer Hausruine gelebt und konnte demnach keinerlei Unterkunft bei Verwandten finden und aus eigenen Mitteln eine Unterkunft nicht bestreiten. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sich an dieser Situation etwas geändert haben soll, zumal es der psychisch kranken Klägerin kaum möglich sein wird, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, um ihre soziale Situation zu verbessern. Zudem ist die Klägerin alleinstehend und wäre im Fall der Rückkehr auf sich allein gestellt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass bei der Klägerin unter diesen Voraussetzungen und Bedingungen in ihrem Heimatland eine akute Eigengefährdung besteht, die eine konkrete Gefahr für ihr Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedeutet. [...]